Zwei Minuten dauert es, bis alles Leben aus dem Huhn entwichen ist. Gerhard Forcher hat es mit ruhiger Hand aus einer Kiste geholt und mit leisem Murmeln sein aufgeregtes Gackern beschwichtigt. Elektroden einer Betäubungsanlage an der Wand messen den Widerstand im Tierkörper. Wenige Sekunden schlagen die Flügel, bis das Tier durch den Stromschlag erschlafft. Der Bauer hängt es kopfüber in einen Schlachttrichter. Ein schneller Schnitt, und es blutet aus. Kurz schwimmt es im Brühkessel, dann rotiert es in der kleinen Rupfmaschine.

Karin und Gerhard Forcher verkaufen ihre Bio-Hühner an den Lebensmittelhandel und ab Hof. "Es war eine Flucht nach vorn, um mit unseren drei Kindern weiter hier leben und arbeiten zu können"
Foto: Rainer Wegscheidler

"Schön ist es nie, das Sterben", sagt Karin Forcher, während sie die gewaschene Henne neben der Schlachtkammer ausnimmt und verpackt. Ob sie sich über die Jahre daran gewöhnt hat? "Meine Arbeit ermöglicht gute Lebensmittel, jemand muss sie tun", meint sie nach kurzem Zögern. "Ich mache sie mit Respekt und Ehrfurcht vor dem Leben."

Karin und Gerhard Forcher ziehen im Zirbenland siebenmal im Jahr 4800 Hühner und ebenso viele Küken auf. Das Gros ihres Fleisches verkauft die Handelskette Hofer über ihre Biomarke "Zurück zum Ursprung". Über Aldi liefern die Steirer bis nach Deutschland. 300 bis 400 Hühner schlachten sie alle zwei Monate selbst für die Vermarktung ab Hof und den Versand quer durch Österreich.

Neue Standbeine

Seit 1633 ist ihr Hof auf mehr als 1000 Meter Seehöhe in Familienbesitz. Der Dachstuhl von damals trägt das Haus der Bauern bis heute. Vom Esstisch aus überblickt das Ehepaar beide Seiten des schmalen Möschitzgrabens, in den sich nur selten Wanderer verirren.

Schneereste bedecken die Bergkuppen, alte Gehöfte aus Stein und Holz schmiegen sich an steile Hänge. Versteckt im hintersten Kessel schuf sich Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz zu Lebzeiten in einer Almhütte ein einsames Refugium.

Aus allen Wolken sei ihr Schwiegervater gefallen, als sie die ersten 15 Hendln aufzog, erzählt Karin Forcher. Er habe nicht glauben wollen, dass man damit Geld verdienen könne.
Foto: Rainer Wegscheidler

Einst werkten Hammerwerke, Sägen und Mühlen entlang des Baches, der sich durch das Tal schlängelt. An seinen Ufern erinnern weiße Köhlerflecken an die Schmieden. Die Bauern auf den Bergen rundum versorgten die Dörfler mit Lebensmitteln. Heute führen ihre Nachkommen die Landwirtschaften nur noch im Nebenerwerb. Einmal aufgelassen, erwecke die Höfe keiner mehr zum Leben, sagt Gerhard Forcher wehmütig und deutet durchs Fenster auf Wald, der einst Weideland war.

In seiner Kindheit lebte er mit seinen Eltern und drei Geschwistern von sechs Kühen. Ein Liter ihrer Milch war so viel wert wie ein Liter Sprit. Mit dem Beitritt Österreichs zur EU halbierte sich der Milchpreis. Um den Betrieb erhalten zu können, suchten seine Frau und er nach einem anderen Broterwerb.

Flucht nach vorn mit Federvieh

Ein neues Standbein wurden zwölf Biorinder in Muttertierhaltung für die Marke Styria Beef, eines anderes Standbein tausende Hühner. Beide erlauben Karin und Gerhard Forcher selbstbestimmtes Arbeiten zu zweit.

Aus allen Wolken sei ihr Schwiegervater gefallen, als sie die ersten 15 Masthendln aufzog, erzählt die Landwirtin und gelernte Köchin, während sie dicke Mappen durchblättert, die ihre Betriebsführung dokumentieren. Er habe sich gegen jede Veränderung gesträubt, nicht glauben wollen, dass sich mit Federvieh Geld verdienen lasse, und den Verkauf des gesamten Hab und Guts prophezeit. Keine anderen Bauern vor ihnen hatten im Murtal Biogeflügel gemästet. "Es war eine Flucht nach vorn, um mit unseren drei Kindern weiter hier leben und arbeiten zu können. Viele in der Region waren sich sicher, es stellt uns auf."

Füchse zieht die Hühnerschar magnetisch an. Satte 50 Hennen bekam ein einziger Vierbeiner bei seinem Durchlauf zwischen die Zähne.
Foto: Rainer Wegscheidler

Vom Haus zu den Ställen sind es nur ein paar Katzensprünge. Zwei Habichte kreisen in luftiger Höhe. "Unsere besten Freunde sind sie nicht", sagt Forcher und behält sie scharf im Blick. In ihrer Stimme ist weniger Groll als Lächeln. Nicht dass sie dem Nachwuchs der geschickten Jäger nicht hie und da ein frisches Hendl gönne. Der Schreck über den Zugriff von oben koste aber halt oft mehr als nur einem ihrer Vögel das Leben.

Gefahr von oben

Auch Füchse zieht die Hühnerschar magnetisch an. Satte 50 Hennen bekam ein einziger Vierbeiner bei seinem Durchlauf zwischen die Zähne. Seither soll Schutzhündin Heidi das Schlimmste verhindern. Am liebsten döst sie inmitten der Masthendln. Selbst Appetit auf flatternde Flügel zu bekommen liegt der imposanten Hundedame aus dem Tierheim fern.

Gebannt ist die dritte Gefahr von oben. Der Überschallknall der Eurofighter ließ Forchers Geflügel reihenweise an Herzinfarkt sterben. Die Bäuerin bat das Heer um Rücksicht. Seither haben die Kampfjets aus dem Aichfeld keines ihrer Tiere mehr auf dem Gewissen.

Der Überschallknall der Eurofighter ließ Forchers Geflügel reihenweise an Herzinfarkt sterben. Die Bäuerin bat das Heer um Rücksicht. Seither haben die Kampfjets keines ihrer Tiere mehr auf dem Gewissen.
Foto: Rainer Wegscheidler

Im von Tageslicht durchfluteten Stall picken braun-weiß gesprenkelte Hennen und Hähne unter Holzgiebeln gurrend an Strohhalmen, baden auf der Wiese in den ersten warmen Sonnenstrahlen des Aprils, messen sich gackernd in harmlosen Scharmützeln, ehe kalter Wind sie zurück ins Gehege treibt. 58 Tage sind sie alt. Der 59. wird ihr letzter.

28 Tage lebten sie als Küken im mit Biomasse geheizten 36 Grad warmen Gebäude nebenan. Ein unbedachter Kläffer von Hofhund Heidi, und die nächste Generation an gelben Federbällchen wogt darin wie eine Welle von einem Fenster zum anderen, ehe sich die ersten wieder auf Sitzstangen wagen.

28 Tage leben die Hühner als Küken im geheizten Stall unter Dach. 30 Tage lang laufen sie täglich ins Grüne.
Foto: Rainer Wegscheidler

Die übrigen 30 Tage hatten die Hühner morgens bis abends Zugang zu einem Sandbad im Wintergarten und einer Terrasse. Steile Wiesen unter Bäumen und Büschen stärkten ihre Muskeln. "Gut sind sie gewachsen", sagt Gerhard Forcher und legt ihnen ein letztes Strohbündel zwischen die Futterautomaten.

Hühner verzeihen keinen Stress

Das Verladen beginnt nachts um elf Uhr in völliger Dunkelheit. Der Landwirt teilt den Stall durch Gitter, packt das Geflügel mit Helfern in Kisten. Nach einer Stunde ist der Stall leer. Ein Lkw fährt es zu einem Schlachthof in Oberösterreich. Gegen drei Uhr früh startet die industrielle Verarbeitung am Fließband.

Für das Einsammeln der Tiere brauche es Ruhe, Schnelligkeit und Erfahrung, sagt Forcher. "Jeder Handgriff muss sitzen, keiner will Panik, denn Hühner verzeihen keinen Stress." Wer das nicht ernst nehme, riskiere Hunderte verletzte und tote Tiere, die sich gegenseitig erdrückten und erstickten.

140 Hühner haben Karin und Gerhard Forcher am Montag vor Ostern geschlachtet und für den Verkauf ab Hof vorbereitet. Kein Fließband treibt sie an. "Wir geben den Tieren die Zeit zum Sterben, die sie brauchen."
Foto: Rainer Wegscheidler

Seine Familie investierte Mitte der 90er-Jahre rund eine halbe Million Euro in die Stallungen. An Kritik an der großangelegten Mast oben auf dem Berg fehlte es unten im Tal damals nicht. Doch wer Handelsketten beliefern und davon leben will, braucht Mindestgrößen. Heute ist der Hof Vorbild für Selbstversorger, die sich hier Rat für eigene Hühner holen.

Kein Streichelzoo

Ob bio oder konventionell: Mit einem Streichelzoo hat Fleischproduktion für Österreichs Supermärkte nichts gemein. Vom Ei bis zu seinem Tod durchläuft ein Huhn vier Betriebe. Die Prozesse sind standardisiert, die finanziellen Spielräume gering. Verlängert sich die Haltung einer Herde um wenige Tage, wird sie rasch zu einem Verlustgeschäft. Wie stark die Branche von Effizienz und Preisdruck getrieben ist, offenbarten erst jüngst von Tierschützern aufgedeckte Missstände.

Im Gegensatz zu Schweinernem steigt der Bedarf an Huhn. Fast 16 Kilo verzehrt ein Österreicher im Schnitt im Jahr, fünf Prozent davon in Bioqualität.
Foto: Rainer Wegscheidler

30 bis 40 Tage währt das Leben eines konventionellen Huhns, ehe es lange vor der Geschlechtsreife sein Schlachtgewicht von 2,40 Kilo erreicht. Den Stall kennt es nur von innen. Einen Quadratmeter unter künstlicher Beleuchtung teilt es sich mit bis zu 18 Artgenossen. Zehntausende drängen sich in einer kargen Halle. Kreislauf und Skelett halten mit dem rasanten Wachstum, das auf Brustfleisch getrimmt ist, nicht mit. Turbozucht macht die Tiere anfällig für Verletzungen und Missbildungen.

Langsam wachsende Rassen

Karin Forcher entschied sich für langsam wachsende Rassen. Ihre Hühner, die ihr eine Biobrüterei in Schlierbach als Eintagesküken liefert, leben doppelt so lange wie konventionelle. Maximal 4800 Hühner dürfen in den Stall – unter Dach nicht mehr als zehn pro Quadratmeter. Auslauf ins Freie haben sie täglich bei jedem Wetter.

Bio-Standards und Tierwohl werden jeweils einmal jährlich geprüft. Dazu kommen laufende tierärztliche Kontrollen, vom Stiefeltupfer, der einer bakteriellen Analyse des Hühnerkots dient, bis zur Lebendbeschau.

"Schön ist es nie, das Sterben", sagt Karin Forcher. Aber unsere Arbeit ermöglicht gute Lebensmittel. Jemand muss sie tun."

Antibiotika habe sie bisher noch keines einsetzen müssen, sagt Forcher und sucht nach Holz, auf das sie klopft. Um Krankheiten vorzubeugen, setze sie Kamillentee, Heublumen und Fichtennadeln ein. Viermal täglich hält sie im Stall Nachschau, bei Küken bis zu siebenmal. "Man arbeitet mit allen Sinnen. Fühlt sich eine Herde nicht wohl, höre ich das."

Für ein Kilo an konventionellem Hühnerfleisch braucht es 1,5 Kilo Getreide. 2,2 sind es in der Biomast. Futter, das Forcher anders als Lohnmäster selbst kauft, macht zwei Drittel ihrer Gesamtkosten aus. Die Preise dafür sind innerhalb eines Jahres um 40 Prozent gestiegen.

Gern würde die Bäuerin mit Wissenschaftern zusammenarbeiten, um herauszufinden, wie sich günstigere Mehlwürmer auf Wachstum und Qualität ihrer Hendln auswirken. "Sie sind schließlich Allesfresser." Zu Vegetariern machte diese erst die Fleischwirtschaft.

Zart, fest, saftig

Zart, fest und saftig sei das Fleisch eines Biohuhns, ist sich Forcher sicher und bereitet es selbst am liebsten paniert mit Chili zu. Um nicht nur laufende Kosten zu decken, wären 14,90 Euro fürs Kilo nötig. Im Ab-Hof-Verkauf unter dem Namen Sunhendl verlangt sie dennoch zwei Euro weniger. Zu groß ist die Angst, in Zeiten der Teuerung Kunden zu verlieren.

Im Gegensatz zu Schweinernem steigt der Bedarf an Huhn. Fast 16 Kilo verzehrt ein Österreicher im Schnitt im Jahr, fünf Prozent davon in Bioqualität. Corona kurbelte den Absatz an. Auch der Sunhendl-Hof kam mit seiner Aufzucht kaum nach.

Doch seit Konsumenten im Banne der Inflation beim Kauf von Lebensmitteln sparen, erlosch die Liebe zur Regionalität, und Bioware blieb in den Regalen liegen.

Die Biohühner helfen dabei, den jahrhundertealten Bergbauernhof zu erhalten.
Foto: Rainer Wegscheidler

"Viele Konsumenten wollen billiges Fleisch, woher es kommt und unter welchen Bedingungen die Tiere leben, ist zweitrangig", zieht Gerhard Forcher Bilanz, nachdem er die Stallkluft abgestreift hat und sich einen Kaffee gönnt. Zum Vorwurf will er das niemandem machen, "nur wenige wissen, was wirklich hinter Fleischproduktion steckt".

Offene Türen

Karin Forcher hält nichts von verschlossenen Stalltüren. Kindergärten und Schulen besuchen ihre Hühner ebenso wie Kunden aus der Stadt, die sich selbst ein Bild von Landwirtschaft machen wollen. Das Schlachten auf dem Hof ist dabei kein Tabu.

140 Hühner hat die Bäuerin mit ihrer Familie am Montag vor Ostern für den Verkauf vorbereitet. Keine Maschine, kein Fließband treiben sie an. Schön sei es nie, das Sterben, sagt Forcher, diesmal mit Nachdruck. "Aber wir geben den Tieren die Zeit, die sie dafür brauchen." (Verena Kainrath, 9.4.2023)