Das Schicksal der in die Pleite gerutschten und notverkauften Silicon Valley Bank entschied sich binnen Stunden. Soziale Medien spielten bei ihrem Zusammenbruch eine wesentliche Rolle.

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Am Sonntag, dem 12. März 2023, schrieb der Internet-Entrepreneur Kim Dotcom in hechelndem Stakkatostil auf Twitter: "Rennt auf die Bank! Holt euer Geld raus. Erste Sache am Montag. US-Banken sind in Schwierigkeiten. Krisentreffen der Fed. Einlagen könnten eingefroren werden. Mögliche Abhebelimits (...)." Der aufgekratzte Ton kam nicht von ungefähr – hinter dem Bankensektor lag eine turbulente Woche: Die Pleite der Silicon Valley Bank hatte Schockwellen an den Finanzmärkten ausgelöst, Anleger reagierten nervös. Zwar ist der Tweet, der über zwei Millionen Mal angesehen wurde, mit einem Hinweis versehen, dass in den USA eine Einlagensicherung bis 250.000 Dollar gilt. Doch zur Beruhigung dürfte die alarmistische Botschaft nicht beigetragen haben, im Gegenteil.

Vöglein zwitschern

Schon zuvor hatten auf Twitter Spekulationen über einen Zahlungsausfall einzelner Kreditinstitute die Runde gemacht, was letztlich auch der Silicon Valley Bank (SVB) zum Verhängnis wurde: Die auf Start-up-Finanzierung spezialisierte Bank hatte das Geld ihrer Einleger in langfristige festverzinsliche Papiere gesteckt. Nach den Zinserhöhungen der Zentralbanken hatten die Staatsanleihen an Wert verloren, weil inzwischen Anleihen mit höheren Zinskupons im Umlauf waren. Normalerweise sind solche Buchverluste kein Problem, wenn man die Papiere bis zur Fälligkeit hält. Dann bekommt man den vollen Ausgabekurs zurück. Weil aber immer mehr Kunden an ihr Geld wollten, musste die Silicon Valley Bank die Anleihen mit hohen Verlusten verkaufen – und ging pleite.

Bank-Runs, also Anstürme auf Banken, hat es in der Geschichte des Kapitalismus immer wieder gegeben. Neu ist die Geschwindigkeit, mit der sich solche Krisen vollziehen. An nur einem Tag zogen die Kunden der Silicon Valley Bank 42 Milliarden Dollar ab. Zum Vergleich: Die Pleite der Privatkundenbank Washington Mutual 2008 zog sich über mehrere Monate hin. Doch das vertraute Bild von Bankenkrisen – lange Schlangen vor Geldautomaten – fehlte diesmal. Aufgeschreckt durch Krisenmeldungen, griff die digitale Kundschaft zum Handy und transferierte in der Banking-App ihre Einlagen in Echtzeit in sichere Häfen. Es war so, als würde in einem Theater jemand Feuer rufen und eine Massenpanik auslösen. Selbst Finanzexperten waren von der Geschwindigkeit des Zusammenbruchs überrascht. Die Pleite der Silicon Valley Bank gilt als erster digitaler Bank-Run der Geschichte.

Soziale Medien spielen an den Börsen eine immer wichtigere Rolle. Als Elon Musk 2018 auf Twitter verkündete, Tesla von der Börse nehmen zu wollen, schoss der Aktienkurs des Elektroautoherstellers in die Höhe. Wegen dieser Äußerung muss sich der Multimilliardär derzeit vor einem Gericht in San Francisco wegen des Verdachts der Marktmanipulation verantworten.

Besorgte Aufsicht

Musks Tweets haben in der Vergangenheit immer wieder die Börsen bewegt, vor allem die hochvolatilen Kryptowährungen. Dass Musk mittlerweile Eigner des börsennotierten Twitter-Konzerns ist, beobachtet die US-Börsenaufsicht SEC mit großer Sorge. Denn in einem hochautomatisierten Marktumfeld, in dem Computeralgorithmen Nachrichten sortieren und in Mikrosekunden Transaktionen vollziehen, kann ein falsches Wort einen Crash verursachen.

Der verstorbene Publizist und FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher hat bereits in seinem 2013 veröffentlichten Buch Ego: Das Spiel des Lebens eindrucksvoll beschrieben, wie sich Informationen "börsenähnlich" wandeln und der Markt zum Großrechner wird. Jeder Tweet, jede Google-Auskunft ist heute eine Marktinformation. Analysten versuchen mit Big-Data-Analysen (sogenannten Sentiment-Analysen) die Stimmung der Marktteilnehmer in sozialen Medien zu eruieren, was allerdings nur von mäßigem Erfolg gekrönt ist, weil im Grundrauschen des Meinens wichtige Marktsignale überhört werden.

Zuweilen werden im Internet auch falsche Signale ausgesandt, wie bei der Gamestop-Rallye 2021: Da verabredeten sich Kleinanleger im Onlineforum Reddit und trieben den Kurs der Aktie des Computerspielhändlers in schwindelerregende Höhen. Der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller schreibt in seinem Buch Narrative Wirtschaft (2019), dass das Internet und soziale Medien die "Natur der Ansteckung" verändert hätten, verweist aber gleichzeitig darauf, dass es an systematischen, quantitativen Studien dazu fehlt.

Interessant in diesem Kontext ist ein Paper des Ökonomen Nicolas L. Ziebarth ("The Radio and Bank Distress in the Great Depression"), der darin den Einfluss des Radios auf die Große Depression in den USA untersucht hat: Er kommt zu dem Ergebnis, dass in Gegenden mit höherer Radiodurchdringung der Bankenstress zwischen 1930 und 1933 signifikant größer war. Der schlichte Grund: Gerüchte verbreiteten sich über das Informationsmedium schneller. Hätte man das Radio damals flächendeckend abgeschaltet, so Ziebarths erstaunlicher Befund, wären die Einlagen um ein Elftel weniger abgeschmolzen.

Mehr Schwankungen

Zwischen Radio und Internet bestehen Ähnlichkeiten: die rasante Verbreitung, die Oralität, in der das geschriebene Wort wie eine mündliche Information wirkt und nur Hörensagenevidenz besitzt, die Instrumentalisierung durch Propaganda. Es bedarf wohl noch grundlegender Untersuchungen, um die digitalen Ansteckungsgefahren zu messen. Doch viel spricht dafür, dass die affekt- und datengetriebenen Social-Media-Plattformen die Volatilität der Märkte verstärken. (Adrian Lobe, 9.4.2023)