Julien Baker, Phoebe Bridgers und Lucy Dacus (von links) sind Boygenius und spielen mit dieser Inszenierung auf ein Foto von Nirvana an. Die Welt erschüttern sie mit ihrer Musik allerdings eher nicht.

Shervin Lainez

Ein wenig wirkt die Band wie am Reißbrett entworfen. Drei angesagte Musikerinnen aus dem immergrünen Indie-(Folk-) Rock, alle Mitte zwanzig, alle amtlich hip und mit ihren Karrieren auf dem Weg nach oben, das müsste doch Aufmerksamkeit erregen, deren Kräfte zu bündeln. Tatsächlich entstand die Gruppe Boygenius nicht im Marketingbüro einer Plattenfirma, sondern durch Zufall. Der förderte 2018 eine erste Bonsai-Veröffentlichung der drei Frauen in Form von sechs Songs zutage, nun ist mit The Record der Nachfolger im Format eines Albums erschienen.

Boygenius besteht aus Phoebe Bridgers, Lucy Dacus und Julien Baker. Ihre musikalisch angestammten Terrains sind Folk, oft beschaulich, fragend, zumindest soweit es die elektronisch durchwirkten Songs der Phoebe Bridgers betrifft. Die Musik von Dacus und Baker ist eine Spur traditioneller, aber immer stimmig. Bridgers ist aus Los Angeles, Dacus lebt zurzeit in Philadelphia, Baker kommt aus Memphis.

Achtsame Brandstifter

Mit Folk eröffnen sie auch ihr Album, mit dem A-cappella-Song Without You Without Them, der klingt, als würden sie beim Mähen auf der Wiese während des Sensenschleifens ein Lied anstimmen. Es ist eher eine archaische Miniatur – mit dem nächsten Song $20 schlägt das Trio eine andere Richtung ein. Da klingt es plötzlich nach Liz Phair in den 1990ern, aber eben mit mehrstimmigem Gesang, der in der Positionierung der Renitenz Phairs durchaus gleicht: "In an other life, we were arsonists", singen sie da. Aber sie wären nette, achtsame Brandstifterinnen.

boygenius

Denn wenngleich sie sich kämpferisch geben, überwiegt eine Seite in der Musik, die thematisch eher konventionell bleibt. Da geht es darum, wie es einem geht, wenn man dem Ex auf der Straße begegnet. Um surreal anmutende Gefühle, Geständnisse, die man sich und anderen macht, und darum, was in der Fantasie des Songwritings daraus entsteht. Dazu passte natürlich gar nicht, was Julien Baker passiert ist.

Nazi-Abzeichen

Denn inmitten all des Zuspruchs seitens der Kritik fiel jemandem auf, dass Baker im Video zum Lied Not Strong Enough einen etwas befremdlichen Aufnäher auf ihrer Jacke trägt. Zwar besteht bei Bridgers und Baker angeblich eine Affinität zu Metal und Böse-Buben-Musik, zumindest Bakers Auseinandersetzung mit dem Fach dürfte nicht allzu tief gehen. Sie trug einen Patch der deutschen Nazi-Band Wehrhammer – in schwieriger Frakturschrift mit dem Anhang "Deutscher Schwarz Metall Untergrund".

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Die Plattenfirma Universal warf sich ordnungsgemäß in den Staub, ließ das Video nachträglich verändern und erklärte, Baker sei lediglich vom Design der Aufnähers angetan gewesen, natürlich seien Julien und Boygenius "eindeutig gegen Nazis". Ja, Worte und Zeichen haben mitunter eine Bedeutung.

Abseits dieser Fußnote wird die Band zurzeit als Indie-Supergroup der "Generation Emily" geführt. Der in den 1990ern in den USA immens populär gewesene Name zeitigt ein millionenstarkes Heer von Emilys. Diese gelten in den USA mittlerweile als Pop-Phänomen, weil der Name gerade allerorts aufpoppt. Und Boygenius haben mit dem Lied Emily, I’m Sorry – wissentlich oder unwissentlich – einen weiteren Beitrag dazu geleistet.

Charmante Duftnoten

Sie setzen auf atmosphärereiche Songs, durchzogen von Schwermut mit forschen Untertönen, die natürlich als feministisch zu deuten sind. Sogar Leonard Cohen bekommt im gleichnamigen Song den Ellbogen in die Seite, für seine "horny poetry", der Sauhund, der. Das sind kleine charmante Duftnoten für die Zielgruppe, musikalisch bleibt Boygenius aber Stangenware.

Doch das ist weniger ein Vorwurf, sondern eher schon ein Genremerkmal. Folkrock ist halt keine besonders junge Disziplin, sehr vieles wurde von sehr vielen schon gesagt. Aber um die Sensationsrufe wenigstens ansatzweise zu rechtfertigen, müsste The Record doch etwas frischzelliger klingen. (Karl Fluch, 17.4.2023)