Brendan Fraser (im Fatsuit) als übergewichtiger Lehrer und Vater Charlie in "The Whale".

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Am 12. März 2023 nahm ein sichtlich bewegter Fraser den Oscar als bester Hauptdarsteller entgegen.

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Dem Kanadier Brendan Fraser gelang in den 1990er-Jahren mit Actionkomödien wie George, der aus dem Dschungel kam oder Die Mumie der Durchbruch. Nach gesundheitlichen Problemen und persönlichen Rückschlägen verschwand der Schauspieler etliche Jahre von der Leinwand. Mit der Rolle des an Adipositas leidenden Lehrers Charlie in Darren Aronofskys The Whale ist ihm nun ein Oscar-prämiertes Comeback gelungen. In einem Wiener Hotel erzählt der überaus freundliche Mittfünfziger mit leiser Stimme und in gewählten Worten von der wichtigsten Rolle seiner Karriere.

STANDARD: Ihre Karriere ging in den 1990er-Jahren mit Filmen durch die Decke, die von Ihrer Attraktivität profitierten, etwa George, der aus dem Dschungel kam. Haben Sie sich jemals auf Ihr gutes Aussehen reduziert gefühlt?

Fraser: Ich kann mich nicht daran erinnern. Nein, ich sah einfach so aus und wollte nur Teil einer guten Story sein.

STANDARD: 2003 erlebten Sie einen MeToo-Vorfall, sprachen aber erst 2018 darüber: Sie warfen dem ehemaligen Präsidenten der Hollywood Foreign Press Association Philip Berk vor, Sie nach einem Industry-Dinner an den Genitalien begrapscht zu haben. Berk bestritt den Vorfall. Wie empfinden Sie den Kulturwandel in Hollywood?

Fraser: Ich freue mich über die vielen Reformen, die in Kraft getreten sind. Sie sind lange überfällig. Ich bin mir bewusst, dass noch einiges gemacht werden muss, aber wir gehen in die richtige Richtung. Ich habe mich entschlossen, diesbezüglich ein Optimist zu sein.

STANDARD: Daraufhin pausierten Sie von großbudgetierten Filmen, nun erleben Sie als Charlie ein Comeback. War es angesichts ihrer früheren Rollen eine Herausforderung, sich in diese stark adipöse Figur einzufühlen?

Fraser: Es fühlte sich an, als ob ich Charlie bereits kannte. Ich wollte sein Freund sein. Er ist jemand, dem viele instinktiv ablehnend gegenüberstehen, was sehr schade ist. Ich sah in Charlie jedoch auch ganz eigennützig eine Möglichkeit, mich wieder neu zu entwerfen, entgegen den Erwartungen, die die Menschen von mir haben würden.

STANDARD: Von welchen Erwartungen sprechen Sie?

Fraser: Ich werde stark mit Komödien oder Actionfilmen assoziiert. Einige der geistreicheren Dinge, die ich gemacht habe, waren nicht so populär. Filme wie The Quiet American (2002), ein sozialer Kommentar auf die Außenpolitik der USA, oder Crash (2004), ein Miasma der Rassenbeziehungen in L.A., die zu dieser Zeit sehr gespannt waren. Ich mag geradliniges Entertainment, aber viele der populären Rollen stammen aus einer Zeit, als meine Kinder klein waren. Es ist erstaunlich, wie sehr die Karriereentscheidungen von der Familie beeinflusst werden. Das, was man kann und will, ist nicht immer das, was von einem erwartet wird.

Fraser 1997 in der Comicverfilmung "George, der aus dem Dschungel kam".
Jordan Gingold

STANDARD: Darren Aronofsky wartete zehn Jahre, um Charlie zu casten. Warum ist die Wahl auf Sie gefallen?

Fraser: Darren hat The Whale 2012 im Theater gesehen. Im Laufe der Jahre hat die Idee, das Stück von Samuel D. Hunter zu verfilmen, verschiedene Inkarnationen durchgemacht. Ich glaube, an einem Punkt wollte George Clooney Regie führen, an einem anderen Tom Ford. Darren hat es dann zurückgenommen, da er aber den Schauspieler für Charlie nicht fand, war er schon nah dran aufzugeben. Dann sah er einen Film, den ich in Brasilien gemacht habe und der ihn an mich erinnerte. Es war ein Glücksfall, dass es mich traf.

STANDARD: Wie war die Arbeit mit Aronofsky?

Fraser: Darren nimmt sich sehr viel Zeit und ist sehr speziell. Er ist ein Auteur. Er hat absolute Kontrolle über alle Aspekte seiner Filme, aber er ist gleichzeitig ein wundervoller Kooperationspartner. Man lernt von ihm, und man ist Teil eines Projekts, das, wie ich denke, ein Kunstwerk ist.

STANDARD: Sie bringen eine Menge Sensibilität und Verletzlichkeit in diese Rolle. Hat Ihre Zeit abseits der großen Leinwand dazu beigetragen, diese Qualitäten zu pflegen?

Fraser: Gut möglich. Charlies Reise ist eine Suche nach Erlösung. Wir wissen nicht, ob er sie findet oder nicht. Er hat eine große Kapazität zu lieben, er kann das Gute in anderen zum Vorschein bringen, wenn sie es nicht in sich selbst sehen können. Leider funktioniert das nicht bei ihm selbst. Er bereut die Lebensentscheidungen, die seine Familie zerstört haben.

STANDARD: Charlie ist vor allem reuevoller Vater.

Fraser: Als ich meine Kinder bekam, habe ich eine neue Art der Liebe kennengelernt. Der Gedanke, dass ich – wie Charlie – meine eigenen Kinder verlassen könnte, ist für mich undenkbar. Ich kann aber nachempfinden, wie schrecklich sich Charlie fühlen muss. Seinen Schmerz betäubt er mit Essen, das ist seine Selbstmedikation. Charlie ist die Art von Mensch, auf die alle Welt herabblickt. Deshalb habe ich viel Empathie für ihn empfunden.

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STANDARD: Es gab Kritik wegen der düsteren Darstellung eines fettleibigen Mannes. Auch die Metapher des Wals hielten einige für platt. Können Sie das nachvollziehen?

Fraser: Wenn man glaubt, dass der Titel ein abwertender Witz ist, muss man den Film umso mehr sehen, denn ich glaube, er wird die vorgefassten Meinungen und Vorurteile ändern. Ja, der Wal ist eine Metapher und eine literarische Referenz auf Herman Melvilles "Moby-Dick". Captain Ahab und Charlie haben beide eine Mission. Charlie jagt nach Erlösung und der Liebe seiner Tochter, Ahab will den Wal schießen. Die gegnerische Haltung gegenüber diesem Film ist in Ordnung, aber keine, mit der ich persönlich übereinstimme. Meiner Meinung nach ist das eine vorgefasste Haltung, die, wie jene von Thomas, dem Streuner, der bei Charlie auftaucht, um Ideologie zu verkaufen, nicht zu ändern ist.

STANDARD: Die gute Nachricht ist, dass es auch Preise und Anerkennung regnete. Alle Welt fragt sich nun, ob Brendan Fraser an seinen Erfolg anschließen kann? Was kommt nun?

Fraser: Einiges. Ein mitreißendes Epos von Martin Scorsese und eine Komödie mit Glenn Close. Abgesehen davon halte ich die Augen offen. (Valerie Dirk, 25.4.2023)