Am Dienstagvormittag hat Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) den dritten Antisemitismusbericht nach den Jahren 2018 und 2020 im Auftrag des österreichischen Parlaments präsentiert. Einmal mehr erhob unter anderem das Institut für empirische Sozialforschung (Ifes) dafür Daten zu antisemitischen Haltungen hierzulande. Abgefragt wurden dabei allerlei Verschwörungstheorien bis zu diversen Standpunkten im Bezug auf den holocaustbezogenen Antisemitismus.

Die Krisen der vergangenen Jahre haben antisemitische Verschwörungserzählungen befeuert, wie der neue Antisemitismusbericht zeigt
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Sobotka erinnerte daran, dass der Antisemitismus eine lange Geschichte hat. Das mache es auch so schwer, ihn zu bekämpfen. Und: "Es ist kein Phänomen der politischen Randgruppen, er kommt aus der Mitte der Gesellschaft", sagt Sobotka. "An den Rändern wird er sichtbar, an den rechten Rändern sehen wir das seit Jahren und Jahrzehnten; auf die linken Ränder haben wir lange nicht das Augenmerkt gelegt, jetzt sehen wir es ganz klar als Antiisraelismus und Antizionismus; und in der dritten Form sehen wir es bei jenen Menschen, die aus Migrationsgründen zu uns gekommen sind, weil sie aus Ländern kommen, wo Antisemitismus oder antijüdische Haltungen zu einer Art Staatsräson zählen."

Hang zu Verschwörungsmythen

Für die österreichrepräsentative Erhebung wurden 2.000 Interviews telefonisch und online mit Personen ab 16 Jahren durchgeführt. Ein spezieller Blick wurde heuer auf die Gruppe der unter 25-Jährigen geworfen (400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer). Hinzu kommen mehr als 900 Befragte der sogenannten Aufstockungsgruppe mit familiärer Migrationsgeschichte – je zur Hälfte mit Bezug zur Türkei oder einem arabischsprachigen Land. In erster Linie betrifft das Ägypten, Syrien und den Irak.

Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass die Aufstockungsgruppe "durchgehend eine sehr viel stärkere antisemitische Einstellung an den Tag legt als die österreichische Gesamtbevölkerung". Besonders zeige sich das in Fragen, die den Staat Israel betreffen. Auch der Hang zu Verschwörungsmythen sei stärker ausgeprägt, lautet das Resümee. Verwiesen wird darauf, dass die türkisch- und arabischsprachigen Befragten mehrheitlich in Österreich geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen sind (53 Prozent).

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) wies einmal mehr darauf hin, dass Antisemitismus kein Phänomen von Randgruppen sei.
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  • Mehr als ein Drittel der Menschen in Österreich sind der Meinung, Juden versuchten heute Vorteile daraus zu ziehen, Opfer während der Nazi-Zeit gewesen zu sein. Das glaubt immerhin auch ein Viertel der unter 25-Jährigen. Noch stärker ist diese Wahrnehmung allerdings unter türkisch- und arabischsprachigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Befragung verbreitet. Für mehr als die Hälfte von ihnen trifft die besagte Aussage "voll und ganz" oder "eher schon" zu (auch folgend immer beide Werte addiert).
  • Ähnlich verhält es mit diversen Verschwörungsmythen. Mehr als ein Drittel hierzulande vertritt die Ansicht, wonach Juden die internationale Geschäftswelt beherrschen. In der Aufstockungsgruppe wird das hingegen mehrheitlich so gesehen. Deutlich stärkere Zustimmungswerte weist diese auch bei Aussagen auf wie "Juden haben in Österreich zu viel Einfluss" (47 Prozent) oder "Hinter aktuellen Preissteigerungen stehen oft jüdische Eliten in internationalen Konzernen" (43 Prozent).
  • Besorgniserregend wirkt auch die Reaktion auf folgenden Satz: "Ich bin dagegen, dass man immer wieder die Tatsache aufwärmt, dass im Zweiten Weltkrieg Juden umgekommen sind." Österreichweit sieht das neuerlich ein Drittel so. Allerdings auch ein Viertel der unter 25-Jährigen. Besonders ausgeprägt ist diese Annahme einmal mehr in der Aufstockungsgruppe mit familiärer Migrationsgeschichte (49 Prozent).
  • In der Aufstockungsgruppe sind auch 40 Prozent der Meinung, dass in den Berichten über Konzentrationslager und Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg "vieles übertrieben dargestellt" werde. Österreichweit (11 Prozent) und bei den unter 25-Jährigen (16 Prozent) ist diese Ansicht deutlich weniger stark ausgeprägt.
  • Knapp 40 Prozent der türkisch- und arabischsprachigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind außerdem der Meinung: "Es ist nicht nur Zufall, dass die Juden in ihrer Geschichte so oft verfolgt wurden; zumindest zum Teil sind sie selbst schuld daran." Österreichweit und bei den unter 25-Jährigen sieht das jeweils ein Fünftel so.
  • Bemerkenswert sind auch die Zustimmungswerte zu den israelbezogenen Aussagen im Bericht. "Wenn es den Staat Israel nicht mehr gibt, dann herrscht Frieden im Nahen Osten" findet bei fast der Hälfte der Aufstockungsgruppe und bei knapp einem Viertel der unter 25-Jährigen Zustimmung. Dass "die Israelis die Palästinenser im Grunde auch nicht anders behandeln als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg die Juden", befindet mehr als die Hälfte der Türkisch- und Arabischsprachigen, aber auch fast ein Drittel in ganz Österreich sowie bei den unter 25-Jährigen. (Jan Michael Marchart, 18.4.2023)