Die deutsche Ampelkoalition setzt eines ihrer meistbeachteten Wahlversprechen vorerst nur in aufgeweichter Form um. "2023 Bubatz legal" hatte FDP-Finanzminister Christian Lindner noch im vergangenen Herbst in einem Interview – vermeintlich szenetypisch – geantwortet, als er nach dem Stand der Dinge in Sachen Cannabis-Legalisierung in Deutschland gefragt wurde. Und Ende Oktober hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die vollständige Freigabe von "Gras" und Haschisch "zu Genusszwecken" im ZDF noch als "Königsweg" gepriesen.

VIDEO: Auch in der Schweiz setzt man neue Impulse in Sachen Cannabis-Politik.
DER STANDARD

Nun hat der Koalitionsbetrieb – aber auch Bedenken hinsichtlich des EU-Rechts – die Pläne der drei Berliner Ampelparteien vorerst aber verwässert. "Mehr Sicherheit, Konsum einschränken, Schwarzmarkt bekämpfen", definierte Lauterbach am Mittwochvormittag in seiner lange erwarteten Präsentation im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin die Eckpunkte seiner Reform. Diese musste – verglichen mit dem Erstentwurf im vergangenen Jahr – freilich einiges an Federn lassen.

Bis zu drei "weiblich blühende" Cannabispflanzen dürfen künftig in Deutschland wohl besessen werden.
Foto: APA/dpa/Sebastian Kahnert

Deutschland geht, wenn es nach Lauterbach und seinem grünen Kollegen aus dem Landwirtschaftsressort, Cem Özdemir, geht, nämlich erst einmal nur einen Schritt voran, was die Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken betrifft. Dass es nicht zwei werden, wie die rot-grün-gelbe Ampelkoalition eigentlich geplant hatte, ist Pragmatismus geschuldet – und der Rücksicht auf die EU-Partnerstaaten.

Keine Steuermillionen

Anstatt der vollständigen Freigabe von "Gras" und Haschisch wird es nun erst einmal eine Legalisierung "light": Staatlich kontrollierte Abgabestellen für Cannabis-Produkte wird es nach den neuen Plänen nicht geben – und damit auch nicht die Millionen an neuen Steuereinnahmen, die von Befürworterinnen und Befürwortern in Aussicht gestellt wurden.

Nur in einzelnen Modellregionen sollen, wissenschaftlich beobachtet, Lokale ähnlich jenen in einigen US-Bundesstaaten entstehen, in denen Erwachsene legal einkaufen können.

Kommerzielle Abgabestellen – so wie auf diesem Bild in Los Angeles – sollen in Deutschland so gut wie nicht entstehen. Nur in einzelnen Modellregionen soll experimentiert werden.
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Geplant war Größeres: In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich SPD, Grüne und FDP noch auf die "kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften" geeinigt.

Legalisiert wird hingegen der Anbau in Eigenregie – wenn auch in engen Grenzen: Höchstens "drei weibliche blühende Pflanzen pro volljährige Person" dürfen zwischen Sylt und Schneizlreuth künftig auf dem heimischen Fensterbrett gezogen werden, solange Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren fernbleiben, erklärte Lauterbach.

Özdemir kündigt Amnestie an

Wer wegen Cannabis-Besitzes verurteilt wurde, kann nun mit einer Amnestie rechnen, kündigte Landwirtschaftsminister Özdemir an. Diese Verurteilungen kann man aus dem Bundeszentralregister löschen lassen. Wenn das neue Gesetz dann in Kraft tritt, werden laufende Ermittlungs- und Strafverfahren eingestellt.

Überhaupt wolle die Regierung mit der Reform junge Menschen schützen, betonten beide Minister. Präventionsprogramme sollen Minderjährige vor Cannabis-Konsum bewahren, Depressionen, Psychosen und Angststörungen seien schließlich "messbar" wahrscheinlicher, wenn Minderjährige Cannabis konsumierten. "Unser Ziel ist, mehr Sicherheit zu schaffen", sagte Lauterbach. "Niemand soll mehr bei Dealern einkaufen müssen", fügte Özdemir an.

Vorbild Barcelona

Spanien, vor allem die katalanische Hauptstadt Barcelona, dürfte Vorbild für einen zentralen Eckpunkt der neuen deutschen Cannabis-Politik sein: Bis zu 25 Gramm der Droge können zukünftig in sogenannten Cannabis-Social-Clubs (CSC) erworben werden, wie es sie allein in Barcelona zu Hunderten gibt. "Dort wird Cannabis zukünftig nicht-kommerziell produziert für die Mitglieder", so Lauterbach. Maximal 500 Mitglieder soll einer dieser Clubs haben dürfen.

Die "staatlich kontrollierte Lieferkette", wie sie im Koalitionsprogramm festgeschrieben stand, wird vorerst aber nicht umgesetzt. Denn weder der Anbau noch der Transport der Ware in die geplanten Clubs wird in der ersten Phase gemäß den Plänen unter Aufsicht der Behörden abgewickelt.

Dies solle aber in Zukunft so schnell wie möglich geändert werden, betonte Lauterbach. "Eine konzertierte Aktion" der Bundesregierung solle in Europa für Berlins "progressive Präventionspolitik" werben, um die EU-rechtlichen Bedenken auszuräumen. Deutschland könne so zum Vorbild für andere Staaten werden.

Vor allem die Bedenken aus Brüssel dürften nämlich zu der vorläufigen Verwässerung beigetragen haben. Rechtlich ist die Materie tatsächlich durchaus heikel, hat sich Deutschland als Schengen-Mitglied doch dazu verpflichtet, "die unerlaubte Ausfuhr von Betäubungsmitteln aller Art einschließlich Cannabis-Produkten sowie den Verkauf, die Verschaffung und die Abgabe dieser Mittel mit verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Mitteln zu unterbinden".

Kurzfristig nicht umsetzbar

"Was wir hier machen, ist nichts anderes, als die Vogel-Strauß-Politik der vergangenen Jahre in der Vergangenheit zu lassen", sagte Landwirtschaftsminister Özdemir, dessen Partei seit Jahrzehnten auf eine Liberalisierung des Cannabis-Verbots pocht. Der Konsum der Droge in weiten Gesellschaftsschichten sei eine Realität, die man nicht wegdiskutieren könne. "Diese Politik, die bisher betrieben wurde, ging zulasten der Kinder und Jugendlichen, aber auch der Strafverfolgungsbehörden. Das Ziel, Menschen vom Konsum abzuhalten, wurde zu keinem Zeitpunkt erreicht", erklärte er.

Auch wenn Lauterbach und Özdemir betonen, dass die nun geplante "Legalisierung light" nur ein erster Schritt sein könne: Der große Schlag gegen den Cannabis-Schwarzmarkt, den sich Befürworterinnen und Befürworter erhofft haben, wurde nun aber erst einmal abgesagt – oder zumindest verschoben. (Florian Niederndorfer, 12.4.2023)