Von den beiden für eine Abtreibung genutzte Arzneien könnte eine schon bald in den USA verboten sein.

Foto: APA/AFP

Rund 50 Jahre folgten die Regelungen und die Politik rund um Schwangerschaftsabbrüche in den USA einem klaren Drehbuch: Die Justiz sorgte dafür, dass Abtreibungen legal bleiben. Gleichzeitig half das kontroverse Thema den Republikanern, christliche und konservative Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren, und brachte ihnen vor allem im Süden und Westen zahlreiche Wahlsiege und Mehrheiten im Kongress.

Seitdem der Oberste Gerichtshof im Sommer 2022 das Grundsatzurteil Roe vs. Wade zur Legalisierung der Abtreibung aufgehoben hat, ist diese politische Dynamik ins Gegenteil gekippt: Die Parlamente gewisser Bundesstaaten erlassen immer strengere Abtreibungsverbote und werden dabei von einzelnen Richtern mit skandalösen Urteilen unterstützt. Aber wo immer das Thema in einem Wahlkampf eine Rolle spielt, mobilisieren die Demokraten Frauen und jüngere Wählerschichten, während die Republikaner abstürzen.

Eine deutliche Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner will, dass Schwangerschaftsabbrüche in vielen Fällen erlaubt bleibt. Nur unter den republikanischen Wählern überwiegen die radikalen Abtreibungsgegner.

Wahlerfolg in Wisconsin

Das führt zu gegenläufigen Entwicklungen, die ein völlig verrückten politisches Bild ergeben. So hat vergangene Woche zuerst eine progressive Kandidatin für das Höchstgericht im eher konservativen Bundesstaat Wisconsin die Wahl mit deutlicher Mehrheit für sich entscheiden und damit die rechte Mehrheit im Gerichtshof gebrochen – ein Sieg, der massive Folgen nicht nur für Wisconsin, sondern auch für zukünftige Präsidentenwahlen haben kann. Denn Joe Biden hat den Staat nur knapp gewonnen, und die große republikanische Mehrheit im Staatsparlament könnte das nächste Mal ein solches Ergebnis für ungültig erklären, wenn das Höchstgericht es lässt.

Das entscheidende Wahlkampfthema in der bisher teuersten Wahl für einen Richtersitz aber war das Recht auf Abtreibung. Auch das schwache Abschneiden der Republikaner bei den Kongresswahlen im November 2022 wird zum Teil darauf zurückgeführt. Dank des Anti-Abtreibungsfanatismus der Republikaner haben die Demokraten die Chance, in den kommenden Jahren zur klaren Mehrheitspartei im Land zu werden.

Anmaßung eines einzelnen Richters

Aber bis dahin ist noch ein langer Weg, auf dem die Rechte vieler verzweifelter Frauen auf der Strecke bleiben. Die einstweilige Verfügung, mit der ein erzkonservativer Bundesrichter in Texas die Zulassung der Abtreibungspille Mifepriston durch die Arzneimittelbehörde FDA nach mehr als 20 Jahren gekippt hat, ist ein potenziell schwerer Schlag für Frauen. Denn rund die Hälfte aller Abtreibungen werden heute medikamentös vorgenommen, auch in Bundesstaaten, in denen es eigentlich verboten ist. Mifepriston und Misoprostol, das danach eingenommen wird, gelten als besonders sicher. Mit Misoprostol allein kann eine Schwangerschaft ebenfalls abgebrochen werden, aber das ist weniger effektiv.

Das Urteil ist absurd, denn einem einzelnen Richter fehlt die fachliche Kompetenz, die Entscheidung einer Bundesbehörde wie der FDA einfach für ungültig zu erklären. Hinzu kommt, dass ein anderer Bundesrichter im progressiven Bundesstaat Washington am gleichen Tag das Gegenteil entschieden hat: Die FDA müsse demnach die Zulassung aufrecht erhalten.

Nun wandert die Causa wohl zum Obersten Gerichtshof der USA, wo seit 2020 allerdings auch eine solide rechte Mehrheit existiert. Man wird sehen, ob sich die fünf erzkonservative Richter und Richterinnen trauen, den Unsinn ihres texanischen Kollegen zu bekräftigen. Aber zuzutrauen ist es ihnen. Das würde allerdings dazu führen, dass keine Entscheidung der Exekutive, und sei sie wissenschaftlich noch so gut abgesichert, vom Wahn einer politisierten Justiz sicher ist.

Riskant für die Republikaner

Sollte es tatsächlich dazu kommen, dass Mifepriston verboten wird, dann dürfte das den Republikanern weiteren politischen Schaden zufügen und könnte sogar dazu beitragen, dass Biden 2024 wiedergewählt wird. Republikanische Strategen wissen, wie gefährlich das Thema für sie ist, können aber gegen den Eifer der Basis und vieler politischen Repräsentanten nichts tun.

Und auch dann werden weiterhin die Rechte von Zehntausenden amerikanischen Frauen mit den Füßen getreten und sich unzählige Fälle privater Tragödien ereignen, so etwa wenn Ärzte in medizinischen Schwangerschaftsnotfällen nicht eingreifen, weil sie sich fürchten, in ihrem Bundesstaat wegen illegaler Abtreibung verfolgt zu werden.

Der politische Nutzen dieser Entwicklung ist für sie nur ein schwacher Trost. (Eric Frey, 8.4.2023)