Sie hypnotisiert das Essen und sieht ihr Kopftuch keineswegs als Zeichen der Unterdrückung – Influencerin Baraa Bolat.
Foto: Julia Rotter

Baraa Bolat steht in ihrer von Scheinwerfern ausgeleuchteten Küche und wirft einen Apfel in die Höhe. Geübt fängt sie ihn wieder, ihr Blick ist dabei starr auf die Kamera vor ihr gerichtet. "Super sieht das aus, noch einmal", ist die Regieanweisung. Beim nächsten Mal fällt der Apfel auf den Boden. "Du hast Auge gemacht!", ruft sie und lacht. Wir haben es verschrien, würde man auf gut Österreichisch zum arabischen Aberglauben sagen. Ein gutes Foto war trotzdem dabei.

Die Wienerin mit tunesischen Wurzeln hat das RONDO zum Kochen eingeladen. Nicht ohne Grund: Baraa Bolat zählt zu den erfolgreichsten (Koch-)Influencerinnen Österreichs. In Social Media postet sie regelmäßig Kochvideos, sie führt außerdem eine Modelinie und hat vor kurzem ihr erstes Buch geschrieben. Mehrere Hunderttausend Menschen folgen ihr jeweils auf Instagram und auf Youtube, auf Tiktok sind es fast drei Millionen.

Baraa Bolats Markenzeichen: Sie ist die, die das Essen hypnotisiert. In ihren kurzen Videos nimmt sie eine gebückte Haltung ein und starrt mit aufgerissenen Augen auf Teigwaren, Fleisch und Gemüse, während sie sie verarbeitet. Ihr zweites Markenzeichen: ein Kopftuch. Baraa Bolat ist gläubige Muslimin.

Vom Model zur Unternehmerin

Einer breiteren Öffentlichkeit wurde sie 2019 durch ihre Teilnahme am Reality-TV-Format Austria’s Next Topmodel bekannt. "So hat alles angefangen, und dann hat eine Tür die nächste geöffnet", erzählt die 28-Jährige. Mit der Social-Media-Präsenz kam die Idee, selbst Kopftücher zu verkaufen. Erst kamen "Hijab Transformation"-Videos, in denen sie fremden Frauen auf der Straße Kopftücher aufsetzte. Dann begann sie, vor der Kamera zu kochen. Inzwischen gibt es ein eigenes Büro im 15. Bezirk, bald soll eine Streetwear-Kollektion erscheinen, und erste Mitarbeiterinnen sollen eingestellt werden. Bisher organisiert Baraa Bolat alles gemeinsam mit ihrem Mann. Er studiert Jus und ist ihr Manager. Die beiden haben einen fünfjährigen Sohn.

Baraa Bolats Mann ist es auch, der sich an diesem Tag gefüllte Teigtaschen mit Fleisch gewünscht hat, erklärt sie, als sie uns in ihrer Wohnung in Wien-Oberlaa empfängt. In der neu renovierten Wohnküche mit hellen Steinfliesen, Samtcouch und Marmortisch knetet Baraa Bolat den Teig auf der großzügigen Kücheninsel und filmt sich dabei mit dem Handy. Sie schneidet Zwiebeln und würzt Fleisch, alle Zwischenschritte nimmt sie jedoch nicht auf. Mehrere Stunden werde die Zubereitung an diesem Tag dauern, meint sie. Danach würden noch etwa zwei Stunden Bearbeitungszeit anstehen, bis das Material bereit für Social Media sei.

Gebückte Haltung, starre Augen und umherfliegende Lebensmittel: So begeistert Baraa Bolat ihre Social-Media-Follower.
Foto: Julia Rotter

Für unsere Kamera posiert Baraa Bolat, indem sie Mehl mit gehobener Hand von oben herab auf den Teig rieseln lässt und dabei gebückt zusieht. Ein User habe sich einmal über sie lustig machen wollen und gefragt, ob sie denn das Essen hypnotisieren wolle, weil sie so konzentriert gewesen sei, erklärt sie. Seither ist das ihr Slogan. Für die Aufnahmen trägt sie ein bodenlanges weinrotes Samtkleid mit goldenen Verzierungen, das Kopftuch hat denselben Farbton. Ihre großen Augen sind dunkel geschminkt, die vollen Lippen mit Farbe betont. Am Boden blitzen die hellblauen Ringelsocken unter dem Kleid hervor.

"Keine unterdrückte Frau"

Als erstes Kopftuchmodel Österreichs wird Baraa Bolat noch heute in Medien bezeichnet, und naturgemäß ist das Kopftuch Thema in allen Interviews. Das nerve sie zwar, aber sie rede dennoch gerne darüber, sagt sie. In Österreich sei eine Frau mit Kopftuch noch immer gleichgesetzt mit einer unterdrückten Frau, und es gebe generell eine große Distanz zu fremden Menschen. "Ich sehe es als meine Pflicht, mit meiner Reichweite auf solche Themen aufmerksam zu machen, ohne dass ich in eine politische Ecke rücke", erklärt sie. "Ich bin keine Frau, die unterdrückt ist. Ich bin ganz normal, liebe das Leben, und mein Ehemann supportet mich."

Damit wolle sie anderen jungen Musliminnen ein Vorbild sein. Etwa auch dabei, eine gleichberechtigte Beziehung zu führen. Ihrem Mann habe sie von Anfang an gesagt, sie wolle zusammen ein Imperium aufbauen. Zu Hause bei der Familie sein war keine Option. Und das schließe sich gar nicht mit ihrem Glauben aus, betont sie: "Wir sind ein ganz normales muslimisches Pärchen." Andere Frauen habe sie mit ihrem Auftreten animiert, sich wie sie zu bedecken, sich trotz Kopftuchs für einen Job zu bewerben, und zwei Frauen seien sogar zum Islam konvertiert, erzählt Baraa Bolat stolz.

Obwohl das Kopftuch von der österreichischen Community als Nachteil gesehen werde, ist es für Baraa Bolat vielmehr einer der Gründe für ihren Erfolg. In ihrem Buch Lerne wer du bist und vergiss wer du sein sollst (Edition a, 2023) empfiehlt sie, sich individuelle Besonderheiten oder Handicaps zu eigen zu machen, auch wenn andere sie als Makel empfinden. Diese Eigenschaften bezeichnet Baraa Bolat pauschal als Hidschab, also Kopftuch – weil das nun einmal ihre Besonderheit sei, mit der sie am meisten polarisiere und die sie einzigartig mache. Dass andere Menschen den Vergleich mit dem religiösen Symbol befremdlich finden könnten, kann sie nicht nachvollziehen. "Ich verstehe es nicht, dass mir jemand vorschreiben will, wie ich mich zu kleiden habe, oder mir erklärt, dass mein Kopftuch in Österreich nichts zu suchen hat."

Immun gegen den Hate

Es spricht auch ein bisschen Trotz aus ihr. Die Muslimin hat schließlich schon viel Diskriminierung und Hass erlebt. Einen Höhepunkt erreichte die öffentliche Kritik während ihrer Teilnahme an Austria’s Next Topmodel. Da sei auf der einen Seite die österreichische Community gewesen, die kritisierte, dass sie wegen ihres Kopftuchs nicht integriert sei. Und auf der anderen Seite die muslimische Community, die mäkelte, dass eine Frau mit Kopftuch zu Hause bei der Familie und nicht im Fernsehen sein solle. "Das waren nicht nur ein paar Hasskommentare im Internet, sondern Zeitungen, Fernsehen, Menschen auf der Straße – alles auf einmal", erzählt sie. Die Zeit sei schwer für sie gewesen, auch gesundheitlich sei es ihr schlecht gegangen. "Das hat mich abgehärtet. Jetzt bin ich irgendwie immun gegen den Hate."

Die Kochvideos filmt Baraa Bolat in ihrer privaten Küche. Jede Aufnahme dauert mehrere Stunden, danach muss das Material noch geschnitten werden. Beim RONDO-Besuch gibt es gefüllte Teigtaschen.
Foto: Julia Rotter

Es sind die wenigen Momente beim Interview, in denen man die Emotion der 28-Jährigen spürt. Ansonsten ist ihr Auftreten kontrolliert, und ihre Aussagen sind bedacht. Die Influencerin ist ein Multitalent und weiß sich zu verkaufen. Sie will für Diversität stehen, insbesondere mit ihrer Modemarke. Auch Männer und Frauen ohne Kopftuch modeln für sie, in der neuen Kollektion gibt es bauchfreie Teile und nicht wie bisher ausschließlich lange Kleider, die den gesamten Körper verdecken. "Wenn ich generell von Diversity schwärme, will ich das auch in meiner Branche ausstrahlen", erklärt sie. Besonders freue sie sich, wenn die nichtmuslimische Klientel Interesse an ihrer Mode zeige. "Ich will komplett aus dieser Bubble rausgehen und eine Person sein, die für alle da ist."

Die Frau unter dem Tuch

Den RONDO-Besuch filmt Baraa Bolat fast durchgängig auf dem Handy mit. Sie verwendet es später im Zeitraffer als "Behind the Scenes" für ihren Instagram-Kanal. Es ist ihr wichtig, wie andere sie wahrnehmen, nämlich als Macherin und Powerfrau. Manche Ausführungen zu ihrer Erfolgsstory klingen fast zu gut, um wahr zu sein. Als sie etwa hochschwanger zur Matura antreten wollte, hätten die Wehen eingesetzt, erzählt sie. Sie habe noch im Kreißsaal Mathe gelernt, um ein paar Wochen später die Prüfung zu absolvieren, die sie mit Auszeichnung meisterte. Oder auch ihre Geschichte über die Absage, als sie sich vor Jahren bei einem Buchladen beworben hatte, nur um vor kurzem dort ihr Buch zu präsentieren. Die Botschaft: Man kann alles schaffen, wenn man gutes Zeitmanagement und Disziplin hat. Was sie außerdem rät: die eigenen Ziele und Vorhaben für sich zu behalten. Sollte man nämlich doch nicht schaffen, was man sich wünsche, müsse man sich wenigstens nicht rechtfertigen. Die Social-Media-Personality lässt keine Schwäche zu.

Gibt es neben der Powerfrau noch eine andere Baraa Bolat? Das bringt die Wienerin selbst mit dem Kopftuch in Verbindung. Wenn sie das Tuch ablege, ändere sich ihr Charakter, erzählt sie. Auch Freunde und Familie hätten das bestätigt. "Wenn ich das Kopftuch trage, habe ich diese Power und bin die Macherin. Wenn ich es ablege, bin ich ganz normal oder eben ein Mädchen, das gerade nichts tut. Das ist total bizarr." Und die gefüllten Teigtaschen? Dürften dann doch zu lange gedauert haben. Ein Video in Social Media gab es nicht. Geschmeckt werden sie trotzdem haben. (RONDO, Davina Brunbauer, 20.4.2023)