Herr Opferkuh und die Sprache der Steine: Dieses Foto ist während der Dreharbeiten zu einem Film über seine Steinmetzarbeit entstanden.

Foto: Lisl Waltner, mediathek.at

Im Herbst 1988 begleitet das Österreichische Bundesinstitut für den Wissenschaftlichen Film den Steinmetzmeister Friedrich Opferkuh bei der händischen Ausarbeitung eines Gesimsstückes des Wiener Burgtheaters. Anhand der Originalschablonen des Wiederaufbaus und unter Verwendung des Ursprungsmaterials (Leithakalk) wird die traditionelle Herstellung nachvollzogen.

Geborener Steinmetz

"Vor lauter Kraft konnte ich gar nicht mehr schlafen", witzelt Herr Opferkuh mit seinen pensionierten Kollegen auf dem Weg in den Steinbruch. Graue Hose, blaues Hemd, braunes Wollsakko mit Taschenuhr; dazu trägt der Meister den Fierta (Fürtuch), die blaue Schürze der Steinmetze. Wo der gewünschte Stein fürs Burgtheater abgetragen werden soll, ist abhängig von den natürlichen Absonderungsflächen. Anhand der horizontalen Lager und verfärbten Lassen untersucht Herr Opferkuh den Felsen genau. Mit einem schweren Schlaghammer werden die Lager weiter aufgemacht und in präziser Choreografie von Stoßpartie und Stangenführer der Stein abgetrieben. Das nachfolgende Schauspiel wird zur Bühne eines möglichen Ernst-Jandl-Gedichts: "Ho – ruck – bumm. Ho – ruck – bumm. Ho – ruck – bumm. Er geht! Er kummt!"

Herr Opferkuh wuchs in einem Landstrich auf, wo man bereits als Steinmetz geboren wurde. Seine Lehrzeit verbrachte er von 1937 bis 1940 bei der Firma Eduard Hauser, dem ältesten industriellen Steinmetzunternehmen Wiens – wo auch schon sein Vater und Großvater als Poliere gearbeitet hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Herr Opferkuh als Geselle am Wiederaufbau des Burgtheaters und der Staatsoper beteiligt. 1951 eröffnete er als Meister einen eigenen Steinmetz- und Steinbruchbetrieb. Zu den Großaufträgen des Unternehmens gehörten Restaurierungen in der Wiener Schotten- und Michaelerkirche sowie den Palais Daun-Kinsky, Ferstel und Liechtenstein. In der Loos- bzw. American Bar setzte man die Onyx-Wand instand.

Ebbe im Steinbruch

Der Stein des Burgtheaters liegt im Bruch. Bevor Herr Opferkuh beginnt ihn zu bearbeiten, beobachtet er ihn erst einmal. Die Qualitäten und Fehler des Rohlings werden gegeneinander abgewogen. Der Meister streicht mit den Fingern über die Oberfläche und klopft ihn ab. Dabei entspinnt sich ein Selbstgespräch: "Da ist eine Lasse, dort ist ein Riss, aber zum Glück nicht besonders lang ... hier klingt er gut, dort schon wieder schlecht, da scheppert was ... da geht er gut ‚vom Zeug‘, da ist er eher weich und widerspenstig ..." Es gibt nie zwei gleiche Steine. Herr Opferkuh behandelt jeden einzelnen wie einen Kranken, um seine Fehler ausfindig zu machen. Klingt er dumpf, ist ein Riss im Inneren, und der Meister weiß: "Da wär’s nur schad um die Arbeit!"

Woher kommt der Stein fürs Burgtheater? Bevor es im Leithagebirge Menschen gab, war hier Meer. Kalkablagerungen blieben. Die Kirche kam und nahm das Land in Besitz. Kaiser Maximilian II. wollte ein Lustschloss der Superlative bauen, orientiert an der Antike und gleichzeitig an den modernsten Vorbildern Italiens. Die berühmtesten Steinmetzkünstler siedelten sich an, um den wertvollen Kalkstein für das Schloss Neugebäude abzubauen. Der Tod und die Geschichte unterbrachen den Traum des Kaisers. Ebbe im Steinbruch und wieder Flut, als die Wiener Ringstraße gebaut wurde. Ebbe mit der Erfindung des Zements, wobei der Naturstein vom Universallbaustoff Beton abgelöst wurde. Flut durch den Wiederaufbau. Ebbe. Flut. Ebbe. Flut.

Mit Präzision und Kraft

Mit Schlögel und Sprengeisen macht sich Herr Opferkuh ans Werk, um aus dem unförmigen Rohblock einen Quader mit Übermaß zu fertigen. Hierzu misst der Steinmetz sein Material ab, macht einen Ritz und führt Eisenplatten in die Vertiefungen. Von links gibt er den eingesetzten Keilen einen Schlag und horcht, bis der Klang dumpfer wird. Zieht das Material schlecht, gibt der Meister dem Stein etwas Zeit, sich zu lösen. Mit einem singenden Ton geht die Spaltung vor sich.

Der Leithakalk ist hart. Die Schläge, die für den kleinsten Werkschritt erforderlich sind, nicht zu zählen. Präzision und Kraft sind gefragt, wobei darauf geachtet werden muss, keine Bauern (Löcher) zu verursachen. Herr Opferkuh setzt das Richtscheit an und schlägt weiter. "Die Hände werden am meisten beansprucht", sagt der Meister, der hierzu jeden Tag zu Hirschtalg rät. "Es gibt keinen Steinmetz, der sich noch nie auf die Hand geschlagen hat. Es ist überlieferter Brauch, solche Wunden mit reinem Steinstaub zu bestreuen: Er ist vollkommen steril, eine Infektion ist nicht möglich … die Wunde kann heilen."

Klangvoller Kalkstein

Der Burgtheaterstein wird in die Werkstatt transportiert. Herr Opferkuh setzt seine braune Papierhaube auf, die richtig zu falten eine der ersten Tätigkeiten ist, die der Altgeselle dem Lehrling beibringt. Darauf sein selbstgestaltetes Steinmetzzeichen, das nur den Meistern vorbehalten ist. Der Stein liegt nun auf zwei Holzböcken. Der Ton der Schläge ändert sich, wird heller. "Der Mannersdorfer Kalkstein ist besonders klangvoll", sagt Herr Opferkuh, der im nächsten Arbeitsschritt einen exakten Quader erarbeitet. Aus einem anfangs regellosen Rhythmus formt sich ein gleichmäßiger Takt. "Wenn mehrere Steinmetze im Akkord schlagen", sagt der Meister, "klingt die Arbeit am Stein wie Musik." Er überprüft die Flächen auf Ebenheit und markiert die noch abzuarbeitenden Buckel. Die Verwendung der jeweiligen Werkzeuge wird von der Härte des Steins bestimmt.

Geht Herr Opferkuh in alte Kirchen und betrachtet die Altäre, sprechen die Steine mit ihm. Die Harmonie des Aufbaus zeigt ihm ein Gefühl für Dimension. "Eine uns heute unbekannte Welt", sagt der Meister. "Denn nur wer selbst gearbeitet hat, kann mit Strukturen richtig umgehen. Bei den Altären kann man jeden Hieb sehen." Herr Opferkuh langweilt sich, wenn er moderne Gebäude betritt. Es liegt wohl auch daran, was Jean Renoir über "Perfektion" geschrieben hat: "Die Perfektionsmanie grassiert auf allen Ebenen. Die Industrie liefert perfekte Autos, perfekte Schuhe, perfekte Fertiggerichte, perfekte Häuser, und was dabei herauskommt, ist die absolute Monotonie. (…) Der Fortschritt bringt uns darum, dass eine Tür die, wenn vielleicht auch ungeschickte, Spur dessen trägt, der sie gemacht hat. Früher entspann sich jedes Mal, wenn ich durch eine solche Tür ging, ein kleiner Dialog zwischen dem Macher und mir. Aber ich habe keine Lust zu einer Unterhaltung mit einer Metallsäge. (…) Jeder handgemachte Gegenstand ist wie die Botschaft seines Autors, er enthält Leben."

Schablonen des Wiederaufbaus

Nachdem Herr Opferkuh in unzähligen Stunden alle Seiten bearbeitet hat, überträgt er die Umrisse seiner Schablonen auf den Burgtheaterstein. Dass es die Schablonen des Wiederaufbaus heute noch gibt, liegt an einer weiteren Leidenschaft des Meisters: dem Sammeln. Herr Opferkuh sammelt alles, was irgendwie im Zusammenhang mit seinem geliebten Steinmetzberuf steht: von der Putzmatz bis zur Steinrodel, von der Punktiermaschine bis zum Zahneisen. Alles wird aufgehoben und dokumentiert, damit kommende Generationen nachspüren können, wie ihre Vorgänger steinmetzmeisterlich dem Naturstein Form gaben. Der Meister gründete hierzu 1979 ein Museum im ehemaligen Schüttkasten des Schlosses Mannersdorf, wo neben der Steinmetztechnik die Geschichte der Umgebung – durch archäologische Funde sowie Mineralien und Fossilien – reich illustriert wird.

Herr Opferkuh beginnt mit dem Herausarbeiten des Profils. Neben der Präzision seines Handwerks ist nun der Sachverstand des Meisters gefragt, um die genaue Ausführung zu gewährleisten. "Obwohl der Steinmetz nur eine vom Architekten vorgegebene Form, die durch Dimension und Profilierung definiert ist, auszufertigen hat, unterliegt seine Tätigkeit einer Reihe von ihm selbst zu verantwortenden Bedingungen", schreiben Margit Kohlert und Karl Neubarth im Begleittext zum wissenschaftlichen Film. Übersetzt für den Burgtheaterstein könnte das heißen: Ist der Architekt der Regisseur eines Gebäudes, dann sind die von den Steinmetzen in mühevoller Arbeit geformten Steine die Schauspieler. Jeder für sich agierend, jeder für sich ein individueller Kosmos, wobei erst ihr Zusammenspiel das ganze Bild erzeugt.

Opferkuh verfasste in seinen letzten Jahren sein Lebenswerk.
Foto: Archiv Opferkuh

Stein zum Leben erwecken

Im letzten Schritt arbeitet Herr Opferkuh die Wassernase, die dem Abtropfen des Regens dient, in die Untersicht. Das Gesimsstück ist fertig. Der Meister kehrt den Staub weg, legt den Fiarta und Papierhut ab und transportiert den Stein fürs Burgtheater in sein Museum, wo er in der exakten Profilausarbeitung Zeugnis von der hohen Handwerkskunst des 19. Jahrhunderts ablegt.

Der Film endet hier. Und Herr Opferkuh? Gezeichnet von schwerer Krankheit, verfasst er in den letzten Jahren sein Lebenswerk: Traktat zur Steinmetzkunst. Das ambitionierte Ziel, alles aufzuzeichnen, alles zu dokumentieren, um eine Kunst zu bewahren, die im Begriff ist zu verschwinden. In losen Blättern liegt das Manuskript heute im Museum Mannersdorf neben dem Stein fürs Wiener Burgtheater. Die Einleitung endet mit den Worten: "Um in der heutigen Zeit Zugang zum Stein zu haben, braucht man Verständnis und Liebe. Der Steinmetz erweckt den Stein zum Leben!" Am 1. Mai wäre Herr Opferkuh 100 Jahre alt geworden. (Mario Schlembach, 1.5.2023)