Sicherheitskräfte hätten alle Anwesenden der Parteizentrale von Ennahda des Gebäudes verwiesen und in sämtlichen Büros der Partei Zusammenkünfte verboten.

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Tunis – In Tunesien verschärfen die Behörden ihr Vorgehen gegen die Opposition. Die Polizei nahm am Dienstag drei weitere prominente Funktionäre der größten Oppositionspartei Ennahda fest, wie Vertreter der islamistischen Partei mitteilten. Zudem hätten Sicherheitskräfte mit einer Durchsuchung der Parteizentrale begonnen und alle Anwesenden des Gebäudes verwiesen. In sämtlichen Büros der Partei seien Zusammenkünfte verboten worden.

Auch die Zentrale des Oppositionsbündnisses Nationale Heilsfront, das aus Parteien und Protestgruppen besteht, wurde geschlossen, wie Partei- und Behördenvertreter der Nachrichtenagentur Reuters mitteilten. Erst am Montagabend war mit Parteichef Rached Ghannouchi (81) der führende Gegner von Präsident Kais Saied festgenommen worden. Ghannouchi sei nach seiner Festnahme ins Krankenhaus eingeliefert worden, hieß es aus Parteikreisen. Sein Gesundheitszustand ist demnach schlecht. Weitere Details wurden zunächst nicht mitgeteilt.

Ein Vertreter des Innenministeriums sagte, Ghannouchi sei auf Anordnung der Staatsanwaltschaft zum Verhör abgeführt und sein Haus durchsucht worden. Gegen den 81-Jährigen werde wegen "aufrührerischer Äußerungen" ermittelt. Ghannouchis Anwälte erklärten, sie hätten keine Kenntnis über den Verlauf der Ermittlungen.

Verhaftungs-Welle

Ghannouchi hatte am Samstag auf einer Versammlung der Opposition gesagt: "Tunesien ohne Ennahda, ohne den politischen Islam, ohne die Linke oder irgendeine andere Komponente ist ein Fall für den Bürgerkrieg".

Mit der Festnahme Ghannouchis hat die Verhaftungs-Welle von Oppositionellen in Tunesien einen neuen Höhepunkt erreicht. Treibende Kraft ist Präsident Saied. Er hatte 2021 das Parlament entmachtet und die Regierung durch von ihm ausgesuchte Minister ersetzt. Zudem hat er die Befugnisse des Präsidenten vergrößert, so dass fast alle Macht in seinen Händen liegt. Seine Gegner befürchten, Saied wolle den letzten demokratischen Staat in Nordafrika in eine Autokratie verwandeln und die demokratischen Errungenschaften der Revolution des Arabischen Frühlings vom Jahr 2011, die in Tunesien seinen Anfang nahm, zurückschrauben. Saied rechtfertigt sein Vorgehen damit, Tunesien aus der Krise führen zu wollen.

Ghannouchi war in den 80er-Jahren ein politischer Gefangener und ging in den 90er-Jahren ins Exil. Während der Revolution in Tunesien 2011 kehrte er in seine Heimat zurück. Unter seiner Führung bewegte sich Ennahda in Richtung der politischen Mitte und trat mehreren Regierungskoalitionen mit säkularen Parteien bei. Nach den Wahlen 2019 wurde er Parlamentspräsident. (APA, 18.4.2023)