Furios: Peter Rosei auf der Suche nach der Wahrheit über die eigene Entwicklung als Mensch und Dichter.

Foto: Heribert Corn

Seinen Figuren war Peter Rosei in den vergangenen Jahren der behutsamste Anwalt. Als Prosachronist blickte er Vertretern der Nachkriegsgesellschaft voller Zuneigung über die Schulter. In kleinen, wie in Windeseile erzählten Romanen wie Die Globalisten (2014) herrschte das täuschend milde Betriebsklima einer durch nichts zu beirrenden, diffus menschenfreundlichen Gesinnung.

Rosei schmiegte sich Gaunern an, denen er beim Lügen und Betrügen zusah. Er tauchte wahlweise Kleinbürger ins Zwielicht, oder er sah Aufsteigern beiderlei Geschlechts dabei zu, wie sie die soziale Stufenleiter hinaufhetzen – diese ist eng in Österreich und ächzt bei jeder Benützung. Am Schluss, Rosei schien noch immer die Hand schützend über seine Figuren zu halten, waren sämtliche Sprossen unter ihren Füßen zerborsten.

Wie aber sieht die Autobiografie eines derart durchtriebenen Humanisten aus? Seine Leserschaft, die über Roseis Laufbahn als heute 76-jähriger Erzähler und Jurist womöglich etwas Vorwissen besitzt, heißt Österreichs Balzac auf zugeneigte Art willkommen. Er unterstellt seinem Leben eingangs, dass es wenigstens bis hierhin "wunderbar" gewesen sei. Was folgt, sind sonnendurchflutete Bilder schieren Kindheitsglücks.

Gesinnungsproben

Klein Peter blickt entzückt auf Leberblümchen oder auf "das Erscheinen der Zyklamen im Herbstlaub". Man überliest vor lauter Rührung beinahe den Hinweis auf Großvater, den "stattlichen Mann mit Hitler-Bärtchen". Auf die zahlreichen Niederschläge einer (Nach-) Kriegsgesinnung, die sich in einem permanenten Wandel befindet, ganz gleich, ob in Kärnten oder in den beengten Wohnverhältnissen im noch kriegszerstörten Wien.

Was folgt, ist die wirksame Einverleibung des eigenen Werdegangs ins Rosei-Universum. Von nun an wird die Leserschaft auf die Fährte eines Taugenichts gesetzt. Bekanntgegeben wird nichts Geringeres als die Entstehung eines Austro-Felix-Krull. Rosei wird Privatsekretär des Phantastischen Realisten Ernst Fuchs. Er torkelt wie ein Schmetterling durch die mondäne Welt der Neureichen und Schönen.

"Da ging ich denn jeden Morgen, frisch rasiert und modisch gekleidet, ein Schnösel, flott und ohne jedes Bewusstsein, ins Atelier, meinen Arbeitsplatz", schreibt Rosei. Vor so viel plumper Treuherzigkeit muss jeder Einfaltspinsel die Waffen strecken. Und darf den Reigen schöner Frauen bewundern, denen der junge Rosei zum notorisch unverlässlichen Freund wird – und zum genussfreudigen Wochenabschnittspartner. Das wunderbare Leben gleicht einer Neuerfindung der eigenen Dichterexistenz. Bezeichnenderweise verunmöglicht Rosei, immerhin Schöpfer von Werken wie Wer war Edgar Allan? (1977) oder Rebus (1990), der Leserschaft nahezu jeden Blick in die Werkstatt. Hingegen wird die eigene, längst historische Lebensform zur schönen Kunst.

Eine Art Schaumgeburt

Erzählt wird in den Filetteilen des Buches eine Art Schaumgeburt, die Entstehung der Avantgarde aus dem Geist der Liederlichkeit. Rosei übersiedelt irgendwann nach Salzburg. Dort befreundet er sich aufs Engste mit dem Weltpoeten H. C. Artmann. Gemeinsam schwingt man sich aufs Motorrad: nicht ohne vorherigen Genuss ehrfurchtgebietender Mengen von Wein, Schnaps und Bier.

Gefrönt wird einer spezifisch einheimischen Form des Individualanarchismus. Dessen autodestruktive Züge lassen sich schwerlich übersehen: noch weniger die groteske Unbedenklichkeit im Umgang mit Frauen. Rosei hält sich das eigene Leben nicht vor. Aber sein jüngeres Alter Ego verflüchtigt sich auch, wird zum blauäugigen Helden grotesker Episoden, späterhin zum Aussteiger. Rosei begreift: Will er die tolldreisten Streiche überleben, die Treffen mit Helmut Eisendle, Gerald Bisinger, die Jagd splitternackter Frauen über Salzburger Hausdächer, so muss er rechtzeitig ein Überlebensprogramm starten.

Von nun an zerfällt auch Das wunderbare Leben, wird zur Schrift der Selbstvergewisserung. Diese steckt voller Liebeserklärungen an den Sohn, an die Herkunft. Im atemberaubenden Wechsel der Register hat Peter Rosei eine furiose Bestandsaufnahme der eigenen Techniken vorgenommen: Ich ist stets ein anderer. Aber wie viel lieber wäre man von Rosei beschrieben als nur vom Leben gezeichnet. (Ronald Pohl, 15.4.2023)