Nicht die schlanke Formulierung liegt Leander Fischer nahe, sondern die ausladend extravagante, mitunter wuchtig pathetische. Das hat der 1992 in Vöcklabruck geborene Autor vor drei Jahren mit dem 800-seitigen Debüt Die Forelle rund ums Fliegenfischen deutlich gemacht. Im neuen Buch kommt Fischer mit 300 Seiten weniger aus. Man kann dennoch sagen, es ist die am meisten Mühe erfordernde Lektüre des Frühjahrs. In langen, beistrichreichen Sätzen kommen auch die Worte "OMG" und "asshole dude" vor. "And now?"

Gute Frage! Kristallisationspunkt von Die Doppelgänger ist das Zwillingspaar Nik und Vik. Dazu kommen Niks Freundin Marlene und Viks Freundin Elena. Es zeichnet sie in der Wiener Altbauwohnung eine Verachtung fürs Bürgerliche wie für Start-up-Karrieristen aus. Zum leichten Grind gehört ein aus einer Kirche entwendetes und zum profanen Gebrauch als Schreibmöbel gestutztes Bibelpult. Denn Marlene hat den Besuch der Hildesheimer Schreibschule vorzuweisen, und Elena malt nach gescheiterten Ambitionen auf die Wiener Kunstakademie (!) Bilder, die etwa "Schneehase" heißen und so differenziert werden: "ein toilettenweißes DIN-A4-Blatt, nur durch Rahmung von der Wand unterschieden".

Rotwein und Zigaretten

Diese Antihelden stehen also gut im Ironiesaft. Elenas Psychologin spricht von "transzendentaler Obdachlosigkeit". Neben Rotwein und Zigaretten verköstigen sie sich im Schweizerhaus mit Stelze und foppen nebenbei die Kellner. Im Gasthaus bricht das Chaos aus.

Auffällig bekannt ist hier alles, wie schon in Die Forelle spielt der im kreativen Schreiben in Hildesheim ausgebildete und in Berlin lebende Fischer mit angriffigem Humor Österreich durch. Mit den Zwillingen hat Fischer die Herkunft aus Oberösterreich gemein. Aufgewachsen sind jene im Salzkammergut, also in der Provinz eines "bewaldeten, verwilderten, alkoholüberfluteten, zigarettennebelverhangenen, männerbündlerischen und verzwergten" Landes, geprägt vom "anachronistischen Katholizismus".

Kleinfamilie, Einfamilienhaus, Wirtshaus? Jede Idylle wird als Trug entlarvt. Kein Wunder, bereut die aus Düsseldorf zugezogene Mutter dies doch schon bei der Geburt der Söhne. Man erfährt achronologisch vom Damals und Heute schlaglichthaft. Szenenschnipsel gehen wie im Fiebertraum ineinander über. Komische Stellen wechseln sich dabei mit reichlich strapaziösen ab.

Dem Autor ist alles gleich

Man vermag nicht zu sagen, ob Fischer ein detailverliebter Tüftler ist – oder ob das Lektorat einfach manchmal von so viel Sprachlust geplättet wurde. Ist ein Bild schief oder kreativ, wenn darin Licht "grinsend" "gleißt"? Die Satzgirlanden lassen sich irgendwann kaum mehr anders bewältigen, als dass man sie über sich hinwegspülen lässt. Es braucht Geduld, will man Fischer in alle Winkel folgen. Der Glutkern des Buches besteht aus Lebensgefühlproben, Kuriositäten und Originalitätsbeweisen. Eine Geschichte wird daraus leidlich.

Die Buben bei der Beerdigung des Vaters, Wiener Straßenbahnoriginale, ein Zeichenlehrer mit einem Faible für Drachen und ein von Mafiosi gejagter blinder Schneider. Ein Kerzenwachsschnitz-Workshop, ein Wirtshausbrand, das Ausnutzen des Zwillingsvorteils bei der Matura: Vor dem Autor ist alles gleich. (Michael Wurmitzer, 11.4.2023)