Auf meiner Maturareise nach Istanbul mit der Bahn trafen wir auf jordanische Studenten im Nebenabteil. Es entstand ein Streit über Israel. Wir waren geprägt durch unseren großartigen Geschichtslehrer, der uns intensiv über die Verbrechen der Nazis aufgeklärt hatte (nicht so üblich damals), wir bewunderten die Aufbauleistung Israels und fanden es empörend, dass die Jordanier das Existenzrecht Israels infrage stellten. Nur, es waren keine Jordanier, sondern Palästinenser, deren Familien 1948 im Israelischen Unabhängigkeitskrieg aus Israel geflüchtet waren. Das war uns so nicht bewusst gewesen.

Die demokratischen Gegenkräfte in Israel sind stark. Seit vielen Wochen wird gegen die Justizreform der Regierung Netanjahu demonstriert.
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Das ändert aber nichts daran, dass es seit 75 Jahren ein Israel gibt, das zugleich ungemein erfolgreich und ungemein gefährdet ist; und dass es für uns eine unauflösliche Verpflichtung aus den Menschheitsverbrechen der NS-Herrschaft gibt: Verantwortung zu tragen, dass sich das nicht wiederholt, auch nicht in Ansätzen.

Wenige Jahre später nach dieser langen Zugreise nach Istanbul, 1967, kam es zum Sechstagekrieg. Israel zerschmetterte die arabischen Armeen und eroberte das Westjordanland. Seither stellt sich für Israel, aber auch für jene, die Solidarität mit Israel empfinden, die Frage, was daraus werden soll, wenn ein jüdischer, demokratischer Staat auf unabsehbare Zeit eine Besatzungsherrschaft über Millionen Palästinenser ausübt.

Demokratische Gegenkräfte

Das offizielle Österreich hat eine lange, nicht allzu ruhmreiche Geschichte mit Israel. Nach dem Krieg versuchte man, Entschädigungen möglichst klein zu halten. Bruno Kreisky versuchte, Yassir Arafat vom Terrorismus abzubringen, nahm andererseits aber unverzeihlicherweise den FPÖ-Chef Friedrich Peter, Mitglied einer SS-Mörderbrigade, gegen Simon Wiesenthal in Schutz. Kurt Waldheim weigerte sich als UN-Generalsekretär, in der Gedenkstätte Yad Vashem eine Kippa aufzusetzen. Franz Vranitzky erkannte 1992 erstmals die Mitverantwortung der Österreicher für den Holocaust an (auch in einer Rede in Israel). Seit einigen Jahren haben auch die Nachfahren von vertriebenen Holocaustopfern Anspruch auf die österreichische Staatsbürgerschaft. Sebastian Kurz war/ist ausgesprochen proisraelisch, aber wohl eher aus ideologischer Sympathie zu dem autoritären Benjamin Netanjahu.

Die Regierung Netanjahu ist abhängig von ultranationalistischen, ultrareligiösen Parteien, die einerseits eine "fast diktatorische Theokratie" (der Historiker Tom Segev) errichten und andererseits die Palästinenser in "Judäa und Samaria" (Westjordanland) für immer unterjochen, wenn nicht vertreiben möchten. Der demokratische wie der jüdische Charakter Israels ist bedroht. Doch immerhin sind die demokratischen Gegenkräfte stark.

Die Palästinenser machen es einem schwer, für ihre Sache einzutreten, denn sie dulden eine korrupte, extremistische Führung und greifen immer wieder zu Gewalt, zu Terrorismus. Ein erfolgreicher ziviler Widerstand scheint ihnen nicht einzufallen.

Es ist nicht allzu viel, was jene, denen an Israel etwas liegt, in dieser Situation von außen tun können. Gute Ratschläge sind wohlfeil. Wofür wir hier in Österreich allerdings Verantwortung übernehmen können und müssen, ist, gegen jeden Antiisraelismus und Antisemitismus, auch von links, aufzutreten. Zum unausrottbaren, manchmal stärkeren, manchmal schwächeren einheimischen Antisemitismus tritt nun auch noch der der muslimischen Zuwanderer.

Das Übel wird nicht verschwinden, aber es darf nicht die Debattenhoheit erobern. Da hinein gehört auch – kritische – Solidarität für Israel. (Hans Rauscher, 22.4.2023)