Verschwörung in der Zwickmühle zwischen Staat und Religion.

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Die Al-Azhar-Universität in Ägypten ist eine interessante Institution. In den westlichen akademischen Netzwerken spielt sie keine große Rolle, in der muslimischen Welt aber genießt die Azhar höchste Autorität. Wer dort inskribiert, kommt um die Religion nicht herum. Frauen können studieren, aber nur getrennt von den Männern. Selbst künftige Ingenieure müssen sich wissenschaftlich mit dem Islam beschäftigen. Und schon über den Begriff von Wissenschaftlichkeit an der Azhar könnte man jede Menge spannender Seminare abhalten – oder den Koran befragen. Und dann wäre natürlich noch von der Politik zu reden.

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Als grundlegende Instanz in allen Fragen muslimischer Selbstverständigung ist die Azhar ein eminenter Machtfaktor. Es ist dieser Punkt, an dem Tarek Saleh mit seinem Thriller Die Kairo-Verschwörung ansetzt. Er wählt für seine Geschichte einen Protagonisten, der von außen neu an die Universität kommt: Adam (Tawfeek Barhom) stammt aus einem Fischerdorf, er bekommt durch ein Stipendium die Möglichkeit, nach Kairo zu gehen, sein Ausbildungsziel ist von Beginn an recht eindeutig. Er soll als Dorfimam in seine Heimat zurückkehren.

Adam ist auf die komplexe Welt nicht vorbereitet, die sich ihm eröffnet. Damit ist er das ideale Medium für einen Regisseur, der seine Herkunftskultur zugleich von außen und von innen in den Blick zu nehmen versucht.

Moderne Perspektive

Tarek Saleh ist Schwede mit ägyptischer Familiengeschichte. 2017 wurde er mit dem Film Die Nile Hilton Affäre bekannt, ebenfalls ein Thriller, der alte Klischees über die arabische Welt (man denke an Agatha Christies Tod auf dem Nil) mit einer moderneren Perspektive zu verbinden versuchte. Die Kairo-Verschwörung ist nun wieder eine Gratwanderung: ein bisschen europäisches Autorenkino mit einem ägyptischen Stoff, ein bisschen internationales Mainstreamkino, das sich halt einmal an einen etwas ungewöhnlichen Ort wagt.

Saleh macht es ähnlich wie Umberto Eco, der in Der Name der Rose einen Mönch sterben ließ, um damit den Vorwand für einen Kriminalfall zu bekommen, mit dem er zugleich die hochmittelalterliche Geisteswelt vorstellen konnte. In Die Kairo-Verschwörung stirbt der Universitätspräsident, das heißt, es muss ein neuer gewählt werden.

Die Hochschule ist zwar nominell autonom, de facto aber versucht der Staat selbstverständlich, so gut wie möglich hineinzuregieren. Dazu braucht er Verbündete, Informanten, Handlanger. Wie es sich für das Drehbuch passend trifft, ist der Titelheld für diese Aufgaben vollkommen ungeeignet, also eine ideale Besetzung.

Klassische Motive

Lange Zeit war der Orient im westlichen Kino eine selbstverständliche Sache, ein exotischer Hintergrund, den man aus ein paar Außenaufnahmen und Studioszenen zusammenbastelte.

Alfred Hitchcocks Der Mann, der zuviel wußte ist dafür ein gutes Beispiel. Inzwischen weiß jedoch das kommerzielle Kino schon, dass es nicht allein um Schauwerte gehen kann. Und Tarek Saleh geht sogar noch ein paar Schritte weiter.

Bei ihm ist Kairo zwar auch eine Location, mit der er klassische Abenteuermotive aufrufen kann – die labyrinthische Architektur, dazu als handlungsleitender Ort ein Minarett, das hier eine ähnliche Funktion bekommt wie das Wiener Riesenrad in Der dritte Mann.

Geheimdienstmittel

Adam ist bei Saleh ein Mann, der zu viel und zugleich viel zu wenig weiß. Und das Publikum kann, wenn es ein wenig aufpasst, eine Menge lernen, denn in die Spannungsgeschichte ist die ganze komplizierte Auseinandersetzung der ägyptischen Staatsmacht mit dem politischen Islam eingeschrieben.

Staat und Kirche sind selbst im Westen immer noch auf vielfache Weise ungut miteinander verflochten. Die Azhar aber ist bei Saleh ein Staat im Staat, ein Ort mit eigenen politischen Regeln, in die Adam zunehmend mit Mitteln eingreift, die man als geheimdienstlich bezeichnen muss. Tarek Saleh gelingt es dabei, ein vielschichtiges Geschehen in eine spannende Dramaturgie einzubetten. Und dabei zugleich Exotik in Vertrautheit zu verwandeln. (Bert Rebhandl, 19.4.2023)