Andreas Babler war stets ein Kritiker des aus seiner Sicht "neoliberalen" Charakters der EU-Verträge. Das Ansinnen eines Austritts, mit dem er 2011 noch liebäugelte, lehnt er heute aber strikt ab.

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Seine Ideen für die europäische Ebene sind es nicht, mit denen Andreas Babler das sozialdemokratische Publikum zu seiner derzeitigen Wahlkampftour lockt. Im umfangreichen Programmheft des SPÖ- Führungsanwärters taucht die EU ganze zwei Mal auf: Sie soll Privatjets verbieten und eine Finanztransaktionssteuer einheben.

Dass grundsätzliche Ansagen zur Außen- und Europapolitik für den Stimmenfang des Traiskirchner Bürgermeisters bisher keine Priorität hatten, vermag geübte Beobachter nicht zu überraschen. Was in Brüssel, Straßburg und Co. passiert, gilt hierzulande immer noch als sperrig, mit Reden zur europäischen Kooperation entzündet man bei kaum jemandem politische Euphorie. Auch Hans Peter Doskozil spricht in seinem Rennen um die Bundesspitze lieber über Eisenstadt und Pamela Rendi-Wagner hält ihre Funktion als außenpolitische Sprecherin des SPÖ-Klubs im Hintergrund.

Ferne Vergangenheit

Im Unterschied zu Burgenlands Landeshauptmann und zur amtierenden Parteichefin, deren Weltanschauungen erst ab 2016 durch ihre Quereinstiege auf rote Ministerämter öffentlich wahrnehmbar wurden, kann Babler auf eine jahrzehntelange Geschichte von politischem Aktivismus zurückblicken. Und darin spielte die EU für Babler oft sehr wohl ein wichtige Rolle – als Zielscheibe.

Manche Episoden sind lang genug her, um ihre Relevanz für aktuelle Fragen eingebüßt zu haben.In Bablers Jugendphase etwa, an die das Magazin "Profil" am Freitag erinnerte, wetterte er mit seiner niederösterreichische Gruppe in der Sozialistischen Jugend gegen Österreichs Mitgliedschaft im Staatenverbund. Unter prononcierten Linken war diese Position damals allerdings durchaus Gemeingut. Nicht nur die KPÖ, auch die Grünen plädierten bei der Volksabstimmung 1994 für ein Nein zum Beitritt. Kapitalismuskritischer Tenor: Die Union diene aufgrund ihrer marktliberalen Konstruktion hauptsächlich den Interessen von Konzernen, zudem sei ein imperiales Agieren im Verhältnis zu ökonomisch weniger potenten Weltregionen zu befürchten.

Nähere Vergangenheit

Im Laufe der Zeit blieben Klagen über wirtschaftsliberale EU-Vorgaben zwar im linken Repertoire, eine Fundamentalopposition zum Unionsprojekt geriet aber angesichts der fortschreitenden Integration immer mehr ins Abseits. Manch einstige Skeptikerin wandelte sich zur glühenden EU-Befürworterin. Die Perspektive, dass der grenzübergreifende Charakter moderner Probleme die Lösungskompetenz einzelner Nationalstaaten übersteigt und gesamteuropäische Antworten erfordert, setzte sich durch.

In der politischen Landschaft wurde das Ansinnen, den Euroraum oder gar die EU zu verlassen, zum Tabu, an das unter den Parlamentsparteien höchstens die FPÖ anstreifte. Als Heinz-Christian Strache etwa im Jahre 2011 wieder einmal mit dem Szenario eines Ausstiegs kokettierte, erntete er prompt empörte Reaktionen – insbesondere vonseiten der Sozialdemokratie.

Im selben Jahr gründete der 38-Jährige Andreas Babler, Traiskirchner Stadtrat und Mitglied des niederösterreichischen SPÖ-Landesvorstands, eine Regionalgruppe des zivilgesellschaftlichen Vereins "Solidarwerkstatt". In deren Programm ist – wie es auch damals war – neben sozialstaatlichen, ökologischen und antirassistischen Zielen in fetten Buchstaben die Forderung nach einem EU-Austritt zu lesen. Dieser Schritt, heißt es da, sei unabdingbar für eine echte Völkerverbindung und ein "neutrales, solidarisches und weltoffenes Österreich".

EU nicht sozial reformierbar

Babler wurde denn auch anlässlich der Gruppengründung im Freien Radio Freistadt von einem Vereinskollegen interviewt. Er könne sich "zu hundert Prozent" mit dem Programm der Solidarwerkstatt identifizieren, erklärte der SPÖ-Politiker zu seinem neuen Engagement. Ob Babler und seine Freunde aus roten Reihen denn eh kein Problem mit der dezidierten EU-Austrittsforderung des Vereins hätten, hakte der Interviewer nach. Babler verneinte: Gerade ihre strikte EU-Kritik hebe die Solidarwerkstatt unter den progressiven Strömungen positiv hervor.

Man dürfe sich nicht scheuen, bezüglich der EU an No-Gos des Diskurses zu rütteln, führte er weiter aus: "Es ist tatsächlich nur eine heuchlerische Art von Politik, wenn man den Menschen einreden mag, dass das System der Europäischen Union zu einer Sozialunion verbesserungswürdig ist. Das ist eine Lüge und die meisten Politikerinnen und Politiker, die diese behaupten, wissen das auch."

Ändern oder neu gründen

Wie viel von dieser Linie hätte ein gutes Jahrzehnt später für einen möglichen SPÖ-Kanzler Babler noch Gültigkeit? Auf STANDARD-Anfrage weicht er nun deutlich von seiner Darlegung im zitierten Radio-Interview ab. Babler betont: "Ich stehe keinesfalls für einen EU-Austritt". Aufgrund der weit gediehenen Verflechtung der österreichischen Wirtschaft in den EU-Binnenmarkt sei er überzeugt, dass ein Austritt "keinesfalls mehr sozialen Handlungsspielraum bringt." Ein Rückfall auf die nationale Ebene sei keine Option, richtig sei aber: "Die EU kann nur dann zu einer sozialen Union werden, wenn sie umfassend geändert beziehungsweise neugegründet wird."

Da die geltenden EU-Verträge in vielen Aspekten einen neoliberalen Kurs festlegten, sieht Babler eine echte Sozialunion nur durch eine "umfassende Änderung der europäischen Verträge" als möglich an – für eine entsprechende Reform setze er sich ein.

Skepsis zu Mission in Mali

Die EU ist allerdings nicht das einzige Thema, zu dem die Solidarwerkstatt seit jeher mit markanten Formulierungen und Zielen aufwartet. Gleichbleibender Bestandteil des Programms ist die Forderung nach dem Abzug aller österreichischen Truppen von Auslandseinsätzen am Balkan, in Afrika und im Nahen Osten, wobei die Einsätze mehrfach als "Kolonialmissionen" bezeichnet werden.

Babler schreibt dazu in seiner Antwort an den STANDARD, dass er großen Respekt vor allen Heeresangehörigen habe, die im Ausland ihr Leben riskieren. Auf politischer Ebene sei die österreichische Beteiligung an Auslandseinsätzen differenziert zu sehen. So beäugt der SPÖ-Kandidat die gegenwärtig laufende Auslandsmission in Mali mit Skepsis: Er habe mitunter den Eindruck, dass hier "geostrategische Interessen im Vordergrund stehen." Positiv wertet er hingegen die einstige Beteiligung an der Uno-Friedensmission am Golan – im hastigen Abzug heimischer Soldaten 2013 ortet er folglich einen Fehler.

Bei der Solidarwerkstatt sei er schon "lange nicht mehr" aktiv, teilt Babler etwas vage mit. Den Kontakt will er jedenfalls auch als Chefsozialdemokrat weiterhin suchen, erklärt der Traiskirchner Bürgermeister, und greift selbst in die Geschichte zurück: Die Fähigkeit einer breiten Einbindung von "fortschrittlichen Menschen, Gruppen und Ideen" habe die SPÖ unter Bruno Kreisky zu großer Stärke geführt. (Theo Anders, 16.4. 2023)