Bei der Umweltfreundlichkeit von Stofftaschentüchern scheiden sich die Geister.
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Pro
von Gerald Zagler

Über den guten Stoff für die Nase wird meist hinter vorgehaltener Hand gesprochen. Der karierte Klassiker hat ein Imageproblem. Wie es so weit kam, daran scheiden sich die Geister. Manche sehen bereits bei Shakespeares Desdemona den Ruf unumkehrbar angekratzt, da ihr ein Stofftaschentuch zum Verhängnis wurde. Viele geben der Papierindustrie die Schuld, weil sie Baumwolle und Leinen allzu gerne in die Schmuddelecke rückt. Aber ganz ehrlich: Wer unter uns verwendet Einwegtaschentücher wirklich nur einmal? Der oder die werfe das erste Papierknäuel.

Die Welt liegt im Argen. Jetzt heißt es umdenken und vor allem anders handeln, auch beim Schnäuzen. Denn mit nichts anderem als mit Stofftaschentüchern lassen sich Nachhaltigkeit und modischer Geschmack derart elegant vereinen – es muss ja nicht gerade bei eitrigem Schnupfen sein. Die Boomer-Generation hat hier ausnahmsweise die Nase vorn. Forderungen von Umweltschützern nach Tempo 100 laufen bei ihnen ins Leere, denn sie praktizieren schon seit jeher "Tempo" 0.

Kontra
von Pia Kruckenhauser

Es gibt wirklich nur eine einzige Konstellation, in der ein Stofftaschentuch angemessen ist: Wenn man die Heldin eines englischen Romans aus dem 19. Jahrhundert ist, man sich in einer emotionalen Situation eine Träne aus dem Augenwinkel tupfen muss und das Stofftaschentuch von einem jungen, gutaussehenden Lord überreicht wird. Dieses ist dann aus feinstem Batist, frisch gestärkt, mit handgeklöppelter Spitze umrandet und mit Monogramm bestickt – und man behält es fürderhin als Talisman.

In allen anderen Lebenslagen ist ein Stofftaschentuch in erster Linie unappetitlich. Es fristet sein trauriges, vernudeltes Dasein in der Hosentasche, ziemlich sicher voll mit Bröseln oder anderem Schmutz. Vorzugsweise wurde einem damit als Kind der Mund abgewischt. Hat man Schnupfen, muss man es nach einmaligem Verwenden mit 90 Grad waschen, man will sich die Viren ja nicht wieder hineinschnäuzen – also keine Spur von Umweltfreundlichkeit. Deshalb verlangt mein auf Grün gepoltes Gemüt nur nach Recycling-Papiertaschentüchern. (RONDO, 3.5.2023)