Assia Djebars "The Nouba of the Women of Mount Chenoua" (1978) wurde nur einmal im algerischen Fernsehen ausgestrahlt, weil er als zu feministisch galt.

Foto: Österreichisches Filmmuseum

"Der Westen hat eine spezifische Idee davon, wie die arabische Welt aussieht: Frauen haben keine Stimme, und der Islam ist eine repressive Religion." Neu sei dieser vorurteilsbehaftete mediale Blick auf die arabische Welt nicht, so Stefanie Van de Peer, Kuratorin der derzeit im Österreichischen Filmmuseum laufenden Retrospektive zu arabischen Dokumentarfilmemacherinnen. Er zeugt von der imperialen Geschichte. Dass aber die Lebensrealitäten im arabischen Raum ungleich komplexer und vielfältiger waren als bisweilen angenommen, zeigen die Filmdokumente von arabischen Regisseurinnen zwischen 1970 und 2006: "Gerade politische Filme aus der Region, Filme, die sich der Rolle der Frauen zuwenden, öffnen unsere Augen und unseren Geist für die gelebte Erfahrung dieser Frauen, die ihre Haltungen stolz vertreten und emanzipiert sind", so Van de Peer.

Oft wird vergessen, dass die Frauenbewegung der 1970er auf der ganzen Welt stattgefunden hat. Viele der nun zu sehenden Filme zeugen davon und fielen deshalb der Zensur zum Opfer, etwa Fatma 75 der tunesischen Regisseurin Selma Baccar: "Ein mächtiger, zutiefst politischer und teils sehr sarkastischer Film darüber, wie Männer Frauen behandeln." Van de Peers Filmauswahl reicht von den 1970er-Jahren, ihrem Spezialgebiet, bis in die frühen 2000er-Jahre. Die unabhängigen Dokumentarfilme der syrischen Filmemacherin Hala Alabdalla etwa sind nur wenige Jahre vor dem Arabischen Frühling und dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs angesiedelt.

Fokus auf Jocelyne Saabs Reportagen

Besonderes Augenmerk liegt auf der libanesischen Journalistin und Dokumentaristin Jocelyne Saab, die in sieben Programmen vertreten ist. Niemand sonst, so Van de Peer, habe die Fähigkeit gehabt, Revolutionären, Diktatoren und normalen Menschen gleichermaßen "die richtigen Fragen" zu stellen. Durch Saabs Reportagen gewinnt man ebenso Einblick in das urbane Ägypten wie in ihre Heimatstadt Beirut, und sie fokussiert die zentralen politischen Bewegungen der späten 1970er-Jahre, etwa die Machtkämpfe in der Sahara oder die Auswirkungen des libanesischen Bürgerkriegs.

Jocelyne Saab trat in ihren Reportagen über die zentralen Konflikte des arabischen Raums selbst vor die Kamera.
Foto: Österreichisches Filmmuseum

Gerade ihr Blick auf den Status quo revolutionärer Umbrüche, ohne deren Ausgang zu kennen, macht Saabs Reportagen sehenswert. Denn hätte die überzeugte Feministin das repressive Ende der iranischen Revolution gekannt, hätte sie diese wohl weniger wohlwollend als in Iran: L'Utopie en marche porträtiert. In der Reportage von 1980 spricht Saab mit iranischen Revolutionären, aber auch mit jenen, die den Umbrüchen kritisch oder ohnmächtig gegenüberstehen. Darunter sind junge Studentinnen mit offenem Haar und westlicher Kleidung, aber auch Heroinabhängige in den Drogenvierteln der Großstadt, die sich, seitdem Vergnügungen und Alkohol verboten sind, in heruntergekommenen Baracken und auf offener Straße berauschen. Damit setzt Saab dann doch noch dem gängigen Propagandanarrativ, der Westen sei ein amoralischer Drogenpfuhl, einen anderen Blick auf die iranische Revolution entgegen.

Begegnung mit Heiny Srour

Ebenfalls aus dem Libanon stammt die Dokumentarfilmerin Heiny Srour, die mit ihrem Erstling The Hour of Liberation Has Arrived 1974 den ersten abendfüllenden Dokumentarfilm einer arabischen Frau vorgelegt hat. Srour lebt nun in Frankreich und ist diesen Donnerstag zur Vorstellung ihres Films, der die Revolte der Dhufar-Befreiungsfront gegen das anglo-sultanische Regime Anfang der 1970er-Jahre im Oman zeigt, im österreichischen Filmmuseum zu Gast. Im Gespräch mit dem Standard erinnert Srour sich gerne an die Zeit zurück, als ihr Film erstmals einen einzigartigen Blick in die arabische Welt ermöglichte.

Heiny Srours "The Hour of Liberation Has Arrived" war die erste arabische Doku einer Frau.
Foto: ÖFM

Srour, die jüdischer Herkunft ist und sich nach wie vor als Sozialistin bezeichnet, hatte kurz vor dem Filmdreh bereits den Respekt vor der arabischen Linken verloren. Grund war der Antisemitismus: "Man kann nicht Sozialist und Rassist sein!" Auch die Frauenfrage sei von den politischen Kräften im arabischen Raum abgeblockt worden. Obwohl die Lebensrealität vieler Frauen im Libanon und in Ägypten bereits liberal gewesen sei, seien die geltenden Gesetze doch veraltet gewesen, und es grassierten Femizide in Form von "Ehrenmorden": "Wenn man einen Hund tötete, kam man für drei Jahre ins Gefängnis, aber wenn man eine Frau tötete, konnte man – abhängig vom Richter – mit einem Tag davonkommen."

"Ein arabischer Mann, der auf die Frauenbefreiung zu sprechen kam? Ich dachte, ich halluziniere wegen der Hitze."

Lebensgefährlicher Dreh im Oman

Als Srour um 1970 den Anführer der Dhafar-Befreiungsfront kennenlernte und dieser die Befreiung der Frau als Teil ihres Kampfes definierte, traute sie ihren Ohren kaum: "Ein arabischer Mann, der auf die Frauenbefreiung zu sprechen kam? Ich dachte, ich halluziniere wegen der Hitze." Aber es stellte sich als Realität heraus, die Srour in ihrer Dokumentation eindrücklich ins Bild setzt.

In Srours Worten fächert sich die Entstehung von The Hour of Liberation Has Arrived wie eine Erlebniserzählung auf: tagelange Märsche durch die Wüste, zu essen nichts als Reis, minendurchsetzte Straßen. "Ich hatte eine Riesenangst. Ich schrie immer, wenn die Bombardements kamen, und ruinierte so die Aufnahme. Der Tontechniker, der ohnehin schon unheimlich schweres Equipment mit sich herumschleppte, nannte mich von da an eine Scheiß-Regisseurin. Aber ich war sehr stolz darauf, so genannt zu werden, denn ich lernte, meine Angst vor den Bombardements und den Minen zu überwinden." (Valerie Dirk, 12.4.2023)