Eine elegant drapierte Frau, daneben ein etwas steif wirkender Mann: Um die 2.000 Jahre alt ist das älteste bekannte Werbebild der westlichen Welt. Es befand sich an einer Hausmauer in der im Jahr 79 nach Christus verschütteten Stadt Pompeji und bewarb ein Bordell. Ein schöner Ausgangspunkt für die beliebte Frage, was denn nun das älteste Gewerbe der Welt sei: die Prostitution oder die Werbung?

Josef Samuel ist der letzte seiner Zunft. "Es war ein schönes Kunsthandwerk, heute gibt es Computer", seufzt er.
Foto: Helena Manhartsberger

Das schönste Gewerbe der Welt ist jedenfalls, zumindest wenn es nach Josef Samuel geht, die Schildermalerei. Samuel ist der letzte Schildermaler von Wien, der noch mit der Hand und mit dem Pinsel malt, nicht mit dem Computer. "Es war einmal ein schönes Kunsthandwerk", sagt er. Mittlerweile allerdings so gut wie obsolet, denn die Nachfrage nach handgemalten Schildern ist dünn geworden. Deshalb gab er nach seiner Pensionierung die kleine Werkstatt am Kühnplatz nicht weiter, sondern führt sie als kleines Museum, in dem große Schätze zu finden sind – und jahrzehntelange handwerkliche Erfahrung.

Samuel führt die Schildermalerei am Kühnplatz auf der Wieden bereits in vierter Generation. "Es hat mich selber interessiert, ich wurde nicht gezwungen, den Betrieb zu übernehmen. Wissen Sie, es ist schön, wenn man eine Freude am Beruf hat. Denn dann macht man ihn mit Liebe. Dinge sind nur dann wirklich schön, wenn sie mit Liebe gemacht werden, und nicht nur, damit man ein Geld verdient."

Homeoffice anno Schnee

Mit Liebe gemacht sind die zahlreichen Schaustücke in dem kleinen Souterrainraum ("Ja, das war die ganze Werkstatt, Lagerräume gibt’s da keine mehr. Zu den besten Zeiten sind wir da zu neunt herinnen gestanden und haben gearbeitet!"). Die ältesten stammen aus der Zeit von Samuels Urgroßvater, der den Betrieb 1882 gründete und damals auch im selben Häuserblock, dem ehemaligen Freihaus, wohnte. "Damals waren Wohnraum und Arbeitsplatz noch in einem." Doch Samuels Großvater missfielen die Nachteile des Homeoffice, und er verlegte seinen Wohnsitz: "Am Sonntag sind auch noch die Kunden dahergekommen. Das war ihm zu viel."

Sein Großvater hat die Schilder noch mit Ölfarbe gemalt, Josef Samuel hat dann mit Anilinfarben Buchstabe für Buchstabe auf Aluminium aufgetragen.
Foto: Helena Manhartsberger

Die Werkstatt allerdings blieb. Enkel Josef Samuel begann 1957 hier zu arbeiten. "Damals gab es alleine im Freihaus noch zwei Schildermaler, in ganz Wien sicher 70 oder 80." Sämtliche dauerhaften Schilder für den Außen- und auch Innengebrauch mussten damals ja noch händisch hergestellt werden, ob Geschäftsname, Werbe- oder Hinweisschild oder ausgehängte Angebotsliste. Zur Kundschaft der Samuels gehörten Geschäfte, Lokale, Apotheken, Vereine, die Nachfrage war stetig, und jedes Schild war ein Einzelstück. Erst viel später, in den 1990er-Jahren, war die Drucktechnik so weit, dass Schilder wirklich konkurrenzfähig mit Computergrafik und maschinell hergestellt werden konnten. Den Umstieg auf digital hat Samuel nicht mehr in Angriff genommen: "Das wäre mit den damaligen Geräten einfach viel zu teuer gewesen."

Vom O und A der Schrift

Wie etwa ein klassisches Heurigenschild entstand, kann man im Museum am Objekt nachvollziehen: Gezeigt werden mehrere Herstellungsstufen eines Schildes, das zur Meisterprüfung von Samuels Vater im Jahr 1939 entstand: erst eine rohe Skizze, dann der Entwurf, mit Farbstift handgezeichnet auf etwa zehn mal sieben Zentimeter in drei Farbvarianten zur Auswahl, und schließlich das fertige Schild, mit Anilinfarben auf Aluminium gemalt. "Mein Großvater hat die Schilder noch mit Ölfarbe gemalt." Alles von Hand, auch die Buchstaben, mit geübtem Auge nachgemalt nach einer Musterschriftvorlage, das einzige Hilfsmittel war der Schildermalerstab, den sich jeder Maler selber anfertigte: ein rund 50 bis 70 Zentimeter langes Kantholz mit einem handtellergroßen Stoffball an einem Ende, so diente der Stab zugleich als Lineal und Ablagefläche für die Hand.

Sein Geschäft auf der Wieden ist heute ein kleines Museum.
Foto: Helena Manhartsberger

Schablonen für die Schriften gab es keine: "Man hat ja die Schriften alle in vielen verschiedenen Größen gebraucht, wenn wir da für jede Schablonen gemacht hätten, wären wir nie fertig geworden." 15 verschiedene Schriften hat man gelernt in der Berufsschule, auswendig, dazu die wichtigsten Prinzipien der Typografie. "Beim O muss man aufpassen, dass es oben und unten ein wenig über die Grundlinie ragt, sonst schaut es nicht gut aus. Und bei den Zwischenräumen muss man sich nach den jeweiligen Buchstaben richten."

Auch Farbtechnik wurde gelehrt –was heute Pantone oder RAL übernehmen, leisteten damals Auge und Hirn. "Die haben wir auch selber gerieben, jeder Meister hat seine Mischkulanzen gehabt." Von den Pigmenten, sie wurden mit einer gusseisernen Drehreibe oder Stößeln auf einer Platte gerieben, sind noch ein paar Gramm in den alten hölzernen Schütten erhalten: kräftiges Karmesinrot, kaltes Bleiweiß, tiefes Kobaltblau. "Wir haben nur ein paar verschiedene Farben gehabt, aus denen wurden dann alle Töne gemischt." Wenn man den gleichen Farbton nachmachen musste, wie ging das dann, ohne Farbkarten oder Mikrogramm? "Nach Augenmaß eben."

Logo-Kunst im öffentlichen Raum

Viele Farbingredienzien sind heute nicht mehr erhältlich, weil schwach- bis hochgiftig, etwa das Bleiweiß. "Die Farben, die wir damals gehabt haben, die dürft ich heute gar nicht mehr verwenden. Alles giftig – aber: Qualität! Die haben gehalten, 70 bis 80 Jahre lichtecht, ohne Schutzschicht darüber. Die modernen Schilder bleichen schon nach zwei, drei Jahren aus oder werden kaputt. Wenn es das Geschäft überhaupt so lange gibt." Apropos: Welche Samuel-Schilder hängen denn noch in Wien? "Nicht mehr viele, vielleicht fünf oder sechs. Das Café Diglas hat zum Beispiel noch welche von uns."

Die breiten Holzdielen zieren bunte Farbspritzer aus nun über 140 Jahren, Jackson Pollock hätte seine helle Freude daran.
Foto: Helena Manhartsberger

Maler, Chemiker, Drucktechniker, Grafiker, Werbeprofi ... das Berufsbild des Schildermalers war ein umfassendes, es ist heute schwer nachvollziehbar, mit welcher Selbstverständlichkeit hier alltäglich Kunst im öffentlichen Raum entstand. Auch die Berufsschulklassen von heute, die regelmäßig das Museum besuchen, staunen. Schließlich waren die Schildermaler auch für Entwurf und Ausführung von Grafiken und Logos zuständig.

An einer Wand hängt ein Schild eines Obst- und Gemüsegeschäfts, von Josef Samuel selbst in seiner Berufsschulzeit in den 1950ern gefertigt – das Design so ikonisch und klar, dass es das Zeug für einen Fifties-Klassiker hätte. Die Inspiration? "Ich hab mich halt immer schon gerne umgesehen", lächelt er. Davon zeugen auch die zahlreichen Fotobücher, die der passionierte Fotograf im Lokal ausstellt, Street-Photographer ist er nämlich auch, schon weit länger, als es den Begriff gibt. "Früher hab ich noch mit der Hasselblad fotografiert und selber entwickelt, heute nehme ich das Handy."

Maler, Chemiker, Drucktechniker, Grafiker, Werbeprofi ... das Berufsbild des Schildermalers war ein umfassendes.
Foto: Helena Manhartsberger

Ein Kunstwerk ist auch der Boden des Werkstatt-Ateliers: Die breiten Holzdielen zieren bunte Farbspritzer aus nun über 140 Jahren, Jackson Pollock hätte seine helle Freude daran. "Allein daran sieht man, wie widerstandsfähig diese Farben waren", sagt Samuel. "Tausende Leut sind da schon drübergehatscht, und sie leuchten immer noch wie am ersten Tag." (Gini Brenner, 25.4.2023)