In Wien war Fotografieren nicht erwünscht. Hier Avril Lavigne während eines Auftritts im Vorjahr.

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Das fängt ja gut an. Zum Start ihres Auftritts in der Wiener Stadthalle läuft der wilde Rock-'n'-Roll-Song Bad Reputation. Zu alten Fotos und Videoschnipseln Avril Lavignes im Bühnenhintergrund singt die Frankokanadierin den forschen alten Hadern des Bad-Girl-Vorbilds Joan Jett von 1980. Blöd nur, dass zu diesem Zeitpunkt Avril Lavigne noch gar nicht auf der Bühne ist und die Band gerade erst die Instrumente einstöpselt. Es soll nicht das einzige, in diesem Fall konsequent zu Ende gedachte Playback des Abends bleiben. Wahrscheinlich ist die Nummer im fortgeschrittenen Alter wegen ihres hohen Tempos einfach zu schnell angelegt für die Leute auf der Bühne. Atemluft ist ein kostbares Gut.

Avril Lavigne

Die 38-jährige Kanadierin erscheint schließlich zur im höchsten akustischen Frequenzbereich liegenden Begeisterung eines erstaunlich jungen Publikums auf der Arbeit und startet mit dem neuen Song Bite Me. Der handelt als eines ihrer zentralen Alleinstellungsmerkmale davon, dass man Avril Lavigne nicht blöd kommen soll. Ein Kilo Ohrwascheln ist schnell gebrockt, wie es in jenen Kreisen wilder Kerle heißt, zu denen seit zwei Jahrzehnten auch Avril Lavigne gehört. Die selbstbestimmte starke Frau, die sich ohne Rücksicht auf Verluste mit fetzigen Gitarren, zerrissenen Strümpfen, Schottenrock, schweren Stiefeln sowie Totenkopf-, Sicherheitsnadel- und anderen Punk-Insignien wie Nieten oder gestrecktem Mittelfinger inszeniert, ist schließlich ein zeitloser Weckruf an die Weltjugend, sich nicht alles gefallen zu lassen.

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Bloß nicht erwachsen werden

Dass sie heute vor 13.000 erstaunlich jungen und entschlossen begeisterten Menschen spielt, verdankt sich also einerseits dem in der heutigen Popmusik bei den Influenzerinnen in Dubai etwas unterrepräsentierten Modell des Widerstands gegen die bestehenden Verhältnisse – unter besonderer Berücksichtigung des normativen Erwachsenendaseins. Andererseits lehnt man sich mit streng nach Vorschrift und Bauplan gefertigten Songs wie What the Hell oder Here's to Never Growing Up auch nicht allzu weit aus dem Fenster. Here's to Never Growing Up ist eine nicht ganz überraschend von ihrer Seite kommende alte Weigerung, jemals erwachsen werden zu wollen. Lieber ein Aufstand im Kinderzimmer als ein stiller Protest in der Wahlkabine.

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Punk für den Modediskonter

Der flutschige und oft auch reichlich sinnbefreit fröhliche, stromlinienförmig aufsässige und unpackbar quengelige Pop-Punk der Nullerjahre steht derzeit bei einem jungen Publikum nach all den Jahren mit belanglosem R 'n' B und systemerhaltendem Gangster-Rap wieder hoch im Kurs. Die Rede ist von vielen jungen Bands, die heute alte US-amerikanische Genregrößen wie Blink-182, Sum 41 oder Fall Out Boy und ihre Krawalligkeit für Modekollektionen von H&M und New Yorker nachstellen.

Avril Lavigne ist vom langen Touren nun aber, auch nach einer jahrelangen Zwangspause wegen einer schweren Borreliose-Erkrankung, schon ein wenig müde. Nach nicht einmal eineinhalb Stunden ist die Sache gelaufen. Sie spielte ihren ersten Hit Complicated, coverte auch noch Wannabe von den geistesverwandten, aber etwas softeren Schwestern Spice Girls und setzte sich bei Love Sux ans Schlagzeug. Zum Abschluss des Konzerts schließlich der alte Über-Hit Sk8ter Boi. Konfettiregen, Jubel, Trubel. Morgen wieder Schule. (Christian Schachinger, 28.4.2023)