Wasserflöhe ändern unter Stress ihr Schwimmmuster, in Kombination mit technologischen Elementen werden sie zu perfekten Anzeigern von Vorgängen im Wasser.
Foto: Eu-FET Project Robocoenosis (2), University of Guelph / Paul D.N. Hebert

Etliche heimische Seen erfreuen sich im Sommer großer Beliebtheit. Dabei sind Menschen nicht die Einzigen, die die Gewässer in Beschlag nehmen. Taucht man durch die Wasseroberfläche, eröffnet sich ein Paradies voller Leben. Insektenlarven, Kleinkrebse und Fische wirbeln eilig herum, während Schnecken gemächlich den Untergrund durchziehen.

Bedrohtes Idyll

Doch dieses Idyll ist bedroht: Der Klimawandel verändert heimische Gewässer, bringt manche, wie etwa den Neusiedler See, an den Rand des Austrocknens. Viele Seen leiden an den Düngemitteln, die aus den Feldern ringsum geschwemmt werden, wenn nach trockenen Wintern im Frühjahr große Regenmengen auf die Acker niedergehen. Zu vermessen, wie genau sich Umwelteinflüsse auf das Leben Unterwasser auswirken, ist jedoch teuer und zeitaufwendig.

"Um solche Messungen anzustellen, setzt man üblicherweise eine Person in ein Boot, nimmt eine Wasserprobe und bringt sie ins Labor, wo sie analysiert wird. Das ist sehr kostspielig", sagt Ronald Thenius, Biologe von der Uni Graz. Wie praktisch wäre es, wenn wir die Bewohner unserer Gewässer selbst fragen könnten – sind ihre Sinne doch darauf ausgelegt, Veränderungen im Wasser wahrzunehmen.

Lebendige Überwachung

Das internationale Forschungsprojekt Robozönose hat sich genau das vorgenommen: Ein Roboter, der zum Teil aus Wasserlebewesen besteht, soll sich dafür in das Ökosystem einklinken. Der Grundgedanke ist, vollautomatisch verschiedene Organismen zu beobachten, um Rückschlüsse auf Vorgänge im Wasser zu ziehen. Thenius, der das Projekt für das Grazer Artificial Life Lab koordiniert, erklärt: "Lebewesen reagieren auf ein breites Spektrum von Veränderungen, etwa auf Schwankungen im Sauerstoffgehalt, auf Krankheiten, Giftstoffe bis hin zu Strahlung."

So ändern Wasserflöhe, kleine Krebstiere, die praktisch in jedem See vorkommen, ihre Schwimmmuster, wenn sie unter Stress stehen – und verändern bei Sauerstoffmangel ihre Farbe. "Beides können wir mit einer Kamera gut erfassen und mit Computern auswerten", sagt Thenius. Gemeinsam mit technisch erhobenen Daten kann so die Wasserqualität genau überwacht werden.

Organismen liefern nötigen Strom

Herzstücke des Projekts sind ein Plexiglaszylinder mit einem elektronischen Kern zur Datenverarbeitung und Bereiche aus abbaubaren Materialien, die von Lebewesen bewohnt werden können: Ist der Zylinder einmal auf seiner Plattform am Seeboden vertäut, strömt von außen Wasser in die überwachten "Gehege" – die Messung kann beginnen, die Daten landen per Handynetz bei den Forschern.

Der Prototyp des von Mikroorganismen mit Strom versorgten Messgeräts nach dem Einsatz im Neusiedler See.
Foto: Robocoenosis, Wiktoria Rajewicz.

Auch die Stromversorgung des Zylinders ist zum Teil organisch. Auf der Unterseite der Plattform befinden sich Karbonschwämme, die, einmal im Seeboden versenkt, im Nu von Bakterien besiedelt werden. "Diese Mikroorganismen haben wie alle Lebewesen einen gewissen Ionenfluss", erklärt Thenius, "Indem wir das geschickt abgreifen, können wir damit den Roboter betreiben."

Zebramuscheln unter Beobachtung

Um einen tieferen Einblick in den Zustand des Gewässers zu gewinnen, beobachten die Fachleute verschiedene Organismen gleichzeitig. Dabei setzen Thenius und sein Team neben den Wasserflöhen vor allem auf Zebramuscheln. Die gestreifte, eher unscheinbare Molluske ist eigentlich fremd in heimischen Ökosystemen, hat sich aber in vielen Seen ausgebreitet. Obwohl die Weichtiere nicht für ihr vielfältiges Verhalten bekannt sind, reagieren sie spezifisch auf Veränderungen – und eignen sich somit als Sensorlebewesen.

Der Wasserfloh Daphnia pulex kommt in kleinen, seichten Tümpeln, Teichen und in den Uferzonen größerer Gewässer vor.
Foto: University of Guelph, Paul D.N. Hebert

"Wir beobachten einerseits die Frequenz, mit der die Muscheln auf- und zuklappen, andererseits scannen wir mittels Infrarotsensoren die Herzrate der Tiere, durch die Schale hindurch", erläutert Thenius. Selbst das Bakterienkraftwerk kann zum Sammeln von Daten genutzt werden: Zieht der Roboter nicht Elektrizität ab, sondern schickt einen kleinen Strom durch die schwammige Heimat der Mikroben, verändern die Bakterien ihre Aktivität, was Rückschlüsse etwa über Schwermetalle im Boden erlaubt.

Vom Riff bis zum Urwald

Doch woher wissen die Fachleute, welche Störung welche Reaktion auslöst? Thenius erklärt: "Wir kalibrieren unsere Organismen im Labor, indem wir etwa kleine Mengen Salz zu den Tieren geben und genau notieren, wie sie sich verhalten."

Dabei und bei ihrem Einsatz im Roboter sollen die Lebewesen unter möglichst wenig Stress stehen – nur so sind später Verhaltensänderungen auf die Umwelt zurückzuführen. Noch gibt es von den Robotern nur Prototypen im Millstätter See und im Neusiedler See – Gewässer, die das Spektrum der in Europa vorkommenden Seen abdecken. Doch die Technik ist vielversprechend, können so doch auch andere Ökosysteme gehackt werden, von Korallenriffen bis zu Urwäldern. (Dorian Schiffer, 24.4.2023)