Schwarze Löcher gehören zu den paradoxesten Objekten, die sich Menschen je erdacht haben. Sie verschlucken alles, was ihren Weg kreuzt und lassen nicht einmal mehr Licht aus ihrem Inneren entweichen. Doch statt ständig zu wachsen, können sie mit der Zeit auch wieder kleiner werden, bis sie irgendwann sogar wieder verschwinden. Das erinnert an einen Witz des Kabarettisten Alf Poier, der vor den Gefahren des Bevölkerungswachstums warnt: Es erzeuge immer mehr und mehr Menschen, bis es irgendwann keine mehr gibt.

Die beiden bisher einzigen Bilder vom Ereignishorizont Schwarzer Löcher, aufgenommen von der Event-Horizon-Kollaboration. Rechts ist das supermassive Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße zu sehen.
Foto: EHT Collaboration

Verantwortlich dafür ist die nach ihrem Entdecker Stephen Hawking benannte "Hawking-Strahlung". Der britische Physiker kombinierte Erkenntnisse aus der Relativitätstheorie mit Vorhersagen der Quantenfeldtheorie. In Letzterer ist das Vakuum nicht leer, sondern Schauplatz komplizierter Prozesse. Immer wieder entstehen hier spontan Paare aus Teilchen und Antiteilchen, die "virtuell" genannt werden. Sie löschen einander sofort wieder aus und sind daher im Normalfall nicht beobachtbar.

Und sie strahlen doch

Doch Stephen Hawking zeigte, dass in besonderen Fällen das Teilchenpaar am Rand Schwarzer Löcher getrennt werden könnte, wobei eines der Teilchen ins Innere fällt, das andere jedoch als Strahlung ins All entweicht. Der sonderbare Effekt hat nicht nur zur Folge, dass die eigentlich vollkommen dunklen Objekte doch strahlen können, er bewirkt auch, dass Schwarzen Löchern laufend Energie und damit Masse entzogen wird.

In einem Universum der fernen Zukunft, in dem Schwarze Löcher alle Materie bereits verschlungen haben, würde das dazu führen, dass Schwarze Löcher irgendwann "verdampfen" und sich in nichts auflösen.

Dieses "Nichts" ist allerdings für die Physik ein Problem. Schwarze Löcher haben nämlich im Lauf ihres Daseins mit den Unmengen an Materie und Licht auch riesige Mengen Information verschlungen, die hinter dem Ereignishorizont versteckt und damit der Außenwelt entzogen war. Was ist mit ihr geschehen? Dieses "Informationsparadoxon" war bisher ein unlösbares Problem, denn Information kann, so die Physikerinnen und Physiker, nicht einfach verschwinden.

Eine kürzlich im Fachjournal "Physics Letters B" erschienene Studie schlägt nun eine Lösung vor. Die drei Forscher um Erstautor Xavier Calmet beschäftigen sich mit der Oberfläche des Ereignishorizonts. Eine von John Archibald Wheeler geäußerte Vermutung und von Hawking und anderen für bestimmte Fälle bewiesene Vermutung besagt, dass Schwarze Löcher keine "Haare", sondern perfekte "Glatzen" haben. Das "No Hair Theorem" schreibt die Tatsache fest, dass Schwarze Löcher nach außen keine Eigenschaften haben, außer ihrer Masse, ihrer elektrischen Ladung und ihrem Drehimpuls.

Es gibt also keinerlei Information mehr über ihr Innenleben. Gäbe es an der Oberfläche solche Informationen, könnte die Hawking-Strahlung sie nach außen transportieren, bevor das Schwarze Loch kollabiert und sie verschwindet.

Stephen Hawking im Jahr 2015. Er litt an amyotropher Lateralsklerose und war seit 1968 auf einen Rollstuhl angewiesen. Kommunizieren konnte er über einen Sprachcomputer.
Foto: imago/ZUMA Press

Eine Möglichkeit, wie das tatsächlich gelingen könnte, beschreiben nun die drei Physiker in ihrer Arbeit. Bereits seit einigen Jahren gibt es die Idee, dass Quanteneffekte an der Oberfläche des Ereignishorizonts doch eine Art "weiche Haare" bilden könnten. Auch Hawking war an dem Konzept beteiligt.

Calmet und seine Kollegen zeigen nun, wie die Stärke der Hawking-Strahlung durch die Quantenhaare bestimmt sein könnte. "Diese Quantengravitationskorrekturen sind zwar winzig, aber entscheidend für die Verdampfung Schwarzer Löcher", sagt Calmet gegenüber der Wissenschaftsnachrichtenseite "Live Science". "Wenn man die Quantengravitation berücksichtigt, kann die Strahlung Informationen enthalten."

Stephen Hawkings Vermächtnis

Damit könnten jene Probleme, zu denen der populäre Physiker Stephen Hawking seine wichtigsten wissenschaftlichen Beiträge leistete, einer Lösung näher kommen. Hawking selbst verstarb 2018 nach langer Karriere und langer Krankheit. Kürzlich publizierte ein langjähriger Weggefährte ein Buch, das Hawkings letzte Ideen dokumentiert, die weit tiefer in die Philosophie reichen.

Ob es sich, wie von Calmet gegenüber "Live Science" behauptet, um einen echten Durchbruch handelt, wird sich erst weisen. Noch ist unklar, wie sich die Theorie überprüfen lassen könnte. Angesichts vieler neuer Informationen über Schwarze Löcher, vor allem durch die neuen Gravitationswellenexperimente, scheint eine künftige Überprüfung zumindest nicht ganz aussichtslos.

Calmet selbst regt an, Modelle Schwarzer Löcher im Labor nachzubauen. Der Bereich der "Quantensimulation" ist tatsächlich eine der spannendsten Anwendungen moderner Quantentechnologie. Auch die Simulation von Effekten der Teilchenphysik, wie sie hier nötig wären, gelang bereits. Es besteht also Hoffnung, dass die Aussage der Forscher, im Gegensatz zu vielen anderen, die den Grenzbereich von Quantenphysik und Relativitätstheorie betreffen, doch experimentell überprüfbar ist. (Reinhard Kleindl, 8.4.2023)