Das Stück des Vaters, die Regie der Tochter und im Mittelpunkt die Mutter: "Mein Satz" mit Libgart Schwarz.

Foto: Amina Handke

Die Zeiten standen auf Protest. Auf der Straße skandierten die Studenten Parolen, in den Theatern wurden die Stücke auf ihr "Engagement" abgeklopft. Nur wer sich der Arbeiterklasse annahm oder zumindest ein politisches Programm mitlieferte, galt etwas in den Augen der nickelbebrillten Revolutionäre. Der junge Peter Handke konnte weder mit dem einen noch mit dem anderen dienen.

Als sein Stück Kaspar 1968 im Frankfurter Theater im Turm von einem gewissen Claus Peymann uraufgeführt wurde, hatte Handke zwar bereits eine veritable Publikumsbeschimpfung hinter sich, mit einer vulgär-politischen Programmatik hatte er aber nichts am Hut. Lieber spürte er auf den Spuren eines Ludwig Wittgenstein dem Verhältnis von Mensch und Sprache nach. Disziplinierung, so die Überzeugung, geschieht nicht nur durch gesellschaftliche Institutionen wie Schule oder Gefängnis, sondern auch durch die Sprache selbst. Damit konnten dann auch wieder die protestierenden Studenten etwas anfangen, weswegen Kaspar bald zu einem modernen Klassiker aufstieg.

Experimentalstück

Im Zentrum des Experimentalstücks: eine Person, die sich der Sprache erst bemächtigen muss bzw. derer sich die Sprache bemächtigt. Eine "Sprechfolterung" nannte Handke selbst das Stück. Das Vorbild war natürlich Kaspar Hauser, ein junger Mann, der an einem Pfingstmontag zu Anfang des 18. Jahrhunderts wie aus dem Nichts auftauchte und dessen Wortschatz äußerst begrenzt war. Mehr als den Namen hat Handkes Figur mit Hauser aber nicht gemeinsam.

Erster Langfilm

Auf Bühnen ist Handkes Frühwerk so gut wie gar nicht mehr zu sehen, jetzt hat sich allerdings die in Wien lebende Handke-Tochter Amina des Stoffs in Form eines Langfilms angenommen, mit sich selbst als einer der Protagonistinnen. In der Gestalt von Kaspar: ihre Mutter und seinerzeitige Lebensgefährtin Handkes, die Schauspielerin Libgart Schwarz. Eine Familienaufstellung, so würden Psychologen dazu sagen, doch der über 80-minütige Film reicht weit über diese persönlich-anekdotische Ebene hinaus. Amina Handke geht mit dem Stück ihres Vaters nämlich recht frei um, sie kürzt radikal, hält sich aber prinzipiell an dessen Dramaturgie.

Mit Caroline Peters

Am Ticketautomaten in der U-Bahn nimmt die Sprachverwirrung ihren Ausgang, mit einem Nickerchen im Holzbett hat sie ein Ende. Dazwischen erschafft Handke Bilder, die zwischen Illustration und Assoziation schwanken, die mal gewitzt und manchmal ganz schön tiefgründig sind. Theater und Film werden selbst zum Thema, ein Esel tritt auf, und eine Lautsprecherdurchsage der Schauspielerin Caroline Peters im ÖBB-Zug wird gar zu einer absurden Nummer.

So etwas wie eine Geschichte erzählt auch Mein Satz nicht, wie das Stück verlangt auch der Film den Zusehern einiges ab. Belohnt wird man allerdings mit der Wiederentdeckung eines wichtigen Stücks – und der Wiederbegegnung mit einer Schauspielerin, die man im Theater- und Filmalltag viel zu lange nicht mehr gesehen hat. (Stephan Hilpold, 13.4.2023)