Verena Roßbacher: Gewinnerin des Österreichischen Buchpreises 2022.

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In einem Brief an seine Schwester schrieb Lessing: "Schreibe, wie Du redest, so schreibst Du schön." Es ist ein Satz, der Autoren gerne ans Herz gelegt wird, er leuchtet mir intuitiv auch sofort ein, und oft schon habe ich darüber gegrübelt, was er bedeutet.

Ansichtssache

Was meint er eigentlich mit schön? Ist es schön, wenn wir schreiben, wie wir reden, weil es damit authentisch ist? Sollten wir uns schreibend eng an die gesprochene Sprache halten, um nicht allzu gekünstelt zu klingen, wenn wir schreiben? Um die Schriftsprache nicht als Hürde zu sehen, als etwas Fremdes, in dem wir uns nicht recht wohlfühlen und in dem wir dementsprechend nur unbehaglich zurechtkommen? Geht es ihm um die Syntax, um den Sound, um die ganze Atmo etwa, alles Dinge, die wir im Gespräch so leichthändig herzustellen wissen und die als Text uns plötzlich Kopfzerbrechen machen?

Im Reden fügt sich so selbstverständlich alles zusammen, die Modulation unserer Stimme, unsere Gestik, unsere Mimik, die emotionale Verbindung zwischen den Redenden, die Spannung oder die Vertrautheit, der Raum, in dem wir uns befinden, und die Hintergrundgeräusche um uns herum. Ganz anstrengungslos scheint alles da zu sein, das ganze Setting eines Gesprächs, und dabei suchen wir keineswegs nach Perfektion, spielerisch passen wir uns unserem Gesprächspartner an, wir lachen oder setzen Teewasser auf, dazwischen klauben wir unserem Gegenüber eine Fluse vom Pullover und die tiefe Herbstsonne scheint durchs Fenster, und von einem Moment auf den anderen ist alles ganz magisch, und wir lächeln und sagen: "Schönes Licht." Zu reden ist mehr, als nur Worte aneinanderzureihen, und die Schwierigkeit ist es, dieses Mehr ins Schreiben zu transferieren.

Dialektale Hürden

Jeden Autor, der aus einer ausgeprägt dialektalen Gegend stammt, stellt Lessings Aufforderung vor noch ganz andere Hürden – wenn sowieso schon eine gewisse Diskrepanz herrscht zwischen dem Reden und dem Schreiben, wie erst soll damit verfahren werden, wenn noch dazu die Worte im Reden so ganz andere sind als die im Schreiben?

Und wie, fragt man sich, hat Lessing – immerhin stammte er aus der Lausitz, er müsste also schlimm gesächselt haben – das bitte gelöst? Klang der Nathan wirklich, als würde das Stasi-Ensemble Theater spielen? Oder dachte er gar nicht an Dialekte, wenn er vom Reden und vom Schreiben sprach?

Es gibt Dialekte, die empfinden wir durchaus als schön, das Sächsische gehört ganz sicher nicht dazu. Wie auch beim Badischen denken Auswärtige immer gern, es wäre eine Sprache, in der sich ausschließlich Albernes verhandeln lässt, und wenn es nicht schon albern ist, so wird es albern, sobald der Badenser loslegt und der Sachse sächselt.

Angewienertes Österreichisch

Die Deutschen mögen es beispielsweise gern, wenn das Österreichische so ein bisschen angewienert ist, sie sagen dann Charme und Schmäh und fühlen sich sofort verführt und umschmeichelt, wie in einem Urlaubsflirt; das Bayrische ist quasi gemacht fürs Kabarett, das Berndeutsche mit seinem üppigen Mundgefühl, das kann man wunderbar singen und was damit dichten, und das Tirolerische versteht zwar kein Mensch, aber alle finden’s richtig urtümlich, einfach schön. Zumindest auf der Bühne, gesprochen, funktioniert das in der Kunst recht gut, sobald man diesen ganzen Zauber verschriftlichen will, wird’s komplizierter.

Man kommt nicht um eine gewisse Übersetzungsleistung herum, und ich vermute, diese Erschwernis ist es, die womöglich gar nicht nur Nachteile mit sich bringt. Ein guter Übersetzer macht zwangsläufig etwas, das vergleichbar ist mit dem Versuch, so zu schreiben, wie man redet, damit es schön ist – er versucht, über das reine Wort hinaus herauszufinden, was die Stimmung ist in einem Text, wie etwas gemeint ist, er ist aufmerksam für das Drumherum und dafür, ob da womöglich irgendwo schönes Licht ist und jemand lächelt, auch wenn es nicht dasteht. Ansonsten hat er zwar eine Übersetzung, die im Grunde korrekt ist, eins zu eins stimmt jedes Wort, aber es hilft nichts. Wie ein Wald mehr ist als die Summe seiner Bäume und ein Soufflé mehr als die Summe seiner Zutaten, ist ein Text mehr als die Summe seiner Worte.

Organisches Erzeugnis

Jeder Autor steht also, wenn er im Lessing’schen Verständnis schön schreiben will, vor der Aufgabe, all dies zu beherzigen und etwas Organisches zu erzeugen und nichts Hermetisches, er sollte ein Auge und ein Ohr und ein Gespür dafür haben, was während des Redens alles vor sich geht, um es sodann schreibend so zu verwandeln, dass die Lebendigkeit des Redens erhalten bleibt.

Für die Übersetzer unter den Autoren, die zu alledem immer noch die Frage des Dialekts zu bewältigen haben, ist das vielleicht sogar einfacher – sie müssen sich eh einen Trick ausdenken, wie sie den Verlust der gesprochenen Sprache ausgleichen können, sie müssen sowieso schon sehr genau gelauscht haben, um diese merkwürdige Spielart des Redens irgendwie einzufangen, sie müssen Strategien entwickeln, die Substitute, die sie haben, bestmöglich zu verwenden – und das sind natürlich keine anderen als diejenigen, die das Reden ins Schreiben transformieren, denn dann ist es schön.

Zuletzt erschien von Roßbacher der Roman "Mon Chéri und unsere demolierten Seelen" (Kiwi, 2022).
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Reden in purster Form

Dialekt ist, man könnte es auch so sagen, Reden in seiner pursten Form – er ist gar nicht zur Verschriftlichung gedacht.

Im Grunde ist die geschriebene Sprache wie eine gut ausgestattete Requisite, in der man sich bedienen kann. Wenn man geschickt ist, bekommt man ganz verblüffende Effekte hin. Wenn das Hochdeutsche nicht die Muttersprache ist, weiß man immerhin sehr genau, dass man im Theater ist, wenn man schreibt. Ich glaube, das ist gar nicht schlecht. Es bewahrt einen vielleicht davor, das alles allzu ernst zu nehmen, mit großen Gesten bedient man sich im Fundus und fummelt am Licht herum, bis es hinhaut mit der tiefen Herbstsonne, und diese Unbekümmertheit, die kommt dann dem eigentlichen Reden wieder ziemlich nah, und dann ist es schön, das Schreiben. Und wenn nun Reden ein Soufflé ist, was dann? Ich weiß nicht. Wenn man ein Spitzenkoch ist, sollte man nicht schüchtern sein, alles fröhlich miteinander vermengen und hoffen, dass es nicht zusammenfällt. Ansonsten rate ich zum Käsebrot. Es ist auch die Summe seiner Zutaten, aber es sind einfach weniger Zutaten. (Verena Roßbacher, 22.4.2023)