Im Gastblog schildert Anwalt Helmut Graupner, wieso ein geltender Erlass zur Erfassung der Geschlechtsidentität gegen Grund- und Menschenrechte verstößt.

Die beschwerdeführende Person Pepper Gray hat eine nichtbinäre Geschlechtsidentität, identifiziert sich weder als männlich noch als weiblich und auch mit keiner anderen bestimmten Geschlechtsbezeichnung. Pepper Gray beantragte daher am Standesamt die Streichung des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister. Das Standesamt musste sich an das Verbot des Innenministers halten und hat den Antrag abgelehnt. Das Verwaltungsgericht hat der dagegen erhobenen Beschwerde stattgegeben, den Bescheid des Standesamtes in der mündlichen Verhandlung vom 22. März 2023 aufgehoben und die Streichung des Geschlechtseintrags angeordnet.

Geschlechtsidentität maßgebend

Bereits 2018 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass der Staat nicht verpflichtet ist, das Geschlecht zu registrieren. Wenn er das möchte, darf er es, muss die Registrierung jedoch anhand der individuellen Geschlechtsidentität vornehmen, nicht aufgrund körperlicher Geschlechtsmerkmale. Niemand muss fremdbestimmte Geschlechtszuweisungen akzeptieren, weshalb im Personenstandsregister (und damit auch in Urkunden und Ausweisen) nicht-männliche und nicht-weibliche (nicht-binäre) Geschlechtsidentitäten als solche zu beurkunden oder der Geschlechtseintrag auf Antrag zu streichen ist. Für die Beurkundung einer nicht-binären Geschlechtsidentität erklärt der Verfassungsgerichtshof alle selbstbestimmten Bezeichnungen für zulässig, die einen Bezug zur Realität haben und nicht frei erfunden sind (VfGH 15. 6. 2018, G 77/2018).

Im Personenstandsregister müssen nicht-binäre Geschlechtsidentitäten als solche zu beurkunden sein oder der Geschlechtseintrag auf Antrag entfernt werden können, wie der aktuelle Fall zeigt.
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Der damalige Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) hat die Standesämter daraufhin mit Erlass angewiesen, andere Geschlechtseinträge als männlich und weiblich sowie die Streichung des Geschlechtseintrags nur dann vorzunehmen, wenn eine Person körperlich intergeschlechtlich ist. Außerdem verbot er andere Bezeichnungen als "divers" für nichtbinäre Geschlechtsidentitäten. Dieser Erlass ist von den Nachfolgern Kickls, Karl Nehammer (ÖVP) und Gerhard Karner (ÖVP), übernommen worden und bis heute in Kraft. Lediglich "inter" wurde als zweite Bezeichnung für nichtbinäre Geschlechtsidentitäten zugelassen. Aber auch das erst nach einem Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Oberösterreich und einer – wegen der Weigerung des Innenministers, der Anordnung des Verwaltungsgerichts nachzukommen, erstatteten – Strafanzeige wegen Amtsmissbrauchs.

Kickl-Erlass rechtswidrig

Der Erlass bindet, als generelle Weisung, freilich nur die Standesämter, nicht aber die Gerichte. Das Verwaltungsgericht Wien hat in diesem Sinne nun ausgesprochen, dass ein Abstellen auf das körperliche Geschlecht, wie es der Innenminister in seinem Erlass tut, nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ausgeschlossen und der Geschlechtseintrag von Personen mit nichtbinärer Geschlechtsidentität auf deren Antrag zu streichen ist (VG Wien 22. 3. 2023 VGW-101/V/020/14327/2022).

Auch in fünf weiteren Erkenntnissen erklärten das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG Stmk 20. 12. 2021 LVwG 41.8-1712/2021) und das Verwaltungsgericht Wien (bspw. VG Wien 26. 1. 2023 VGW-101/V/032/11370/2022; VG Wien 20. 2. 2023) den Erlass des Innenministers wegen der Beschränkung der dritten Geschlechtsoption auf körperlich intergeschlechtliche Personen für rechtswidrig, ließen entgegen dem Erlass auch "nicht-binär" als Geschlechtseintrag zu (VG Wien) und die bloße Willenserklärung der antragstellenden Person genügen (VG Wien 20. 2. 2023 ).

Der Innenminister kann das Urteil noch beim Verwaltungsgerichtshof bekämpfen. Dennoch stellen die Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte Meilensteine für die Menschenrechte dar. Die Verwaltungsgerichte kommen ihrer verfassungsgemäßen Aufgabe nach und weisen die drei Innenminister mit ihren grund- und menschenrechtswidrigen Verboten in die Schranken. (Helmut Graupner, 26.4.2023)