Je höher ein Produkt verarbeitet ist, desto mehr Zusatzstoffe werden beigemengt – das gilt für Burgerlaibchen aus Fleisch genauso wie für vegane Alternativen.

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Vegane Ernährung ist fest in Österreich etabliert, sogar der vegane Döner beim Schnellimbiss ist – zumindest in Wien – kein Problem mehr. Etwa zwei Prozent der Menschen in Österreich ernähren sich vegan, also ohne Lebensmittel und Nebenprodukte tierischen Ursprungs. In der öffentlichen Wahrnehmung gelten sie als besonders gesundheitsbewusst. Und zum Teil stimmt das auch, wie Studien zeigen: Menschen, die sich überwiegend oder ausschließlich pflanzlich ernähren, bewegen sich mehr, sind seltener von Adipositas betroffen und haben damit ein geringeres Risiko für Folgeerkrankungen wie Diabetes Typ 2 als jene, die Fleisch essen.

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Aber abgesehen von Daten wie diesen ist die Studienlage zu pflanzenbasierter Ernährung noch dünn – oder veraltet. Erhebungen von vor mehreren Jahren kann man nicht eins zu eins auf heute umlegen, dafür haben sich die Ernährungsweise und die verfügbaren Produkte zu sehr verändert. Veganerinnen und Veganer finden heute im Supermarkt eine ganz andere, viel umfangreichere Produktpalette als noch vor wenigen Jahren vor. Mittlerweile reihen sich Sojawürstel neben Nuggets auf Erbsenbasis, "Thunvisch" und Burger ohne Fleisch ein. Der Markt der veganen Ersatzprodukte boomt, mit Fleisch- und Milchalternativen werden in Europa mittlerweile jährlich 1,7 Milliarden Euro umgesetzt.

Wo vegan draufsteht, ist nicht zwingend Gesundes drin

Und ebendiese Ersatzprodukte sind es, die den Schluss "vegan ist gleich gesund" schwierig machen, findet Maria Wakolbinger, Leiterin des Zentrums für Public Health an der Med-Uni Wien. So unbestritten der Nutzen von pflanzlich basierter Kost für die Gesundheit in der Wissenschaft mittlerweile ist, so sehr sei gerade auch in diesem Bereich der Grad der Verarbeitung der verzehrten Lebensmittel zu berücksichtigen. "Konsumentinnen und Konsumenten glauben oft noch, wenn auf einem Produkt vegan draufsteht, muss es gesund sein. Diesen Konnex muss man hinterfragen", betont sie. Denn je höher ein Produkt verarbeitet ist, desto mehr Zusatzstoffe werden in der Regel beigemengt. Vegane Fleischersatzprodukte enthalten häufig sehr viel Salz. "Das macht ein Produkt nicht unbedingt gesundheitsförderlich", stellt Wakolbinger klar.

Gemeinsam mit ihrer Kollegin Sandra Haider und einer Forschungsgruppe vom Zentrum für Public Health hat sie deshalb das Ernährungs- und Bewegungsverhalten von Veganerinnen und Veganern analysiert. 516 Personen mit einem Durchschnittsalter von 28 Jahren wurden mittels Onlinebefragung für eine aktuelle Studie untersucht. Sie alle ernährten sich zum Zeitpunkt des Studienbeginns seit mindestens drei Monaten vegan. Das kürzlich im Fachjournal Nutrients publizierte Ergebnis zeigt, dass "vegan nicht per se mit gesund gleichzusetzen ist", unterstreicht Studienleiterin Wakolbinger. Das liegt daran, dass viele Veganerinnen und Veganer zu industriell verarbeiteten Lebensmitteln greifen.

Gesundheitsbewusste und "Pudding-Veganer"

Aber man muss unterscheiden. Das Forschungsteam definierte zwei Gruppen unter Veganerinnen und Veganern: die "Gesundheitsbewussten" und jene mit "Convenience"-Ernährungsmuster. 47 Prozent der untersuchten Gruppe wurden als gesundheitsbewusst eingestuft. Sie essen viel Gemüse, Obst, Eiweiß- und Milchalternativen, Kartoffeln, Vollkornprodukte, pflanzliche Öle sowie Fette und kochen häufiger mit frischen Zutaten.

Die anderen 53 Prozent zeichnen sich durch einen höheren Konsum von verarbeiteten Fisch- und Fleischalternativen, veganen pikanten Snacks, Soßen, Kuchen und anderen Süßigkeiten, Fertiggerichten, Fruchtsäften sowie raffinierten Getreidesorten aus. In der vegetarischen Ernährung hat sich für dieses Convenience-Muster bereits ein Begriff etabliert. "Pudding-Vegetarismus" meint, dass zwar kein Fleisch, aber dafür viel Süßes auf dem Speiseplan steht. "Entsprechend könnte man das von uns ermittelte Convenience-Ernährungsmuster durchaus als ‚Pudding-Veganismus‘ bezeichnen", fassen Maria Wakolbinger und Sandra Haider zusammen.

"Die negativen Auswirkungen von industriell verarbeiteten Lebensmitteln auf die Gesundheit sind inzwischen eindeutig in Studien bewiesen", betont Wakolbinger. Das gilt unabhängig von der Ernährungsform. Studien bei Menschen, die sowohl Fisch als auch Fleisch essen, haben gezeigt: Wer sich hauptsächlich von Fertignahrung ernährt, hat ein um 51 Prozent höheres Adipositas-Risiko, ein um 29 Prozent höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und ein um 74 Prozent höheres Risiko für Diabetes Typ 2.

Die Unterscheidung zwischen der gesundheitsbewussten Gruppe und der Convenience-Gruppe zeigt sich auch im Bewegungsverhalten. "Das Bewegungsausmaß der Veganerinnen und Veganer ist zwar insgesamt höher als das der Durchschnittsbevölkerung in Österreich. Wie unsere Studie zeigte, betätigt sich die gesundheitsbewusste Gruppe aber signifikant mehr sportlich als jene Personen, die dem Convenience-Ernährungsmuster zuzuordnen sind", sagt Erstautorin Sandra Haider.

Noch mehr Forschung geplant

Trotzdem könne man keine Pauschalvergleiche aufstellen, stellt Wakolbinger klar. "Man kann nicht sagen, vegane Fleischersatzprodukte sind generell ungesund. Genauso wenig kann man sagen, alle Fleischprodukte sind schlecht." Außerdem komme noch der ökologische Aspekt hinzu. Denn – auch das zeigt die Studie – wer sich vegan ernährt, macht das in erster Linie für die Tiere. Die zweithäufigste Motivation ist Klimaschutz, auf Platz drei die Gesundheit.

Zudem komme es immer stark darauf an, wie häufig man Convenience-Produkte isst. Greift man einmal wöchentlich zu veganen Nuggets, sei das aus gesundheitlicher Perspektive kein Riesenthema, sagt Wakolbinger. "Es kommt immer auf das gesamte Ernährungsverhalten und die Ernährungsqualität an. Das gilt auch für Menschen, die Fleisch essen, denn die können sich ja genauso gut primär von Fertigprodukten ernähren."

Ob Veganerinnen und Veganer mehr verarbeitete Lebensmittel essen als omnivor lebende Menschen, lässt sich nicht genau sagen. Auch hierzu ist die Studienlage dünn. Die Erhebung von Wakolbinger, Haider und ihrem Team soll deshalb nur der Startschuss für noch deutlich mehr Forschung gewesen sein. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland soll in den nächsten Jahren eine große Kohortenstudie zu pflanzenbasierter Ernährung umgesetzt werden. Mit der sogenannten COPLANT-Studie will man über die nächsten drei Jahre 6.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer untersuchen, von denen man künftig möglicherweise auch Langzeitdaten erheben kann, hofft Wakolbinger.

Dabei gehe es um umfassende Daten zur Frage: Wie gesund sind vegane, vegetarische, pescetarische (mit Fisch), omnivore (mit Fisch und Fleisch) Ernährungsweisen? Erst mit entsprechenden Daten könnte man Vergleiche ziehen und sich "anschauen, ob die Ernährungsempfehlung überarbeitet gehört", sagt Wakolbinger. Der österreichische Ernährungsbericht zeigt jedenfalls: Bei den meisten Menschen sind zahlreiche gesundheitsrelevante Wert wie der Cholesterinspiegel nicht ideal bzw. zu hoch. Nährstoffe können dafür fehlen. Veganerinnen und Veganer insbesondere haben häufig zu wenig Vitamin B12, das man nur über tierische Produkte aufnehmen kann. Bei veganer Ernährung sollte es deshalb supplementiert werden. Omnivor lebende Menschen andererseits essen deutlich zu viel Fleisch. Die gesättigten Fettsäuren sind bei ihnen dementsprechend zu hoch. (Magdalena Pötsch, 18.4.2023)