Spaniens linksalternative Gleichstellungsministerin Irene Montero gilt als Architektin des Gesetzes, das nach scharfer Kritik zurückgenommen wurde. Bei der Verteidigung ihres Vorhabens wurde sie von der Koalition alleine gelassen.

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Die Reform der Reform des spanischen Sexualstrafrechte ist durchs Parlament gegangen. Der sozialistische PSOE von Ministerpräsident Pedro Sánchez erhielt am Donnerstag dank der Stimmen des konservativen Partido Popular (PP) die nötige Mehrheit. Zurück bleibt eine völlig zerstrittene Regierungskoalition. Die Abgeordneten des kleineren Koalitionspartners Unidas Podemos (UP) stimmten ebenso gegen die Reform der Reform wie die meisten derer, die das ursprüngliche Gesetz einst angenommen hatten. Die rechtsextreme Vox blieb der Abstimmung fern.

Das im Volksmund "Nur ja ist ja" genannte "Gesetz der sexuellen Freiheit" stammte aus der Feder der linksalternativen Gleichstellungsministerin Irene Montero und war erst Ende vergangenen Jahres in Kraft getreten. Anders als zuvor unterschied es nicht mehr zwischen Missbrauch (ohne körperliche Gewaltanwendung) und Aggression, also Vergewaltigung mit Penetration und körperlicher Gewalt. Es stellte die fehlende explizite Zustimmung der Frau zu sexuellen Handlungen über alles.

Gewalt entscheidet wieder

Das Mindeststrafmaß wurde gesenkt, auch um die Liste der Straftaten dafür ausweiten zu können. Nun gelten nicht nur direkte Übergriffe als sexuelle Gewalt, sondern auch Belästigungen, Exhibitionismus, sexuelle Provokation, sexuelle Ausbeutung, der Missbrauch Minderjähriger jeglicher Art, weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsehe, Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung sowie die Verbreitung sexueller Gewaltakte in digitalen Medien oder sexuelle Erpressung etwa in Netzwerken und Chats.

Unbedachte Konsequenz: Die niedrigeren Mindeststrafen nutzten Richter in dutzenden Revisionsverfahren, um nach dem alten Gesetz verhängte Strafen herabzusetzen. 978 verurteilten Straftätern gelang dies bisher, über hundert durften sogar die Haft vorzeitig verlassen. Die rechte Presse sah das als Anlass für eine Kampagne gegen die Gleichstellungsministerin. Sie habe die Frauen ohne Schutz gelassen, lautete der Vorwurf. Sánchez wollte der Kritik an der Regierung nur sechs Wochen vor den Kommunal- und Regionalwahlen ein Ende bereiten. Es handle sich nur "um eine technische Reform", erklärte die Sprecherin der Sozialisten, Andrea Fernández, in der Parlamentsdebatte.

Mit der Reform der Reform wird die Frage, ob Gewalt im Spiel war oder nicht, wieder als entscheidendes Kriterium für die Beurteilung der Tat ins Gesetz aufgenommen.

Absetzung gefordert

"Heute ist der traurigste und schwierigste Tag, den ich in diesem Parlament als Ministerin erlebt habe", sagte Montero. Ihr Gesetz habe Jahre der Mobilisierung gekostet, jetzt habe "die Reaktion darauf einen Rückschritt zur Folge". Das Gesetz aus dem Hause Montero war die Folge von massiven Demonstrationen nach einem aufsehenerregenden Urteil, das keine Aggression, sondern "nur" Missbrauch in einer Massenvergewaltigung sehen wollte. Was die Täter damals entlastete: Auf den Videos, die die fünf mitgeschnitten hatten, wehrte sich das Opfer angesichts der männlichen Übermacht nicht. Am Vorabend der Parlamentsdebatte kam es erneut zu Protesten vor dem Justizministerium.

"Es hätte eine gemeinsame Antwort gebraucht", warb Montero ein letztes Mal für die Einheit aller Parteien mit feministischer Einstellung. Vergebens: Die Sozialisten hatten sich längst auf die Unterstützung für ihre im Alleingang ausgearbeitete Reform der Reform durch den konservativen PP festgelegt. Dessen Sprecherin Cuca Gamarra feierte die Abstimmung und verlangte von Ministerpräsident Sánchez ganz direkt die Absetzung von Gleichstellungsministerin Montero. (Reiner Wandler aus Madrid, 20.4.2023)