Kim Petras hat lange auf den Durchbruch gewartet: Mit Sam Smith gelang ihr eine Nummer eins in den USA.

Foto: Jason Al-Taan

Dass jemand aus Deutschland in den USA richtig erfolgreich wird, kommt nicht alle Tage vor, aber es kommt vor: Model-Mogulin Heidi Klum hat es geschafft, auch die Schauspielerin Diane Heidkrüger, die ihren Namen zu Kruger amerikanisierte. Was wäre ein Blockbuster ohne Hans-Zimmer-Sound, was wäre das Silicon Valley ohne, äh, Peter Thiel, um nur einige aktuelle Beispiele zu nennen.

Wem eine Nummer eins in den wichtigsten Single-Charts der USA, den Billboard Hot 100, gelingt, der gehört automatisch zu diesem illustren Kreis. Die in Köln geborene 30-jährige Musikerin Kim Petras tut das seit dem Vorjahr. Mit Unholy hat sie an der Seite Sam Smiths die Spitze der Charts erklommen. Smith tritt am 18. Mai in Wien auf. Petras’ neue Single Alone ist vergangenes Wochenende erschienen.

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Der letzte Deutsche vor ihr, der die Billboard 100 anführte, war 2015 übrigens Felix Jaehn mit seinem Remix zu Omis Nummer Cheerleader, davor muss man bis zu Milli Vanilli ins Jahr 1989 zurückgehen, um Deutsche auf der Eins zu finden. Seltenheitswert hat Petras’ Leistung also allemal, außerdem singt sie im Gegensatz zu Milli Vanilli selbst.

Kim Petras, die Transfrau

Als die Sängerin im Februar 2023 bei den Grammys auf der Bühne stand, um den Preis in der Kategorie Best Pop Duo/Group Performance für Unholy entgegenzunehmen, erwähnte sie ihr Aufwachsen neben einer Autobahn in "Nowhere-Germany", um zu unterstreichen, wie ungewöhnlich so ein Erfolg für eine Zuagroaste ist. Es war aber nicht ihre Herkunft, die für Aufsehen sorgte, sondern dass sie als erste Transfrau einen Grammy gewann. Beziehungsweise als erste Transfrau, die zum Zeitpunkt ihres Gewinns offen als solche lebte.

Und so fokussierte sich die Berichterstattung auch weniger auf Petras, die Musikerin, oder Petras, die es als Immigrantin in den USA geschafft hat, sondern auf Petras, die Transfrau. Es ist nicht das erste Mal, dass Petras’ Geschlecht im Mittelpunkt medialer Berichterstattung steht. Bereits im Alter von 16 Jahren machte sie weltweit Schlagzeilen, weil sie die jüngste oder eine der jüngsten Person(en) – hier gehen die Quellen auseinander – war, die eine erfolgreiche Geschlechtsanpassung hatte vornehmen lassen.

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Alles, was man sonst so über Petras weiß, speist sich vor allem aus einem Interview mit der Zeit aus dem Jahr 2018. Zum Beispiel, dass sie schon mit zwölf Jahren ihren Namen offiziell zu Kim ändern ließ, dass sie in der Schule gemobbt wurde und dann erst recht in Latexkleidung kam, dass ihre Eltern sie bei ihrer Transition unterstützten.

Die Popkultur – Musik wie Mode – war früh ein Sehnsuchtsort für sie, an den sie zumindest gedanklich flüchten konnte. Im Alter von 19 Jahren floh sie dann wirklich: Sie zog nach Los Angeles, wo sie sich als Songschreiberin für andere Sängerinnen über Wasser hielt. Ihre eigene Karriere begann erst 2017 an Fahrt aufzunehmen, als ihr mit I Don’t Want It at All ein erster Hit gelang.

Schlampenpop

Ihre Transition wird in Petras Musik nicht thematisiert. Meistens geht es um Sex; Petras inszeniert sich ganz bewusst als "Schlampe", wie ihre 2022 erschienene EP Slut Pop, auf der sich Titel wie Treat Me Like a Slut oder Throat Goat finden, beweist. Musikalisch handelt es sich um eine Mixtur aus Hyperpop, 90er-Eurodance, Hip-Hop-Bässen und 80er-Synths. Dazu gehört auch eine Ästhetik, die sich als bewusst übertriebene Verehrung von Künstlichkeit beschreiben lässt: Paris Hilton trifft auf Fetisch, toxische Beziehungen auf rosa Plüsch, dreckig-dunkle Sexfantasien auf kleine Luxushandtaschen.

Kim Petras

Petras ist nicht die Einzige, die diesen Stil lebt, etwas nischigere Acts wie Slayyyter oder Cobrah tun Ähnliches, auch Charli XCX sowie die verstorbene Produzentin Sophie sind Vertreterinnen dieses "Vibes". Mit ihrer neuen Single Alone, die den 90ies-Eurodance-Klassiker Better Off Alone sampelt, steht Petras an der Seite einer weiteren sich als selbstbestimmter Barbie inszenierenden Frau, der Rapperin Nicki Minaj. Petras zeigt mit dieser prestigeträchtigen Zusammenarbeit, dass sie nach dem großen Erfolg von Unholy schön im Mainstream bleiben will.

Kim Petras

Die Aufmerksamkeit, die Petras nun erfährt, ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits will die Musikerin nicht darauf reduziert werden, eine Transfrau zu sein, gleichzeitig schafft sie durch ihren Grammy-Gewinn sehr viel Sichtbarkeit für Transpersonen, die in den USA von konservativer Seite gerade angegriffen werden. Petras ist also bereits durch ihre reine Existenz, gekoppelt mit ihrem Erfolg, Vorbild für die einen und Feindbild für die anderen – und damit deutlich politischer, als sie es gerne wäre. (Amira Ben Saoud, 27.4.2023)