Treiben Profite die Inflation an? Die Europäische Zentralbank sagt Ja.

Foto: APA/Monika Skolimowska

Frage: Was soll das überhaupt sein, die Gierflation?

Antwort: Gierflation ist ein politischer Kampfbegriff, den man etwas sachlicher mit Profitinflation übersetzen könnte. Das bedeutet, dass Unternehmen Phasen höherer Inflation ausnutzen, um still und leise ihre Preise zu erhöhen – und somit ihre Profite. Das befeuert dann die ohnehin hohe Inflation noch zusätzlich. Zwar haben die Unternehmen durchaus tatsächlich höhere Kosten – für Energie etwa oder für Arbeitskräfte. Allerdings liegen die Preissteigerungen, die sie vornehmen, eben über diesen gestiegenen Kosten. Gierflation gilt als umstrittener Begriff, weil es individuelle Gier als Triebkraft unterstellt. Dabei ist es in einer Marktwirtschaft natürlich nichts Verwerfliches, wenn Unternehmen Geld verdienen wollen – so liegt dies doch schlicht in deren Natur.

Frage: Ist das Phänomen in Österreich feststellbar?

Antwort: Das arbeitnehmernahe Momentum-Institut hat eine Berechnung dazu vorgelegt, wonach in Österreich einige Branchen, Landwirtschaft, Bau und der Energiesektor, überdurchschnittlich hohe Preissteigerungen durchsetzen konnten. Der größte Teil davon sei in die Gewinnmargen geflossen, so die Momentum-Berechnung. Diese Berechnungen für das Jahr 2022 basieren allerdings noch auf Daten, die gewissen Revisionen ausgesetzt sind, wie der Ökonom Josef Baumgartner vom Forschungsinstitut Wifo erklärt. Die genauen Werte können sich noch ändern, weshalb bei Interpretation vorläufiger Daten noch Vorsicht geboten sei. Quasi schon amtlich ist, dass in der Landwirtschaft die Profite sehr stark zugelegt haben: Landwirtschaftliche Betriebe konnten real, also inflationsbereinigt, ein Gewinnplus von 24 Prozent verzeichnen, so die Statistik Austria. Das liegt an den stark gestiegenen Rohstoffpreisen.

Frage: Wie sieht es in der Eurozone aus?

Antwort: In der kompletten Eurozone lässt sich Profitinflation belegen. Eine Gruppe von Ökonomen der Europäischen Zentralbank (EZB) hat im Rahmen eines Ende März erschienenen Blogeintrags analysiert, was genau die Preise in Europa derzeit treibt. Sind es Löhne oder Profite? Für die Berechnung werden in einem ersten Schritt jene Kosten herausgerechnet, die bei Unternehmen anfallen, wenn sie Vorleistungen aus dem Ausland importieren. Darunter fallen zum Beispiel Gas und Strom, die teurer geworden sind. In der Rechnung soll nur die inländische Produktion betrachtet werden. Dann wird im zweiten Schritt analysiert, wie sich der Wert der erzeugten Produkte und Dienstleistungen verändert hat und welcher Anteil vom Wertzuwachs auf Arbeit und Kapital entfällt. Laut EZB stiegen sowohl Löhne als auch Profite kräftig an, Letztere aber etwas stärker. Gewinne trugen mehr als die Hälfte zum "inländischen Preisdruck" bei, wie die EZB formuliert. Und: Auch die EZB identifiziert die Branchen Energie-, und Landwirtschaft sowie Bau als Preistreiber.

Frage: Lässt sich schon sagen, wie stark das Phänomen die Preise in Österreich treibt?

Antwort: Nein. Das wird erst im Laufe des Jahres feststehen. Die Lohnquote, die anzeigt, welcher Anteil am volkswirtschaftlichen Einkommen auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entfällt, ging 2022 nur leicht zurück – von 69,1 auf 68,7 Prozent. Das deutet darauf hin, dass die Unternehmen zwar ihren Gewinnanteil steigern konnten, aber im Aggregat nicht dramatisch.

Frage: Was wurde bereits getan gegen Profitinflation?

Antwort: Wenig, und die Maßnahmen bezogen sich spezifisch auf Einzelfälle. So kündigte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) im März des Vorjahres an, eine Branchenuntersuchung bei der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) anregen zu wollen. Grund: die hohen Spritpreise. "Es drängt sich der Verdacht auf, dass sich ein paar Ölkonzerne auf Kosten der Leute eine goldene Nase verdienen", twitterte Kogler diesbezüglich im Vorjahr. "Da geht es nicht um Millionen, sondern um Milliarden." Infolge dieser Untersuchung berief die Regierung im September eine Preiskommission für Mineralölprodukte ein – eine Möglichkeit, die Österreichs Preisgesetz aus dem Jahr 1992 vorsieht. Falls eine derartige Kommission Verfehlung feststellt, können sogar staatlicherseits temporär Höchstpreise diktiert werden. Allerdings: Im heurigen März wurde die Kommission wieder aufgelöst. Sie habe keinen Spielraum für Preiseingriffe gesehen, hieß es. Zugleich gibt es eine Untersuchung der Wettbebwerbshüter zu den Entwicklungen am Holzmarkt. Die Preise für Brennholz und Pellets haben sich völlig losgelöst vom europäischen Durchschnitt, sind in Österreich um 90 Prozent gestiegen, während in der Eurozone das Plus bei um die 50 Prozent lag.

Frage: Welche Maßnahmen gäbe es noch – und was hat die Regierung vor?

Antwort: Es sind vor allem die Gewerkschaft und andere Arbeitnehmerorganisationen, die mit Forderungen auf sich aufmerksam machen. Der Gewerkschaftsbund (ÖGB) fordert die Formierung einer sogenannten sogenannten Antiteuerungskommission. Deren Funktionsweise soll jener eines bereits nach der Euro-Einführung in Österreich einsetzten Gremiums ähneln. Diese Kommission soll im Ernstfall auch Höchstpreise festlegen dürfen. Größere Unternehmen im Land, etwa Handelsketten, sollen zudem laut Gewerkschaft mit einem neuen Gesetz verpflichtet werden, all ihre Preise tagesaktuell an eine Preisdatenbank zu übermitteln, die bei dieser Antiteuerungskommission angesiedelt ist. Mithilfe dieser Datenbank, argumentiert der ÖGB, ließen sich Auffälligkeiten bei der Preisentwicklung rasch entdecken und analysieren. (Joseph Gepp, András Szigetvari, 21.4.2023)