Weil sich in der Unteren Lobau Brunnen für die Trinkwassergewinnung befinden, bekommt sie vom eingeleiteten Wasser aus der Neuen Donau nur wenig zu spüren – vorerst.
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Es hat rund zwei Meter Durchmesser, ist 85 Meter lang – und soll das Ende einer langen Durststrecke sein: das Rohr, das derzeit auf dem Streifen Land zwischen Neuer Donau und Panozzalacke in der Wiener Lobau verlegt wird. 1500 Liter Wasser pro Sekunde sollen bald über die neue Leitung vom Fluss in den Teich gepumpt werden – mit dem Ziel, ein gravierendes Problem in Wiens Teil des Nationalparks Donauauen zu lösen: das Vertrocknen des Auwalds.

Bedrohte Arten

Dass es dem Gebiet an Wasser – und damit an seinem prägenden Element – mangelt, hat vor allem zwei Gründe. Erstens die Donauregulierung ab dem 19. Jahrhundert, die Wien zwar vor Hochwassser schützt, aber gleichzeitig die einst regelmäßigen Überschwemmungen der Au stark einschränkte. Und zweitens den Klimawandel, der Feuchtgebieten weltweit zusetzt. Die Folge: Eine Naturlandschaft mit Bächen und Teichen, Heimat spezieller Pflanzen und Tiere, droht zu verschwinden. Die Antwort der Stadt: besagtes Rohr.

Es ist nicht das erste seiner Art. Seit 2001 wird beim Mühlwasser Wasser aus Neuer und Alter Donau in die Au geleitet. Das ist aber nicht genug, weshalb nun nachgebessert wird. Aber reicht das? Und kann die neue Leitung den Auwald retten?

Teillinderung des Problems

Jein, sagt Hydrobiologe Thomas Hein von der Universität für Bodenkultur Wien zum STANDARD. "In der Gesamtidee ist die Leitung eine positive Maßnahme. In einem Bereich mit Wasserdefizit wird Wasserverfügbarkeit geschaffen", erklärt er. "So kann man von der jetzt terrestrisch geprägten Situation wieder zu einer wasserdominierten kommen." Das würde Feuchtlebensräume, die Libellen, Amphibien oder Fische beheimaten, fördern.

Damit die Lobau aber wieder zu einer richtigen Au werde, bräuchte es andere Schritte, sagt Hein. Das Ökosystem einer Au basiere auf starken Schwankungen des Wasserspiegels und der Fließgeschwindigkeit. Diese Dynamik lasse sich mit dem neuen Rohr nicht nachahmen: Das Wasser fließt kontrolliert von der Panozzalacke über das Tischwasser und Oberleitner Wasser in den Großenzersdorfer Arm. Limitierender Faktor sei die Nähe zum Siedlungsgebiet, die eben eine gewisse Vorsicht erfordere. "Ökologisch gesehen ist die Leitung nicht optimal, praktisch betrachtet kann sie einen Teil des Problems lindern."

Naturraum und Wasserschutzgebiet

Zusätzlich zu dem Effekt an der Oberfläche rechnet der Forscher mit einer wichtigen Veränderung im Untergrund. Denn die Maßnahme soll auch zu einem höheren Grundwasserspiegel führen, der eine wichtige Reserve für unvermeidliche Trockenphasen bildet.

Beide Wirkungen unterliegen allerdings einer großen Einschränkung: Sie betreffen allen voran lediglich die Obere Lobau, also den Bereich westlich des Staudigl-Wehrs bei Groß-Enzersdorf. Östlich befindet sich die Untere Lobau. Sie hat eine Doppelrolle, ist Naturraum und Wasserschutzgebiet mit Brunnen zugleich. Zusätzlich zur Hochquellleitung sind diese das zweite Standbein der Wiener Trinkwasserversorgung. Und das macht es knifflig.

Versuch gefordert

In derartigen Schutzgebieten gibt es strenge Vorschriften, um das Wasser vor Verunreinigen zu schützen. Im Fall der Unteren Lobau gilt: Es darf kein externes Wasser eingeleitet werden. Ein kleiner Damm bei Groß-Enzersdorf hindert daher Wasser aus der Oberen Lobau am Weiterfließen in die Untere Lobau. Das heißt: Auch das zugeleitete Wasser steht hier künftig an. Zwar dringe zumindest ein kleiner Teil der eingeleiteten Mengen über das Grundwasser auch in die Untere Lobau vor, sagt Hein. Insgesamt bleibe die Dotation wegen der Beschränkung auf die Obere Lobau aber stark hinter ihrem Potenzial zurück.

Aus Sicht des Hydrobiologen müsste das nicht so sein. Für ihn ist nicht gesichert, dass Wasser aus der Neuen Donau die Qualität des Trinkwassers beeinträchtigen würde – auch wenn Modellrechnungen punktuell ein Risiko nahelegen. Die Brunnen befänden sich relativ weit von den größeren Fließgewässern der Unteren Lobau entfernt, es sei fraglich, wie viel externes Wasser sie überhaupt erreichen würde, sagt er. "Wissenschaftlich und gesellschaftlich sinnvoll wäre nun, die Modellrechnungen in einem kontrollierten Versuch zu erproben." Denn die zentrale Frage lautet für Hein: "Opfern wir ein Augebiet der Trinkwassernutzung, oder bringen wir beides unter einen Hut?"

Die Umweltschutzorganisation WWF hat eine andere Idee, wie dies gelingen könnte: mit einer Wasseraufbereitungslage. "Das ist die einzige realistische Möglichkeit, die Untere Lobau zu retten", sagt Au-Experte Jurrien Westerhof. Der Vorteil: Die Aufbereitungsanlage würde etwaige Verunreinigungen – sei es aus Wasser aus der Neuen Donau oder von woanders – auffangen, bevor es in die Leitungen kommt. Der Nachteil: Konkrete Pläne für den Bau einer solchen Anlage hat die Stadt Wien schon einmal verworfen.

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Lernen für Untere Lobau

Die Magistratsabteilung 45, zuständig für Wiens Gewässer, tendiert zu Heins Ansatz. Sobald das neue Rohr im Juni in Probebetrieb geht, solle untersucht werden, wie sich das zugeleitete Wasser auf das Trinkwasser auswirke, sagt Leiter Gerald Loew. Stattfinden wird das Experiment aber nicht in der Unteren Lobau, sondern in der Oberen.

Dort befindet sich an der Vorwerkstraße ebenfalls ein Brunnen: Weil es sich nur um ein Exemplar handle, sei es der Zuleitung nicht im Wege gestanden, sagt Loew. Denn sollte etwas irreversibel schiefgehen, "können wir auf diesen einen Brunnen zur Not verzichten". Er hat große Erwartungen an den Versuch: "Die Ergebnisse werden uns hoffentlich dorthin bringen, dass wir in die Untere Lobau einleiten können." Bis Resultate vorliegen, wird es noch dauern: "Ein, zwei Jahre", schätzt Loew. So lange sei noch Zeit: "Eine Austrocknung passiert ja nicht innerhalb eines Jahres." (Stefanie Rachbauer, 19.4.2023)