David Schalko auf dem Boden der Realitäten: "Man kann von Kunst nicht verlangen, dass sie erfolgreich sein muss ... auch die halbe Wirtschaft lebt nicht ohne Förderungen!

Foto: Nicole Albiez

Was passiert mit einer Existenz, die sich auflöst? Was halten die Tage bereit, wenn man kein Ziel mehr verfolgt und einem nichts mehr wichtig erscheint? So lauten einige der Fragen, die der Autor und Regisseur David Schalko in seinem sechsten Roman Was der Tag bringt aufwirft. Das Buch ist diese Woche erschienen.

STANDARD: Wir gratulieren im Nachhinein zum 50. Geburtstag. Haben Sie ein bisserl bilanziert?

Schalko: Natürlich habe ich zurückgeschaut, man weiß ja schließlich, dass man klar über der Hälfte seines Lebens angekommen ist. Da bilanziert man das Gemachte und überlegt, was man eventuell noch machen kann oder will. Gleichzeitig wird man in dem, was man tut, auch nicht schneller.

STANDARD: Im Alter könnte man auch wieder mehr lesen. Wie treffsicher waren Ihre Freunde mit Buchgeschenken zum Geburtstag?

Schalko: Es waren erstaunlich viele Bücher dabei, die ich noch nicht hatte. Allerdings habe ich deutlich mehr Whiskey geschenkt bekommen als Bücher, was mir dann doch zu denken gab. Whiskey ist offenbar ein typisches 50er-Geschenk.

STANDARD: Haben Sie vielleicht sogar Zigarren bekommen?

Schalko: Habe ich auch eine bekommen.

STANDARD: Grob geschätzt: Wie viele Leichen pflastern Ihren Weg nach 50 Jahren auf dieser Erde?

Schalko: (lacht) Das hängt vermutlich davon ab, ab wann Sie jemanden als Leiche bezeichnen. In meinem Beruf ist schnell jemand beleidigt. Ich habe versucht, meine Karriere nicht gemein und rücksichtslos zu bestreiten. Natürlich gab es immer wieder Konflikte, und damit hatte ich nie ein Problem. Zu Menschen, mit denen man Konflikte austrägt, hat man meistens ein klares Verhältnis.

STANDARD: Wichtig ist, dass am Ende Sie den Konflikt gewinnen?

Schalko: (lacht) Ich muss nicht immer gewinnen. Einen Konflikt kann man auch nicht gewinnen. Man kann ihn nur auflösen. Aber nicht gewinnen. Er geht nicht weg durch das Gewinnen.

STANDARD: Wenn Sie ein neues Buch anfangen – sind Sie der klassische Plotter, oder schreiben Sie einfach der Nase entlang?

Schalko: Ich würde beides verneinen. Ein Roman entwickelt sich immer aus dem Inneren heraus. Aber bei den letzten drei Büchern habe ich lange gewartet, bis ich losgeschrieben habe. Mir ist es wichtig, dass ich in einem Buch lange genug wohnen kann. Letztendlich ist ein Buch ohnehin nie fertig. Es wird nur zu einem fertigen Text erklärt, weil es gedruckt wird.

STANDARD: Außerdem haben Sie genug anderes zu tun.

Schalko: Mein sogenannter Output, ein furchtbares Wort, als wäre man eine Fabrik, ist gar nicht so hoch. Für meine neue Serie Kafka hat außerdem Daniel Kehlmann die Bücher geschrieben, deshalb hatte ich Zeit für meinen Roman. Und er nicht. (lacht)

STANDARD: Haben Sie gar Talent zum Müßiggang?

Schalko: Manchmal verlernt man den Müßiggang ein bisschen, aber ich versuche, mich so weit zu disziplinieren, dass er mir nicht abhandenkommt. Ich bin ja im Grunde irrsinnig faul.

STANDARD: Treiben Sie wenigstens die Verkaufszahlen an, die Sie immer vor Augen haben?

Schalko: Nicht wirklich. Bei den Verkaufszahlen verschätze ich mich sowieso immer. Ich habe überhaupt keinen Instinkt für so etwas. Es liegt aber auch daran, dass die Bücher und Serien, die ich mache, überhaupt nicht darauf angelegt sind, erfolgreich zu sein. Kafka zum Beispiel hat über acht Jahre gedauert, bis sich jemand fand, der es finanzieren wollte.

STANDARD: Rufen Sie nicht jeden Montag im Verlag an und fragen, wie viele Bücher Sie letzte Woche verkauft haben?

Schalko: (lacht) Früher habe ich sicher öfter angerufen. Inzwischen frage ich aber nicht mal mehr, wie viele Bücher gedruckt werden. Wenn etwas erscheint, bin ich in Gedanken zum Glück schon woanders. Jetzt drehe ich zum Beispiel.

STANDARD: Sind Sie beim Schreiben abgeschottet, oder ist es Ihnen wurscht, wenn die Kinder herumlaufen?

Schalko: Ich habe kein klassisches Büro, wo ich mich reinsetze, um zu schreiben. Ich habe meine Mappe, wo alles drin ist, und die schleppe ich mit mir herum. Wo ich dann schreibe, ist relativ wurscht.

STANDARD: Es müssen nicht mindestens 5000 Wörter am Tag sein?

Schalko: Das Thomas-Mann-Syndrom? Nein.

STANDARD: Viele Autoren halten sich mit Stipendien und Förderungen über Wasser.

Schalko: Das ist total okay, schließlich kann man von Kunst nicht verlangen, dass sie erfolgreich sein muss, um sie ausüben zu dürfen. Dann würde es ja nur eine Art von Kunst geben, und das wäre irrsinnig fad. Im Übrigen kann auch die halbe Wirtschaft nicht ohne Förderung leben! Und einen Bauern fragt auch niemand, mit welchen Förderungen er sich über Wasser hält.

STANDARD: Lassen Sie sich auf Lesereise gerne vom Veranstalter ins Wirtshaus einladen?

Schalko: Zuvor die berühmte kalte Platte, danach ins Wirtshaus? Ich werde aufgrund der Dreharbeiten vielleicht zwei, drei Lesungen machen mit dem neuen Buch. Und in allen Fällen fahre ich direkt nach der Veranstaltung heim. So gesehen stellt sich die Frage gar nicht. Mit Schwere Knochen habe ich noch ganz Deutschland totgelesen, dabei hatte ich immer das Gefühl, ich komme am gleichen Bahnhof an und gehe durch die gleiche Einkaufsstraße zum immergleichen Veranstaltungsort. Diese Monotonie hat etwas Deprimierendes. Trotzdem ist es schön, weil man ja viele Menschen und unterschiedliche Mentalitäten kennenlernt. In Hannover zum Beispiel waren recht viele Leute bei der Lesung, es war totenstill, keiner hat gelacht, es war furchtbar. Nach der Lesung kamen dann die Leute, um zu gratulieren. Ich lernte: Der Hannoveraner geht nicht gerne aus sich heraus.

Was bedeutet Wohnen? Was bedeutet Eigentum? Diese Fragen haben mich interessiert.
Foto: Nicole Albiez

STANDARD: Was treibt Sie mehr an? Bewunderung und Verehrung oder Ablehnung und Verachtung?

Schalko: Ich würde sagen, eine Verachtung wiegt so viel wie zehn Bewunderungen. Dieses Konto ausgeglichen zu halten ist sehr schwierig. Man muss aufpassen, dass man nicht den Rest des Lebens beleidigt ist. Außer es ist einem gleichgültig. Das ist bestimmt die vernünftigere Variante.

STANDARD: Bei diesen Österreich-Empfängen auf Buchmessen, wenn dann alle gut angefüllt sind mit Veltliner und bereit für klare Worte – kommen dann viele zu Ihnen und sagen Ihnen, was für ein Arschloch Sie sind?

Schalko: Es ist natürlich eine sehr österreichische Eigenschaft, dass einem die Leute selten ins Gesicht sagen, was sie von einem halten. Insofern: Je weniger die Leute einen anreden, desto sicherer kann man sein, dass sie hinterrücks schlecht über einen reden. Das ist ein ganz verlässlicher Kompass. Allerdings muss man auch sagen, dass in Österreich die Formel gilt: je verhaltensauffälliger, desto verhasster.

STANDARD: Film- oder Literaturszene – welche ist schlimmer?

Schalko: Jede Szene ist furchtbar. Eine Szene ist immer die Horde, die nach oben genannten Regeln agiert. Eine Szene ist das wahre Publikum, das sich für die Akteure hält. Da gibt es ein ganz großes Missverständnis.

STANDARD: Sie selbst kommen selbstgewiss und erfolgreich daher. Ihr Held Felix geht in Ihrem neuen Buch hingegen gleich einmal mit seiner Firma baden, gerät in existenzielle Schwierigkeiten.

Schalko: Ich hatte ein anderes Buch angefangen zu schreiben, als mir ein Freund erzählte, dass er post Corona seine Wohnung acht Tage im Monat vermietet und sich während dieser Zeit immer überlegen muss, wohin er geht. Das fand ich eine passende Metapher für das, was gerade auf vielen Ebenen passiert. Einerseits direkte Armut, die immer deutlicher sichtbar wird. Aber auch eine schleichende Armut, die in das Leben der klassischen Mittelschicht kriecht, wo man dann wegen Jobverlusts, Teuerung oder zu geringen Einkommens gezwungen ist, das letzte Kapital, das man vielleicht noch hat, zu veräußern oder eben in Form der Wohnung zu vermieten, um überleben zu können. Und dann stellt sich immer öfter die Frage: Was macht es mit einem, wenn der Tag nicht mehr durch Arbeit strukturiert ist? Ich glaube, dass solche Identitätskrisen vielfach stattfinden und die Vereinzelung verstärken. Ich wollte also gewissermaßen einen existenzialistischen Roman im Zeitalter der Digitalisierung schreiben.

STANDARD: Im Buch geht es auch darum, dass man sich "für den Tag mit erfundenen Geschichten anzieht".

Schalko: Jeder täuscht dem anderen in Social Media vor, wie toll sein Leben ist, woraus eine Spirale der ständigen Beleidigung entsteht und damit eine Gesellschaft, in der sich jeder gedemütigt fühlt. Mit ein Grund, warum ich mich von dort längst verabschiedet habe, weil mich das alles deprimiert hat. Dazu dieser verzweifelte Wunsch, gesehen zu werden, gepaart mit der Angst, vergessen zu werden. Gott, der alles sieht, vor dem man sich rechtfertigen muss, ist durch Social Media ersetzt worden. Gott sind die anderen. Und je mehr man sich anähnelt, je richtiger man alles macht, desto weniger geht man durch die Hölle ergo den "walk of shame".

STANDARD: Der Verlust von Arbeit konfrontiert einen mit "der Länge des Tages und der Kürze des Lebens", wie es im Buch mal heißt.

Schalko: Das war der Titel einer Romanidee vor zwanzig Jahren, der mir dann zu sehr nach Handke klang. Hier passt er aber. Ein langer Tag kann die Befreiung aus dem Gefühl eines zu kurzen Lebens sein.

STANDARD: Während der Länge seiner Tage sehnt Ihr Held sich nach "Berührungen", ohne die er "morsch" ist.

Schalko: Die fehlenden Berührungen, in welcher Form auch immer, sind auch Ausdruck von Einsamkeit. Ich glaube, dass der Mensch nur im anderen Menschen einen Sinn finden kann, und je weniger man "face to face" mit den Menschen kommuniziert, desto schlechter geht es einem. Hinzu kommt die Scham, Einsamkeit zuzugeben. Ein Nachteil unserer Leistungsgesellschaft ist ja auch, dass Makel und Defizit nicht mehr angesehen sind. Früher war man auf einen Makel beinahe stolz, weil er ein besonderes Merkmal war. Heute geniert man sich dafür, wenn man nicht genau wie alle anderen ist.

David Schalko, "Was der Tag bringt". € 24,70 / 295 Seiten. Kiwi-Verlag, Köln 2023.
Kiepenheuer & Witsch

STANDARD: Glücklich ist, wer richtige Freunde hat?

Schalko: Ein Freund ist dann ein guter Freund, wenn er dich im Gefängnis besucht, denn Freundschaft unterliegt keinen moralischen Kategorien. Mir ist nicht wichtig, viele Freunde zu haben, aber die, die ich habe, sind gute Freunde, und das schon sehr lange.

STANDARD: Auch Feminismus findet Raum in Ihrem Buch, auch der "Ekel vor Männern".

Schalko: Es wird darin ein feministisches Milieu beschrieben, das sich sehr stark über diesen Ekel definiert, sprich: Feminismus als ein Äquivalent für Männerhass. Andererseits gibt es auch Eugen, einen Provinz-Elon-Musk, der sich über Selbsterhebung, Selbstüberschätzung und ein patriarchisches Weltbild definiert. Extremkapitalismus und Patriarchat stehen in einem engen Verhältnis. Um beides wäre es nicht schade.

STANDARD: Alle sind ständig im Kampfmodus?

Schalko: Wer heute mit seinem Anliegen gehört werden will, braucht offenbar ein Feindbild. Das gilt für die FPÖ genauso wie für die progressive Linke. Das ist traurig, aber die Realität. Insofern ist es wichtig, dass man sich wenigstens das richtige Feindbild aussucht. Gleichzeitig setzt sich eine Debattierunwilligkeit durch. Wenn etwas nicht nach meinem Schädel geht, dann braucht es gar nicht zu sein. Dann muss derjenige weggewischt werden. Dadurch schlittern wir zunehmend in autokratische Systeme. Jeder Kampf muss gewonnen werden, Wettbewerb auf allen Ebenen, es gibt den Stolz des Verlierens nicht mehr, die Melancholie des Scheiterns.

STANDARD: In der Wirtschaft gilt das Credo der Effizienz, des Alles-richtig-machen-Müssens. Nun kommen der Wirtschaft die Arbeitenden abhanden, sie verschwinden, auch in Ihrem Buch, wo die Therapeutin weg ist, die Putzfrau auch ...

Schalko: Als ich das Buch geschrieben habe, habe ich meinen Bankberater versucht zu erreichen, den ich seit 30 Jahren kenne, und auch der war plötzlich nicht mehr da!

STANDARD: Viele "flüchten vor dem Kapitalismus in die Krankheit" oder "reden mit einer inneren Stimme, die Gott ist". Ihr Held steigt aufs Gas und fährt Richtung Krieg. Kennen Sie diese Männerfantasien vom Krieg?

Schalko: Felix hegt aber keine Kriegsfantasien. Im Gegenteil. Er sagt, er hat jetzt keine Nerven für einen Krieg. Ein Krieg braucht Aufmerksamkeit, man muss sich mit ihm beschäftigen. Der Gedanke an Krieg wirft ihn aus der Bahn. Trotzdem dringt er immer tiefer ein in einen Osten, wo der Kapitalismus finstere Blüten trägt. Bis zum Ukrainekrieg hat man sich ja kaum vorstellen können, dass es Krieg in Europa gibt. Wobei sich die Frage stellt: Empfinden wir die Ukraine noch als Europa, oder werden wir sie zunehmend aus diesem Empfindungsradius drängen, um damit weniger konfrontiert zu sein? Irgendwann stirbt die Empathie ab, und so ein Krieg wird den Leuten lästig. Andererseits erleben wir den Krieg quasi live über Social Media, das ist ja nicht mehr wie zu den beiden Weltkriegen, wo einer heimgekommen ist und vielleicht mal davon erzählt hat, wie es war.

Standard: Ihr Held landet im Hotel Jeu Zero, wo man für jede Kleinigkeit extra bezahlen muss.

Schalko: Dieses Hotel ist natürlich auch eine Metapher für einen Kapitalismus, in dem keiner mehr irgendetwas umsonst macht. Alles zielt auf Geld oder auf Bewertung ab. Auch auf dieser Ebene kommt den Menschen die Verbindung zueinander abhanden.

Standard: "In der Wiederholung liegt die Schönheit des Lebens", steht im Buch. Welche Wiederholung macht die Schönheit Ihres Lebens aus?

Schalko: Mal abgesehen vom Geschenk, das meine Kinder und meine Lieben für mich sind, ist es die sich wiederholende Handlung des Schreibens. Das ist mehr als ein Beruf, das ist eine Lebensform, die mein Dasein erweitert und von der ich sogar leben kann. Wenn man hingegen jeden Tag das wiederholen muss, was man nicht gerne macht, ist das Leben die Hölle.

Standard: Ihr Held zieht sich immer weiter in sein Kammerl zurück, am Ende lebt er auf der Straße.

Schalko: Was bedeutet Wohnen, was bedeutet Eigentum, was bedeutet der geschützte Wohnbereich? All diese Fragen haben mich interessiert. Aber auch in der Obdachlosigkeit greifen die Regeln der Verdrängung, stellt sich die Frage der Zugehörigkeit, ist nicht jeder willkommen.

Standard: Ihr Held findet Zuflucht bei einem italienischen Pizzasozialisten, der über die Sozis sagt: "Sie sind in den Sozialen Medien und wissen nicht mehr, was Freundschaft ist." Sind Sie enttäuscht von ihnen?

Schalko: Man hat auch bei ihnen, wie bei allen Politikern, das Gefühl, dass sie mit den ewig gleichen, totgecoachten Rhetoriken arbeiten, dass es nicht um Haltung, sondern um Erfolg geht, wodurch sie jede Glaubwürdigkeit verlieren – wurscht, ob sie Doskozil oder Rendi-Wagner heißen. Bei Andreas Babler hingegen spürt man, dass er ehrlich gelebte Sozialdemokratie repräsentiert, abseits einer elitären Blase mit einem sehr realen Zugang und ohne Floskeldrescherei. Wenn manche sagen: Er stellt unrealistische Forderungen, muss man sagen: Wenn wir uns nicht bald den sogenannten unrealistischen Forderungen stellen, werden wir in einer Realität aufwachen, die wir ganz bestimmt nicht wollten. Nur weil wir gewisse Dinge zu Naturgesetzen erklärt haben.

Standard: Vielleicht wird die Not ja so groß, dass wir reale Antworten finden müssen?

Schalko: Jeder fünfte Österreicher ist in der Armut angekommen, und das sieht man auch. Gleichzeitig werden alle Umverteilungsinstrumente ignoriert, was niemand mehr versteht.

Standard: Sind Sie ein Melancholiker, was die Sozis angeht?

Schalko: (lacht) Ich bin insgesamt ein Melancholiker. (Manfred Rebhandl, 29.4.2023)