Ein Outdoor-Rave im Wald? Die aktuelle Kollektion der Marke The North Face ist an die Ästhetik der 2000er-Jahre angelehnt.
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Warum tragen 20-jährige New Yorker Steppwesten der Outdoor-Marke Patagonia, Parkas von Arc’teryx und Columbia? Wieso besucht der Rapper A$AP Rocky ausgerechnet in einer Fleecejacke eine Calvin-Klein-Show? Und warum ziehen junge New Yorker für den Gang zu Starbucks Funktionskleidung über? Was einmal als Geschmacksverirrung galt, ist nun der "hot shit". Vor sechs Jahren teilte der US-amerikanische Journalist Jason Chen in einer Kolumne für das Webmagazin The Cut seine Beobachtungen mit.

So ganz neu waren die Patagonia-Westen auf den Straßen Manhattans schon damals nicht. Sogar in Wien war der Trend zum "Urban Outdoor" laut den Spezialisten von Bergfuchs bereits zu jener Zeit "zweifelsfrei zu spüren". Entscheidend aber war: Der New Yorker Journalist fand im Jahr 2017 einen Begriff für jene elektrisierende, coole Mischung aus Funktionsmode und Streetwear: Der Begriff "Gorpcore" war geboren. "G.o.r.p", eine Abkürzung für "Good old raisins and peanuts", dem bei Outdoor-Aktivitäten beliebten Studentenfutter-Snack, wurde zum Namensgeber eines Trends. Er hat bis heute nicht an Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil, sogar die Generation Z hat sich anstecken lassen. Oder wie lassen sich jene Videos erklären, die auf der Plattform Tiktok viral gingen, in denen junge Menschen in Goretex-Jacken von Arc'teryx unter der Dusche standen? Das Motto der Beiträge: Schaut her, sie hält trocken.

Breite Begeisterung

An die Langlebigkeit von Gorpcore hätte allerdings 2017 kaum jemand geglaubt. Damals interpretierte die Londoner Designerin Martine Rose ikonische Skianoraks des italienischen Outdoor-Labels Napapijri großstadttauglich. Kleidung, die vorher vor allem funktional war, galt plötzlich auch als begehrenswert. Es waren richtungsweisende Kooperationen wie diese, die die Grenzen zwischen Mode und Outdoor aufbrachen.

Lange waren die Welten auf Vertriebsebene getrennt, in den vergangenen Jahren wurden sie durchlässiger: Innovative Funktionsmodehersteller tauchten auf der Messe Pitti Uomo in Florenz auf, Modeeinkäufer orderten Marken wie Arc'teryx, And Wander, Houdini oder Salomon. Heute wird das Sneakermodell XT-6 des französischen Brands ganz selbstverständlich in angesagten Shops wie dem Berliner Voo Store angeboten, die Marke Arc’teryx verkauft sich weltweit am allerbesten im Big Apple. Auch Jakub Arnold vom Arnold's Sore in Wien sagt, man spreche mit Marken wie Canada Goose keine "Outdoor Extremisten, sondern urbane Käufer" an. Was als Nischenthema begann, ist heute einer der wichtigsten Trends in der Männer- wie der Frauenmode: Längst schlendern Models wie Bella Hadid in übergroßen Wetterjacken und Sneakern von Salomon durch Manhattan. Auch die Welt der Outdoormarken hat sich der High-Fashion-Welt angenähert: 2018 eröffnete die Marke The North Face im New Yorker Stadtteil Williamsburg den ersten Prototyp eines Concept-Stores.

Beschleunigt wurde die Entwicklung während der Pandemie, als sich viele an der frischen Luft bewegten. Im ersten Quartal des Jahres 2021 sei die Daunenjacke von Gucci und The North Face das begehrteste Produkt gewesen, ermittelte damals die Shoppingplattform Lyst. Im selben Jahr verpartnerte sich der kanadische Outdoor-Bekleidungshersteller Arc'teryx mit dem Modehaus Jil Sander, das italienische Modehaus Prada setzte auf Rucksäcke, Regenjacken und Wasserflaschen.

Polierte Images und Preise

Ein Grund für den durchschlagenden Erfolg der Kooperationen: die beidseitige Zuneigung. Einerseits polierten Outdoormarken in den vergangenen Jahren Image und Preise mit Luxuslabel-Kooperationen auf. Die High-Fashion-Brands wiederum liehen sich zu gern die "Glaubwürdigkeit" und das nachhaltigere Image so manches Funktionsmodeherstellers.

Die Generation Klimaschutz mag in einfachen Outdoor-Anoraks auf den Straßen kleben, den Zeitgeist dürfte sie in den vergangenen Jahren dennoch beeinflusst haben. Während es früher einfach "Hinaus in die Wildnis, hinauf auf die Berge" hieß, ist die Outdoor-Kultur heute rundum ästhetisiert. Das spiegelt sich auf den Social-Media-Plattformen wider: Accounts wie @114.index oder @organiclab.zip inszenieren das Thema Outdoor als stylishes Sehnsuchtsmotiv: Mal sind auf den Bildern die neuesten Wanderschuhe des Labels Roa, dann wieder Landschaftsbilder mit Sonnenuntergang zu sehen.

Wie sehr der Gorpcore-Trend mittlerweile auf die Spitze getrieben wird, zeigt sich an Kooperationen wie jener des Modeunternehmens Comme des Garçons mit Salomon: Die geschwungenen Ledersohlen der Sneaker mögen sich dazu eignen, die Mariahilfer Straße einen Caffè Latte hinunterzutransportieren. Die Besteigung des Schafbergs dürfte sich als schwierig erweisen. (RONDO, Anne Feldkamp, 16.4.2023)