Brad Mehldau: mit Ian Bostridge zwischen Kunstlied und Jazz.

David Bazemore

Ein ungewöhnliches Duo: Brad Mehldau ist einer der Exzentriker des Jazz, ein introvertierter Klaviergrübler. Ian Bostridge wiederum ist jener Tenor, der Romantik und gemäßigte Liedmoderne mit spezieller Intensität vermittelt. Dass die Stars zusammenpassen, ist dennoch verständlich. Beide agieren subjektiv. Außerdem ist Mehldau immer an Klassik und Romantik interessiert gewesen – auch als Komponist.

Neben Schumanns Dichterliebe-Zyklus hört man im Konzerthaus Mehldaus Lieder auf Texten von u. a. William Blake, Shakespeare, Brecht und Goethe. Der Zyklus The Folly of Desire wirkt auch nicht als Sammlung neu komponierter lockerer JazzStandards mit Klassikgehabe. The Sick Rose etwa ist eine abstrakte Elegie, die auch von einem Altmeister der klassischen Moderne stammen könnte.

Besonders interessant ist, dass Mehldau den Klavierpart raffiniert eigenständig gestaltet, ihn kommentierend an Gesangslinien bindet. Speziell in jenen Momenten, da Bostridge "schweigt", setzt Mehldau spezielle Zwischengedanken in den Raum. Er verleugnet natürlich seine Jazzaffinität nicht: Ganymed ist im Stil einer Ballade angelegt; bluesig groovt auch the boys I mean are not refined. Der Großteil der Miniaturen aber ist tatsächlich nahe am sogenannten Kunstlied mit Naheverhältnis zu erweiterter Tonalität.

Ian Bostrige mit eigenwilliger Intensität.

War in Bostridges Interpretation bereits hier Intensität bisweilen nahe am Outrieren, verdichtet sich der Eindruck bei Schumanns Dichterliebe. Was bei Im wunderschönen Monat Mai sehr langsam und manieriert beginnt, wird zum Wechselbad zwischen delikater Lyrik wie bei Hör ich das Liedlein klingen und Grobheiten wie Ich grolle nicht.

In seinem Bestreben, die Lieder quasi szenisch zu durchleben, geht Bostridge etwas weit Richtung Expressivität. Intime Lieder explodieren quasi opernhaft. Muss man mögen.

Gerne behält man aber Songs wie Night And Day in Erinnerung, jenen Jazzstandard, bei dem Bostridge entspannt sang und Mehldau zeigte, welch origineller Improvisator er ist. (Ljubisa Tosic, 15.4.2023)