Alles so schön bunt hier, nur die Autorinnen und Autoren etwas blass – die aktuelle Leipziger Buchmesse findet noch bis 30. April statt.

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Allen, die irgendwo still im Abseits leben, öffnen Messen das Tor zur Welt. Im Mittelalter nannte man Messen "Märkte". Auf ihnen blickten Ritter Pferden, die sie erwerben wollten, aufmerksam ins Maul. Buchmessen wie die aktuelle in Leipzig unterscheiden sich wenig von ihren Pendants. Zu erinnern wäre an Viehmärkte, an Fachmessen für Intimschmuck oder Mähdrescher, an Börsen für pornografische Druckerzeugnisse und andere handelsübliche Meetings.

Wen Fortuna je mit einer Buchmessen-Teilnahme beglückt hat, der wird die Nachhaltigkeit eines derartigen Erlebnisses nie mehr leugnen. Ein druckfrisches Erzeugnis im Ranzen, sonnt man sich im Bewusstsein eigener Wichtigkeit. Grundsätzlich finden Messen auf unmarkiertem Gelände statt. Was den Herstellern von elektrobetriebenen Autos recht ist, muss in der Woche darauf Autoren und Verlegerinnen billig sein. Als Urheber eines neuen Buches nimmt man sich in einer Messehalle ameisengroß aus. Jede Halle misst gefühlt acht Meter bis zur Decke. Unterm Jahr wohnen in ihr Riesen zur Untermiete.

Das hektische Treiben auf einer Messe gleicht am ehesten dem Gewimmel in einer künstlichen Stadt. Ein Menschenstrom wälzt den Messebesucher mit sich fort. Man treibt an den Kojen der Aussteller wie ein Wolgaschiffer vorüber. Das Wiedersehen mit bekannten Gesichtern aus der Heimat besitzt das Flair einer Wiederbegegnung auf exterritorialem Grund: vergleichbar einem Aufeinandertreffen beim gemeinsamen Hautarzt.

Die Kojen selbst erinnern an bauliche Vorspiegelungen des Fürsten Potemkin, sie locken mit der Pracht ihrer Plakate und Schutzumschläge. Zugleich wirken sie hastig zusammengeleimt, wie Protzbauten aus Sperrholz und Pappmaschee. Die Wächterinnen über diese Auslagen üben sich in Frohsinn, indem sie literweise Sekt an Branchenvertreter ausgießen – man erkennt Letztere an ihren Umhängetaschen voller Warenproben.

Duft nach Staub und Farbe

Der Erfolg solcher Maßnahmen kann nicht ausbleiben. Man tauscht sich mit Bekannten aus der Heimat derart geschäftig aus, als hätte man einander zuletzt vor 30 Jahren gesehen. Ein Duft nach Staub und Druckerfarbe hängt schwer über der Halle. Das Knallen der Korken tut ein Übriges. Zugleich gellen aus allen vier Himmelsrichtungen Stimmen: die Organe der Autorinnen, die, parallel zum Pfeifen der Espressomaschinen, mehr oder weniger wohltönend aus ihren Werken vortragen.

Wer die Stunden bis zum eigenen Vorlesetermin geduldig ausharrt, den gewinnt die Messengastronomie mit ihrem bunten Allerlei aus Bock- und Bratwürsten zum treuen Kunden. Den Bauch vollgefüllt mit "Kartoffelsalat", lenkt man die Schritte freudig zum Richtplatz, der Bühne mit dem Vorlesetisch. Der zugewiesene "Time-Slot" gebietet absolute Pünktlichkeit. Zwei, drei, manchmal vier Zufallsgäste lauschen ergriffen den Verlautbarungen, derentwegen man angereist ist.

Gelegenheit zur Abschweifung

Das Vorlesen bietet ausreichend Gelegenheit zur Abschweifung. Man hofft, nach vollbrachter Tat den Stand der heimischen Autorenverlage zu finden. Gut möglich, dass dort die Doppelliterflasche Schnaps im Kreis herumgeht. Den besten Rotwein gibt es erfahrungsgemäß beim Suhrkamp-Empfang. Ebenso werden dort leckere Häppchen und allerhand kleine Schweinereien gereicht.

Die Messe läuft, sie ist, wie jede ihrer Vorgängerinnen, natürlich ein "voller Erfolg". Es heißt jetzt: Interesse zeigen, unverdrossen bleiben. Man zählt die Tage bis zum "Österreicher-Empfang" herunter. Man versucht, jeden Anflug von Messefieber zu verscheuchen. Dessen Symptome: Unwohlsein, papierener Geschmack im Mund, grundsätzlicher Überdruss. Jetzt heißt es zusammenhalten. Das diesjährige Leipziger Messe-Wort muss sich schließlich bewahrheiten. Wir alle sind, wie wir da sind, mehr als nur wir. Oder so ähnlich. (Ronald Pohl, 28.4.2023)