Um acht Uhr ist Rushhour vor dem Kindergarten. Autos parken ein, Väter und Mütter, die in die Arbeit müssen, schnallen ihren Nachwuchs aus den Kindersitzen. Für mich war es das absolute Horrorszenario, durch den Umzug von der Stadt aufs Land abhängiger vom Auto zu sein. Den Tag schon mit Autofahren beginnen – das wollte ich auf keinen Fall.

Auf dem Land muss man sich dazu zwingen, weniger mit dem Auto zu fahren. Mithilfe eines Lastenrades soll es gelingen.
Foto: Markus Baumgartner

Vor bald zwei Jahren ließen wir Wien hinter uns und leben nun in Wolkersdorf im Weinviertel. Wir hatten uns zwar schon einige Jahre davor einen Wagen zugelegt, verwendet haben wir ihn in der Stadt im Alltag aber kaum, eigentlich nur, um für Ausflüge und Urlaube aus Wien rauszufahren.

Unsere Autonutzung sollte sich durch den Umzug auch in Zukunft nicht ändern, nahmen wir uns vor. Bei der Wohnungssuche waren wir darauf bedacht, dass es eine gute Öffi-Anbindung gibt und Geschäfte des Alltags fußläufig erreichbar sind.

Erzähle ich von meinem Leben auf dem Land (manche würden auch Speckgürtel dazu sagen), bekomme ich trotzdem oft die Frage gestellt: "Fährst du jetzt mehr mit dem Auto?" Dass die Frage kommt, überrascht nicht. Ich beobachte tagtäglich, wie die Fortbewegung mit dem Auto immer noch selbstverständlich ist – obwohl sie gerade in einer Kleinstadt nicht notwendig wäre. Nicht nur zum Kindergarten werden viele mit dem Auto gebracht. Die Parkplätze der Supermärkte sind gut gefüllt, die Fahrradabstellplätze zwar an nicht verregneten Tagen auch – aber meistens gibt es nur eine Handvoll davon. Autofahrer hingegen können aus mehreren Dutzend Parkmöglichkeiten wählen.

Dreifachgarage beim Siedlungshaus

Radwege gibt es vereinzelt, im Stadtzentrum dominiert das Auto. Vor der Bäckerei lässt so manche Kundin den Motor laufen, während sie sich Kipferln oder Semmeln holt. Besonders irritiert bin ich von Autofahrern, die ihren Wagen am Gehsteig abstellen und Fußgängern dadurch den Weg absperren, nur um sich bei der Zeitungstasche mit Gratisblättern einzudecken. Einfamilienhäuser haben meist noch eine Doppelgarage, sogar Dreifachgaragen habe ich beim Spazieren durch den Ort bereits entdeckt.

Ältere Frauen stechen interessanterweise positiv heraus. Ich bemerke, dass gerade sie es sind, die oft zu Fuß zum Einkaufen unterwegs sind – oder mit dem Fahrrad fahren und sich Einkaufskörbe oder -taschen an den Drahtesel montieren.

Meine Beobachtungen der Autodominanz decken sich mit Zahlenmaterial, das ich zum Mobilitätsverhalten der Niederösterreicherinnen finde. Laut Erhebung aus dem Jahr 2018 werden 64 Prozent aller Wege werktags mit dem Auto zurückgelegt. 14 Prozent der Wege werden mit einem öffentlichen Verkehrsmittel zurückgelegt, mit 15 Prozent in etwa gleich viel zu Fuß. Für nur sieben Prozent der Alltagswege wird aufs Fahrrad zurückgegriffen.

Land will Straßen ausbauen

Die Landespolitik tut alles andere, als gegenzusteuern. Im Wahlkampf wetterte Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) gegen Klimaaktivistinnen und drohte damit, Strafen wegen Klimaprotests zu verschärfen. Im schwarz-blauen Regierungsprogramm wird der Klimawandel nicht thematisiert. Es wurde der Ausbau von Straßen fixiert, das Wort Fahrrad komme nur in Zusammenhang mit Tourismus vor, kritisiert die Radlobby. Dass die ÖVP dem blauen Koalitionspartner das Verkehrsressort überlassen hat, ist die Spitze des (schmelzenden) Eisbergs. Der nun zuständige Vizelandeshauptmann Udo Landbauer (FPÖ) bekannte sich sogleich zu Verbrennungsmotor und Individualverkehr: "In einem Flächenbundesland wie Niederösterreich sind unsere Landsleute auf das Auto angewiesen. Es wird an allen Straßenbauprojekten festgehalten."

Leergutrückgabe mit dem Lastenrad – Schritt für Schritt ändern wir unser Mobilitätsverhalten.
Foto: privat

Dabei gäbe es abseits des Individualverkehrs viel zu tun: etwa Sharingkonzepte voranzutreiben und Öffis auch kleinen, dezentralen Dörfern zugänglich zu machen, die ohnehin von Abwanderung bedroht sind. Das Problem sind meistens die letzten Kilometer von der Station bis in die eigenen vier Wände. Bahnhöfe gibt es vor allem in entlegenen Gemeinden nicht, und wenn, dann fahren die Züge nur unregelmäßig.

Mitverursacher der Misere ist sicherlich auch fehlgeleitete Siedlungspolitik, wenn Häuser dort errichtet werden, wo es keine nachhaltige Verkehrsverbindung gibt.

Meine Familie und ich profitieren eindeutig von der guten Öffi-Anbindung. Niemals würden mein Mann oder ich auf die Idee kommen, mit dem Auto nach Wien in die Arbeit zu fahren. Im Stau stehen, Parkplatz suchen und dann auch noch dafür bezahlen? Das kommt nicht infrage. Alle 15 Minuten haben wir tagsüber einen Zug nach Wien. 50 Minuten brauche ich von Tür zu Tür. In der Früh ist es nicht einmal notwendig, auf die Uhr zu schauen, weil es ständig eine Möglichkeit gibt wegzufahren.

Und die Wege vor Ort? Wie schon in Wien gehe ich auch jetzt viel zu Fuß. 1.000 Schritte sind es bis zum nächsten Supermarkt, 800 Schritte bis zum Bahnhof. Auch den Weg zum Kindergarten kann ich dank Fußmarschs mit dem Schrittzähler protokollieren. 3.000 Schritte weist die App aus, wenn ich zu Hause wieder ankomme. Seit kurzem besitzen wir ein Lastenrad. Nach und nach versuchen wir, unsere Alltagswege auch damit zu bestreiten.

Einmal pro Woche geht es mit dem Auto zum Schwimmkurs – mit Blick auf Windräder und Rapsfelder.
Foto: privat

Trotzdem gibt es Situationen, in denen wir aufs Auto zurückgreifen. Bei Regenwetter ist die Versuchung groß, auch kurze Strecken mit dem Pkw zu fahren. Beim Wocheneinkauf sind die schon erwähnten Parkmöglichkeiten sehr verlockend. Zu den Schwiegereltern nach Oberösterreich reisen wir mit dem Auto an. Und dann gibt es noch den Schwimmkurs einmal pro Woche, den wir motorisiert ansteuern, weil der Ort, in dem er stattfindet, öffentlich nur mühsam zu erreichen ist.

Mehr Kilometer als sonst

Ein Blick ins Serviceheft unseres Autos, in dem der jährliche Kilometerstand festgehalten wird, enttäuscht mich dann trotzdem. Die Autonutzung hat sich seit unserem Umzug aufs Land nicht dramatisch verändert, die Tendenz zeigt aber leicht nach oben. Die gut angebundene Lage unseres neuen Zuhauses bewährt sich zwar. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie die Bilanz aussehen würde, wären wir in einen Ort ohne Öffis gezogen.

Dass sich die durchschnittliche Kilometeranzahl, die wir pro Jahr zurücklegen, ein wenig erhöht hat, führen wir erst mal auf die Wege zurück, die wir aufgrund des Umzugs zurücklegen mussten. Von Möbelhaus zu Baumarkt, von Elektrogeschäft zu Gärtnerei und so weiter.

Meine Freundin J. beweist, dass es auch fernab des Stadtzentrums nicht immer ein Auto für die Alltagswege braucht. Auch sie ist mit ihrer Familie erst vor einem Jahr aufs Land gezogen, ihr Weg zum Kindergarten ist deutlich weiter als unserer. Ihr Lastenrad kennt bereits der halbe Ort. Sie oder ihr Mann chauffiert ihre Kinder damit bei fast jedem Wetter in den Kindergarten. Eltern, die ihre Kinder klimaschonend in Kindergarten oder Schule bringen, sind für mich Role-Models für die Zukunft.

Über die Dächer hinweg: das Fahrrad als klimaschonende Alternative für die Mobilität auf dem Land. Alfreds Fahrradwerkstatt in Obersdorf bei Wolkersdorf weist den Weg in die Zukunft.
Foto: privat

Öfter als Lastenräder sehe ich derzeit aber noch die Autos der örtlichen Fahrschule durch die Straßen kurven. Ich erinnere mich, wie wichtig es mir war, möglichst bald nach meinem 18. Geburtstag den Führerschein zu machen. Ohne Auto hatte ich das Gefühl, in der kleinen Gemeinde, in der ich damals noch lebte, festzusitzen. Sie ist zwar nur wenige Kilometer von meinem jetzigen Wohnort entfernt, es gibt dort aber kaum Nahversorgung – und Angebote für Jugendliche schon gar nicht. Ich freute mich darauf, endlich frei zu sein und mich nicht mehr von meinen Eltern bringen und abholen lassen zu müssen. Freundinnen, die vor mir 18 wurden oder die den L17 machten, beneidete ich um ihre Unabhängigkeit. Wenige Monate nachdem ich endlich den Führerschein auch hatte, zog ich nach Wien. Autos wurden wieder uninteressant.

Ob mein Sohn sich als Jugendlicher auch einmal nach dem Führerschein sehnen wird? Vielleicht wünscht er sich zum 18. Geburtstag ja ein E-Mountainbike. Bis dahin versuche ich, als gutes Beispiel voranzugehen und das Auto so oft wie möglich im Carport stehen zu lassen. Mein Ehrgeiz ist groß, dass im kommenden Jahr die persönliche Kilometerkurve wieder nach unten geht. (Rosa Winkler-Hermaden, 11.5.2023)