Star-Komponist Dai Fujikura hat die Musik für das neue Stück von Chelfitsch-Regisseur Toshiki Okada mit dem Klangforum Wien geschaffen.
Foto: Ayane Shindo

Sound einer Delogierung

Toshiki Okada und Dai Fujikura kooperierten für das Auftragswerk

Es ist eine Premiere, dass der Regisseur Toshiki Okada und der wie dieser aus Japan stammende Komponist Dai Fujikura kooperieren. Und wenn man Fujikura glauben darf, der in London lebt und weltweit vielfach für sein Werk ausgezeichnet wurde, ist das Festwochen-Auftragswerk Verwandlung eines Wohnzimmers ein mehr als gelungenes Projekt.

"Die Zusammenarbeit mit Toshiki war unglaublich!", begeistert er sich im Gespräch mit dem Standard. "Wegen der Pandemie mussten wir über zwei Jahre hinweg online arbeiten. Wäre ich in Tokio, würde ich die Proben besuchen. Aber so war ich die ganze Zeit online dabei und konnte in Echtzeit komponieren."

Dabei drehte er sein Mikrofon ab und komponierte einfach. "Währenddessen höre ich alles, was gesprochen wird, und kann jederzeit einhaken und etwas vorspielen. Hätte jemand eine Dokumentation über unsere Kooperation gemacht", behauptet er, "wäre sie total langweilig geworden. Denn wir sind beide sehr flexibel und entspannt, ich hatte noch nie so eine friedliche Zusammenarbeit."

Eine neue Entdeckung ...

Erkennbar wird dies vielleicht auch am Setting, wie es im Stück zu erwarten ist: Das Ensemble des Klangforums Wien befindet sich mit Festwochen-Veteran Okadas Schauspiel-Ensemble auf der Bühne. "Ich wollte ihm verständlich machen", erzählt Fujikura, "wie die Zusammenarbeit mit einem Live-Orchester sein wird. Die Musizierenden bewegen sich, ihre Bewegungen haben eine Bedeutung, sie mimen nichts – sie erzeugen Musik."

Also habe er ein Amateurvideo zusammengeschnitten, "auf der einen Seite das Orchester, während es meine Musik spielt, auf der anderen das Schauspiel-Ensemble". Okada war so angetan, dass er die beiden genau so auf der Bühne platzierte. In der finalen Version ist das Live-Orchester sogar vor dem Ensemble. "Das sieht aus, als wäre es meine Idee gewesen, aber das Gegenteil ist der Fall. Die Bewegungen der Musikerinnen und Musiker waren für Toshiki ein neues, spannendes Feld. Das wollte er ins Zentrum rücken."

Der in seinem Londoner Arbeitszimmer sitzende Fujikura dachte erst, die Webcam wäre falsch platziert, da er nur Musikerinnen und Musiker sah, und zeigt sich beeindruckt von Okadas Respekt vor seiner Arbeit.

... mit imaginativer Kraft

Erzählt wird die Geschichte einer Familie, der die Delogierung droht – etwas, das man ja auch in Wien kennt. Aber ist es wirklich eine Familie? Fujikura: "Laut Toshiki bilden diese Leute eine Art Familie. Aber wir wissen nicht genau, sind sie wirklich verwandt, sind sie es nicht? Etwas ist dysfunktional – nicht auf die Art wie in einem Pedro-Almodóvar-Film, sie schreien sich nicht an. Aber etwas stimmt nicht zwischen ihnen." Vielleicht ist es ja auch gar nicht so wichtig, die konkreten Familienverhältnisse zu kennen oder eine genaue Handlungsabfolge ausmachen zu können.

Fujikura hebt vor allem die assoziative, imaginative Kraft des Abends hervor: "Es gibt nicht nur die eine Art, auf die Handlung zu schauen. Es gibt vermutlich auch kein Richtig oder Falsch. Die Figuren sprechen über Regen, die Daunendecken sind nass, aber es sind alles Zeichen, sie verweisen auf etwas. Ich denke sofort an die Herausforderungen einer kapitalistischen, vom Klimawandel bedrohten Gesellschaft, aber das sind nur meine Assoziationen. Es wird nicht deutlich ausgesprochen, und das ist gut so." (hein)

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Wie man mit Tanz, Skating und Biking den Himmel stürmt.
Foto: Bea Borgers

Showing off the Rollbrett

Ein "Skatepark" der Choreografin Mette Ingvartsen

Wien – Virtuosität, körperliche Strapazen und Geschicklichkeitsspiele treiben viele Youngsters zu erstaunlichen Leistungen an – nicht nur im Traditionssport, sondern auch bei Urban Dance, Biken und Skating. Beides freut Menschen mit Bewegungsdrang, ganz ähnlich wie beim künstlerischen Tanz.

Diesen Zusammenhang entdeckte auch die renommierte dänische Choreografin Mette Ingvartsen, während sie dem Treiben auf einem Skatepark zusah. Dabei ist ihr auch aufgefallen, wie sich an der Halfpipe beim Üben von Tricks mit dem Board, dem Bike oder für Youtube-Tänze kulturell heterogene Gemeinschaften bilden.

Befeuert durch diese Stimmung hat Ingvartsen – immer bereit, die Kunst der Choreografie zu erweitern – mit einem Cast von zwölf Tänzerinnen und Skatern sowie lokalen Rollbrett-Fans mit Skatepark ein Bühnenprojekt geschaffen, das bewusst auch auf ein weniger hochkulturaffines Publikum zielt. (ploe)

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Ein Stück ausgefuchstes Storytelling mit der Wirklichkeit im Nacken.
Foto: Grupo Marea

Wahr kann auch fiktiv sein

Bei Mariano Pensotti spielt ein Stück das Leben

Wien – La Obra(Das Stück) heißt der jüngste Streich des argentinischen Regisseurs und Autors Mariano Pensotti. Zusammen mit seinem Ensemble Grupo Marea zeigt er ein Dokumentartheater, das mit Realität und Fiktion spielt.

"Basierend auf einer wahren Geschichte", heißt es zu dieser Uraufführung. Doch "wahr" ist hier nicht unbedingt wörtlich zu nehmen.

Wie manchmal auch das Leben ist die Wirklichkeit im Stück verschachtelt, verzwickt und verwirrend. Vor einer rotierenden Kulisse erzeugt eine Gruppe von fünf Schauspielenden ineinandergreifende Handlungsstränge: Ein Theatermacher reist nach Argentinien, um die Geschichte eines Mannes zu recherchieren, der dort vor dem Nachbau seines Zuhauses seine Biografie vorführt. Die Schausteller wiederum erzählen von ihrer eigenen Erfahrung als Beteiligte.

Heraus kommt ein ausgefuchstes Storytelling, das immer mehr Schichten offenlegt. (csc, 21.4.2023)