Es war der 15. April 2019, circa 18.30 Uhr, als auf Twitter-Videos eine Rauchsäule über der französischen Hauptstadt zu sehen war. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht: Flammen in einem der prächtigste Baujuwele von Paris, der 850 Jahre alten Kathedrale Notre-Dame.

15. April 2019: Notre-Dame brennt.
Foto: Thomas SAMSON / AFP

Ungläubig lehnte ich mich aus dem Fester meiner damaligen Wohnung im 19. Pariser Arrondissement. Von hier konnte ich wie immer einen Blick auf die grauen Dächer der Innenstadt erhaschen. Und tatsächlich ragte dort eine riesige Rauchwolke in den Himmel.

Ich packte Laptop und Fotokamera ein und eilte in Richtung Zentrum – während einige STANDARD-Kolleginnen und -Kollegen in Wien ihren Feierabend absagten: Es bahnte sich eine Tragödie an, die es zu berichten galt.

Sprachlose Zeugen

Ich war nicht die Einzige, die es zur Kathedrale zog: Abertausende Franzosen und Französinnen verließen ihre kleinen Pariser Büros und Wohnungen und drängten an diesem lauen Frühlingsabend in Richtung Île de la Cité. Doch die Brücken, die die Seine-Insel und damit die Notre-Dame-Kathedrale mit der Stadt verbinden, wurden längst von Einsatzkräften verbarrikadiert.

Und so kam es, dass sich die unzähligen Pariserinnen und Pariser an den Seine-Uferstraßen dicht aneinanderdrängten und sprachlos dabei zusahen, wie die Flammen aus ihrem geliebten Wahrzeichen loderten. Als der ikonische Vierungsturm einstürzte, ging ein lautes Raunen durch die Reihen.

Ich bahnte mir einen Weg durch die Menge und nahm vereinzelt Gesprächsfetzen wahr: meist Erinnerungen an besondere Erlebnisse in der Kathedrale oder Lobpreisungen ihrer nunmehr totgeglaubten gotischen Besonderheiten – die farbenfrohen Rosettenfenster, das Rippengewölbe und die Statuen an der Fassade.

Schockstarre und Zusammenhalt

An einer Straßenecke hatte sich eine Menschentraube zu einem Chor formiert und zum Trauergesang angesetzt. Im Hintergrund waren nur das Lodern der Flammen und die Sirenen zu hören. Fassungslosigkeit und Anspannung standen allen ins Gesicht geschrieben. Brandgeruch lag in der Luft – aber auch jenes seltene Gefühl des Zusammenhalts im Angesicht der Tragödie.

6. April 2023: Erzbischof Laurent Ulrich feierte eine Heilige Messe im Dom – natürlich mit Schutzhelm.
Foto: Emmanuel DUNAND / AFP

Eigentlich hatte an diesem Abend ganz Frankreich auf ein Ereignis der anderen Art gewartet: eine groß angekündigte Rede von Präsident Emmanuel Macron. Pünktlich zur Hauptsendezeit wollte er um 20.00 Uhr seine Bilanz über die von ihm angestoßene Bürgerbefragung – den Grand Débat National – präsentieren.

Die landesweite Debatte war seine Antwort auf die sogenannten Gelbwesten gewesen – jene breite Protestbewegung, die erst wenige Monate zuvor (im Herbst 2018) aus der Unzufriedenheit über die geplante Energiewende und höhere Preise an der Zapfsäule entstanden war. Während sich in Frankreich viele mit ihren Anliegen solidarisierten, stießen ihre Straßenblockaden und auch Gewaltausbrüche auf große Ablehnung.

Nation von Bauherren

Doch an diesem Abend war all das für ein paar Stunden vergessen. Macron sagte die Rede ab und begab sich stattdessen vor die Kameras vor der brennenden Kathedrale und erklärte die Tragödie zur Chefsache. Am nächsten Tag zeigte er sich von seiner pragmatischen Seite und versprach, dass Frankreich – "eine Nation von Bauherren" – das Bauwerk innerhalb von fünf Jahren wieder instandsetzen werde.

Lange wurde diese Ansage angezweifelt. Immerhin hatten die Flammen große Zerstörung angerichtet, und durch die Verbrennung von tonnenweise Blei war das gesamte Areal verseucht. Erstaunlicherweise blieben jedoch etwa die drei Fensterrosen und die große Orgel weitgehend unbeschädigt.

Nun rückt die Fertigstellung der Restaurierung der Kathedrale tatsächlich rechtzeitig in absehbare Nähe: Ab 8. Dezember 2023, einem der höchsten Marienfesttage, soll sie wieder für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Dass dieses Datum möglich scheint, liegt auch an der unvergleichlichen Spendenflut, die Frankreich für den Wiederaufbau in den Tagen nach der Katastrophe empfing: fast eine Milliarde Euro.

Es geht voran: Emmanuel Macron bei der Baustellenbesichtigung am 14. April 2023.
Foto: REUTERS/Sarah Meyssonnier

Eichen für neue Turmspitze gefällt

So konnte finanziert werden, dass Steinmetze die Blöcke vor Ort wie zu Zeiten der Baumeister (Grundsteinlegung im Jahr 1163) anpassten, dass bunte Glasfenster in Köln restauriert wurden und die ganz besondere Akustik wieder hergestellt wird. Für den 15. April – den vierten Jahrestag – ist die Errichtung eines riesigen Holzsockels geplant, der das gesamte Gewicht der berühmten Vierungsturmspitze tragen soll. Sie wurde bei dem Brand, dessen Ursache bis heute ungeklärt ist, ja komplett zerstört und daher aus den gleichen Baumaterialien (500 Tonnen Eichenholz und 250 Tonnen Blei) komplett neu errichtet.

Bei der Reparatur der sozialen Risse im Land war Macron dagegen deutlich weniger erfolgreich – eine Pandemie, eine Wahl, eine Energiekrise und etliche Dürren und Hitzewellen später bleibt die soziale Unzufriedenheit massiv. Wenige Wochen nach dem Brand, als sich Frankreich langsam aus der Schockstarre gelöst hatte, holte Macron zwar seine Rede nach und kündigte zur Befriedung seiner Gegner etwa die Angleichung der Mindestpension an das Inflationsniveau an – heute zeigt aber eben das Thema der Pensionen, dass er unbeliebter denn je ist. (Flora Mory, 15.4.2023)