Es war ein historisches Hoch: 2022 lagen 16 Volksbegehren zur Unterschrift auf – so viele wie noch nie binnen eines Jahres.

In dieser Tonart geht es weiter. Von 17. bis 24. April stehen erneut sieben Volksbegehren an, die online und in jedem Gemeindeamt unterschrieben werden können – für die Unabhängigkeit der Justiz, die Beibehaltung der Sommerzeit, die Bewahrung des Bargeldes und ein Lieferkettengesetz. Drei weitere Initiativen gehen auf das Konto eines einzigen Aktivisten. Diese fordern die Beseitigung sämtlicher ORF-Gebühren, die Ablöse Kanzler Karl Nehammers sowie Volksabstimmungen, die durch das Volk einleitbar sind.

Grafik: Fatih Aydogdu

Mitte Juni finden dann sogar neun Initiativen in einer Eintragungswoche statt – ein weiterer Rekord. Das Volksbegehren ist jenes der drei direktdemokratischen Instrumente, das tatsächlich allein von der Bevölkerung ausgeht.

  • Volksbegehren Mit einem Volksbegehren können Teile der Bevölkerung dem Parlament ein Gesetz vorschlagen. Erreicht ein Volksbegehren 100.000 Unterschriften, muss es der Nationalrat diskutieren. Bindend umgesetzt werden muss der Vorschlag aber nicht.
  • Volksbefragung Das Parlament kann jederzeit beschließen, die Bevölkerung zu einem Gesetzesvorhaben zu befragen. Dies dient den Abgeordneten als Stimmungsbild, das Ergebnis ist jedoch nicht verbindlich. Bisher gab es nur eine einzige Volksbefragung: über die Beibehaltung der Wehrpflicht.
  • Volksabstimmung Das Ergebnis einer Volksabstimmung ist immer bindend. Damit sie abgehalten werden kann, braucht es einen mehrheitlichen Beschluss des Nationalrats. Eine Abstimmung gab es etwa zum EU-Beitritt.

Debatte über Mitsprache

So sehr der Wunsch nach Mitgestaltung in der Politik offenbar steigt: Nicht alle Volksbegehren führen unbedingt zu einer ernsthaften, aktiven Debatte im Parlament, von einem Gesetz ganz zu schweigen. Viele wünschen sich deshalb mehr direkte Demokratie. Was spricht dafür und was dagegen?

FÜR: Da das Volksbegehren die einzige Möglichkeit sei, mit der die Bevölkerung selbst einen Gesetzesvorschlag einbringen könne, mangle es an direkter Demokratie in Österreich, sagen Kritikerinnen und Kritiker. Nicht nur deswegen spricht einiges dafür, Bürgerinnen und Bürgern – abgesehen von Wahlen – mehr Beteiligung im politischen Prozess zu ermöglichen. Gründe für die aktuelle Flut an Volksbegehren können mitunter die Unzufriedenheit und das mangelnde Vertrauen in die Politik sein, sagt der Salzburger Politikwissenschafter Armin Mühlböck, der sich mit Demokratiefragen auseinandersetzt, zum STANDARD.

Mehr direkte Demokratie könnte laut Mühlböck genau hier gegensteuern: Eine Aufwertung des Volksbegehrens mindere die Distanz zwischen der Bevölkerung und der Politik. Denn diese Möglichkeit gebe den Bürgerinnen und Bürgern ein Gefühl von unmittelbarer Beteiligung an der Politik. Das führe wiederum zu mehr Vertrauen in die politischen Institutionen. Stimme die Bevölkerung etwa direkt über ein Gesetz ab, mache das die Entscheidung auch legitimer und verständlicher.

Nicht nur für die Bevölkerung, auch für Politikerinnen und Politiker sei direkte Demokratie vorteilhaft: Sie könnten sich etwa bei heiklen Entscheidungen zusätzlich absichern. "Eine direktdemokratische Entscheidung kann eine höhere Legitimation signalisieren, als wenn sie im Parlament getroffen wird", sagt der Politologe.

Allgemein bewirkt direkte Demokratie auch mehr politische Partizipation: Menschen informieren sich über Initiativen und setzen sich damit auseinander. "Es mobilisiert die Leute, um sich stärker politisch zu informieren", erklärt Mühlböck.

Da es kaum andere direktdemokratische Instrumente als das Volksbegehren gibt, steht besonders dieses im Zentrum von Reformvorschlägen. Auch aktuell erfolgreiche Volksbegehren landeten meist nur in einer Schublade des Parlaments und bekämen kaum Beachtung, so die Kritik. Es sei deshalb in seiner aktuellen Form zu wenig für eine aktive Mitbestimmung.

Oftmals wird als mögliche Verbesserung eine daran gekoppelte verpflichtende Volksabstimmung ins Spiel gebracht: Die Abstimmung müsse dann durchgeführt werden, wenn ein Volksbegehren eine bestimmte Anzahl an Unterschriften überschreite.

Zuletzt wollte das beispielsweise die türkis-blaue Regierung im Jahr 2018 umsetzen: ÖVP und FPÖ hatten damals etwa für Volksbegehren die Hürde von 900.000 Unterschriften vorgesehen, bei der es zu einer Volksabstimmung kommen sollte. Umgesetzt wurde die Idee jedoch nicht.

WIDER: Auch wenn mehr direkte Demokratie eine höhere Einbindung der Bevölkerung zur Folge hätte – was ja für eine lebendige Demokratie wünschenswert ist –, gibt es auch Zweifel an einer Aufwertung derartiger Initiativen.

Wenn zu häufig über diverse Gesetze abgestimmt werde, könne sich das negativ auswirken: Die Beteiligung an den Initiativen sinke. Regelmäßige Abstimmungen könnten in eine gewisse Müdigkeit in der Bevölkerung münden, führt der Politologe Mühlböck ins Treffen: "Man muss sich im Vorhinein mit dem Thema und dem Gesetz, das zur Abstimmung steht, auseinandersetzen. Der Aufwand ist dementsprechend hoch."

Eine niedrige Beteiligung an einer direkten Abstimmung über ein Gesetz hätte wiederum ein Legitimitätsproblem. Stimmte etwa nur ein geringer Prozentsatz der Wahlberechtigten über einen Gesetzesentwurf ab, während ein Großteil der Abstimmung fernbliebe, wäre die Entscheidung nicht mehrheitlich von der Bevölkerung mitgetragen.

Das steht im Gegensatz zu einem Gesetzesbeschluss im Nationalrat: Dort muss zumindest eine gewisse Anzahl aller Abgeordneten im Plenarsaal anwesend sein, damit diese per Mehrheitsentscheid über ein Gesetz abstimmen können.

Auch sei es in Österreich jahrzehntelang unüblich gewesen, ein Übermaß an direkter Demokratie auszuüben: "Steht eine Volksabstimmung oder -befragung an, ist das ein seltenes und dadurch ein großes Ereignis in Österreich. Somit nehmen auch viele Menschen daran teil", sagt Mühlböck mit Verweis auf die bislang nur drei Volksabstimmungen und -befragungen seit 1945.

Entscheidungsträgerinnen und -träger aus der Politik hätten auch mehr Ressourcen und den nötigen Apparat, um komplexe Sachverhalte im Detail zu beleuchten. "Der Bevölkerung stehen schlichtweg nicht die Mittel zur Verfügung, wie sie die Politik hat", erklärt Mühlböck. In den Ausschüssen des Parlaments und Ministerien sind etwa Expertinnen und Experten involviert, um Gesetzesentwürfe zu besprechen und für den Beschluss vorzubereiten. Direkte Demokratie befördere hingegen eindimensionale, populistische Antworten, so eine Kritik: Der Kompromiss, der den Ausgleich zwischen den Interessen garantiert, drohe auf der Strecke zu bleiben.

Wer sich an die wiederholte Bundespräsidentenwahl im Jahr 2016 erinnert, dem wird auch klar, welcher organisatorische Kraftakt hinter einer Wahl steckt und was alles schiefgehen kann. Regelmäßige, möglicherweise monatliche Volksabstimmungen über Gesetze würden zu einem enormen bürokratischen Mehraufwand führen. (Max Stepan, 17.4.2023)