Während der Aufräumarbeiten nach dem Burning-Man-Festival in der Wüste Nevadas wird schon mal die Wüste gerecht.

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Die Dokumentarfilme von Nikolaus Geyrhalter prägen seit der Jahrtausendwende die österreichische Filmlandschaft. Sein Erfolgsrezept ist so dringlich wie einfach, und spätestens seit dem Durchbruch mit Elsewhere (2001) und Unser täglich Brot vier Jahre später hat er es etabliert: Immer sieht sich der Chronist der Gegenwart die Auswirkungen von Globalisierung und Massenproduktion mit gleichermaßen analytischen wie ästhetischen Blick an. In seinem neuen Kinodokumentarfilm Matter out of Place liegt das Thema auf der Hand: Es geht um Müll und wie er in verschiedenen Ländern entsorgt wird. Ein Gespräch über das Filmemachen und unseren Platz in der Welt.

Regisseur Nikolaus Geyrhalter gewann für seine Doku "Matter out of Place" 2022 auf dem Festival in Locarno den Umweltpreis.
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STANDARD: Sie haben vor dreißig Jahren angefangen, gesellschaftlich relevante Filme zu machen. Verfolgen Sie eine bestimmte Mission?

Geyrhalter: Ich versuche, mit allen Filmen Menschen besser zu verstehen. Eigentlich geht’s mir immer darum, was wir sind und warum wir so sind. Das kann man von vielen Blickwinkeln aus anschauen, ob das der Müll in Matter out of Place ist oder der Bosnienkrieg in Das Jahr nach Dayton (1997). Im Laufe der Jahre hat sich das Chronistische eingeschlichen. Ich versuche, Zustände festzuhalten, auch für zukünftige Generationen. Aber ich glaube nicht, dass ich eine Mission habe.

STANDARD: Wollen Sie die Welt nicht verändern?

Geyrhalter: Das werde ich tatsächlich oft gefragt. Aber ich muss niemanden bekehren, ich muss die Welt nicht verändern. Filme können im besten Fall dazu beitragen, dass ein Umdenkprozess in Gang kommt, aber es müssen die Menschen sein, die etwas verändern. Man kann das nicht einem Film überlassen.

STANDARD: Jede Ihrer Dokumentationen bleibt im Hier und Jetzt. Weder denken sie in die Zukunft, noch arbeiten sie historisch auf. Warum?

Geyrhalter: Meine Filme leben davon, dass das Publikum die Gegenwart erlebt und so Zugang zu Orten bekommt, die nur wenigen zugänglich sind. Das überträgt sich dann im Kino. Ich finde die Gegenwart extrem spannend. Ich habe bisher noch keinen Grund gesehen, mich mit etwas anderem zu beschäftigen.

STANDARD: Eines Ihrer Markenzeichen sind lange Einstellungen. Manchmal können die auch den Geduldsfaden strapazieren ...

Geyrhalter: In Matter out of Place gibt es Einstellungen, die ein paar Minuten dauern. Doch es passiert ständig was. Man hätte das mit einer Schnittfolge auflösen können, aber so ist das wie ein Wimmelbild, und das Publikum bekommt selbst die Chance, Close-ups zu machen. Ich finde das viel demokratischer. Es geht ja nicht nur ums Sehen, sondern auch ums Spüren. Und das funktioniert nicht, wenn man von einer schnellen Schnittfolge gehetzt wird. Ich glaube prinzipiell, dass dem Publikum sehr viel mehr zuzutrauen ist. Man muss es nur dazu bringen, erst mal da zu sein.

Geyrhalterfilm

STANDARD: Ihr neuer Film Matter out of Place zeigt, wie in verschiedenen Ländern Müll entsorgt wird. Wie kamen Sie auf das Thema?

Geyrhalter: Müll ist sowieso immer und überall. Wir produzieren ihn und haben ihn nicht wirklich in der Hand. Ich wollte einen Film machen, der nicht spekulativ ist, keine Schuld sucht oder eindeutig mit Zahlen und Fakten hantiert, sondern einfach einmal hinter die Kulissen schauen.

STANDARD: Auch wenn es Ihnen schlussendlich um den Menschen geht, wirkt er angesichts der enormen Müllberge klein. Die Philosophie des neuen Materialismus sieht Materie als ebenso wirkmächtig wie Menschen. Können Sie damit etwas anfangen?

Geyrhalter: Was ist der Mensch, und was ist der Rest? Ist der Mensch Teil der Natur oder nicht? Die Frage habe ich mir oft gestellt. Wenn man von unberührter Natur spricht, also von Natur ohne "Matter out of Place", spricht man von Orten, die so wirken, als ob wir Menschen nie da gewesen wären. Aber eigentlich sind wir auch Teil der Natur. Die Frage ist, wann sich das eigentlich entfremdet hat? Oder ist die Vorstellung, wie die Welt ohne uns aussehen würde, nur eine romantische Sichtweise?

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Geyrhalter: Wenn wir Teil der Natur sind, dann ist es vielleicht eh okay, was wir machen. Vielleicht sind wir dominant, und das war’s. Das ist, finde ich, eine etwas brutale und einfache Sichtweise. Damit will ich mich nicht abfinden. Man kann unsere Existenz komplett ablehnen und sagen, dass wir alle Sondermüll sind, oder man behauptet, dass wir einfach Teil des Universums sind, und fertig. Zwischendrin liegt die Bandbreite. Im Grunde ist aber nur wichtig, dass man einen Lebensraum erhält, der für uns und andere Lebewesen lebenswert ist.

Menschenleere Perfektion in der Schweiz.
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STANDARD: Welche Verantwortung haben wir denn in Bezug auf Müll?

Geyrhalter: Die Menschheit hat immer Müll produziert, doch seit ungefähr hundert Jahren reicht es nicht mehr aus, den Müll hinters Haus zu werfen, weil er verrottet. Beim Dreh habe ich mir immer wieder gedacht, dass wir das evolutionär noch nicht verinnerlicht haben.

STANDARD: Woran liegt das?

Geyrhalter: Das liegt daran, dass wir Stoffe haben und entwickeln, die wir eigentlich noch gar nicht einschätzen können. Es gibt Atommüll und chemischen Abfall, der so toxisch ist, dass man ihn tief unter der Erde in Salzbergwerken einlagern muss. Es gibt Schlimmeres als die Plastikflasche am Straßenrand. Der Mikroplastikzug ist ehrlich gesagt schon abgefahren. Wir haben es geschafft, die Welt mit Mikroplastik zuzumüllen. Das kriegen wir nicht mehr raus. Die Frage der Verantwortung ist damit aber nicht beantwortet. Jeder kann es für sich versuchen, und ich selbst weiß auch, dass ich daran noch arbeiten muss.

Die gigantische Mülldeponie in Nepal ist Ort der Handarbeit.

STANDARD: Müll ist nicht nur mit ökologischen Fragen verbunden. Die gigantische Mülldeponie in Nepal ist auch Arbeitsort, in Albanien möchte eine nationalistisch angehauchte Gruppierung ihr Land sauber halten. Haben Sie auch politische Beobachtungen gemacht, die Sie interessant oder problematisch fanden?

Geyrhalter: In Albanien sind das keine politischen Menschen, das sind einfach Albaner, die den Strand aufräumen. Es ging mir nicht darum, warum Menschen etwas tun, sondern dass sie es tun.

STANDARD: Aber ist das die Aufgabe von Zivilisten?

Geyrhalter: Ich bin mir nicht sicher, ob das eine Aufgabe ist, die die Zivilgesellschaft übernehmen sollte. Natürlich ist es die Zivilgesellschaft, die die Flaschen in den Fluss wirft, aber prinzipiell gibt es Organisationen, die für die Müllentsorgung zuständig sein sollten. Das muss sich ein Land halt auch leisten können. Jetzt kann man sagen, dass es in armen Ländern fürchterlich aussieht, weil es dort kein Müllmanagement gibt, andererseits produzieren sauber aussehende Staaten den größten Anteil des Mülls. Beim Vermeiden muss man beginnen. Das ist zwar eine Binsenweisheit, aber je mehr Müll man gewöhnt ist, umso schwieriger ist das. (Valerie Dirk, 20.4.2023)