Spiegelscherben als feministische Intervention in "A Shard is a Fragment of a Life" (2023)

Foto: Constanze Ruhm / Courtesy Charim Galerie

Zwei Kellerräume des Belvedere 21 widmen sich derzeit der Wiener Digitalmedienkünstlerin Constanze Ruhm und ihrer Sicht auf die italienische Frauenbewegung der 1970er-Jahre. Inspiration und Material für die Werke der kleinen, von Claudia Slanar kuratierten Ausstellung Come una pupilla al variare della luce fand Ruhm im Archiv der Casa Internazionale delle Donne in Rom.

Das Herzstück der Ausstellung ist die Videoessayinstallation A Shard is a Fragment of a Life, die gleich nach Eintritt in den dunklen Raum auf zwei leicht schräg zueinander aufgestellten Leinwänden fragmentarisch europäische Frauengeschichte imaginiert. Sie fühle sich "wie eine Pupille im Wandel des Lichts", sagte die italienische Feministin, Autorin und Kunstkritikerin Carla Lonzi. Nach dieser Aussage ist nicht nur die Schau benannt, sie bestimmt auch die fließenden, von Spiegelungen und Überblendungen gesättigten Bilder Ruhms.

Spiegelscherben, Geschichtssplitter

Zerschnitten wird das Fließen von Spiegelscherben, die – computeranimiert – auch in Ruhms zweiter Videoarbeit Dark Mirrors (Turning Brighter) im Zentrum stehen. Die Scherben werden zu Portalen zu diversen vergangenen Frauenbewegungen. Ruhm inszeniert sie als Symbol für feministische Geschichtsschreibung und – sie können schließlich auch verletzen – der Gewalt, die Frauen angetan wurde und wird.

Die Bruchstücke feministischer Geschichte müssen immer wieder neu zusammengesetzt werden. Still aus Ruhms aktueller Videoarbeit "A Shard is a Fragment of a Life" von 2023.
Foto: Constanze Ruhm / Courtesy Charim Galerie

Mit Nahaufnahmen auf Femizidopfer gewinnen die "Scherbenkino"-Arbeiten denn auch an Schärfe. In beiden Arbeiten verwendet Ruhm Zeitungsfotografien ermordeter Frauen aus Stephanie Ourslers Un album di violenza aus dem Jahr 1976. Oursler war nach Rom emigrierte US-Amerikanerin, ebenso wie Suzanne Santoro, deren Werkserie Black Mirrors aus demselben Jahr Ruhms Arbeit ästhetisch inspirierte.

Rätselhafte Dunkelheit, feministische Revolte

Santoros Fotografien bestechen durch ihre vernebelte Dunkelheit. Nur zwei davon sind zu sehen, doch man bekommt Lust auf mehr: Die auf Holz gedruckten Fotografien sind mit schwarzem Kunstharz lackiert und zeugen von düsterer Rätselhaftigkeit. Vorbild Santoros waren die verrauchten Spiegel und gewachsten Fresken in alten Palazzi Roms.

Santoro war wie Lonzi Mitglied der feministischen Gruppe Rivolta Femminile. Deren Treffen dokumentierte 1972 die Fotografin Maria Grazia Chinese. Ruhms La strada (è ancora) più lunga von 2021 stellt Chineses reportageartige Fotografien nach und schafft ein nostalgisch anmutendes Reenactment feministischer Zusammenkünfte aus einer Zeit, in der die Kategorie Frau noch nicht umstritten war.
Unumstritten weiblich, rätselhaft, tastend und fließend – das sind am Ende die Eindrücke, die die Ausstellung hinterlässt, denn ein Blick auf Gegenwart und Zukunft wird nicht gewagt. (Valerie Dirk, 28.4.2023)