Bei der DNA mit ihren nur vier Grundbausteinen und ihrer Funktion als Trägerin des Bauplans des Lebens drängen sich Vergleiche mit dem Speicher eines Computers auf. Doch während in der DNA von Lebewesen inzwischen bis zu einem gewissen Grad tatsächlich gelesen und geschrieben werden kann, um bei Lebewesen bestimmte Eigenschaften zu programmieren, gibt es auch wichtige Unterschiede.

Während ein gutes Computerprogramm keine überschüssigen Befehle enthalten sollte, handhabt die Natur das Management der DNA weniger streng. Beim Menschen etwa haben nur wenige Prozent des Erbguts eine bekannte Funktion. Viele Teile der DNA sind Relikte, die über Jahrmillionen weitergegeben wurden.

Eine neue Großstudie untersuchte nun die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von 240 Wirbeltierarten, von Hummeln über Wale bis hin zu Menschen. Es ging darum, die gemeinsamen Gensequenzen zu untersuchen. Denn, so die Hypothese, Erbgut, das über lange evolutionäre Zeiträume unverändert bleibt, muss eine wichtige Funktion erfüllen. Die Ergebnisse wurden nun in elf unterschiedlichen Studien im Fachjournal "Science" veröffentlicht.

Balto und sein Herrchen Gunnar Kaasen um das Jahr 1925.
Foto: Public Domain

Gene von berühmtem Schlittenhund

Der unbestrittene Star der Untersuchung war der Schlittenhund Balto. Er gelangte während einer Diphterie-Epidemie in Alaska zu Berühmtheit, als der Impfstoff nur mit Schlittenhunden zu den Erkrankten gebracht werden konnte. Die Indigenen in der Stadt Nome hatten keine Antikörper gegen die Krankheit. Eine Stafette von Hundeschlitten transportierte den Impfstoff über 1000 Kilometer, wobei Balto die letzte Etappe übernahm. Die Geschichte ist manchen aus dem Kinderbuch "Die Stafette" ein Begriff, auch einen aktuellen Zeichentrickfilm gibt es. In US-Medien erregte die Leistung damals große Aufmerksamkeit, im New Yorker Central Park ist Balto in Form einer Statue verewigt.

Balto ist also für seine Robustheit bekannt. Doch gibt es auch in seinen Genen Hinweise darauf? Um das zu untersuchen, entnahmen die Forschenden aus dem ausgestopften Präparat Baltos, das in Cleveland ausgestellt ist, eine Gewebeprobe und extrahierten die DNA. "Baltos Berühmtheit und die Tatsache, dass er ausgestopft wurde, haben uns die Möglichkeit gegeben, hundert Jahre später zu sehen, wie diese Population von Schlittenhunden genetisch aussah", sagt Studienautorin Katherine Moon. Außerdem habe das die Möglichkeit eröffnet, Balto mit modernen Hunden zu vergleichen.

Balto ist heute im Cleveland Museum of Natural History zu sehen. Aus dem Präparat konnte seine DNA gewonnen werden.
Foto: Cleveland Museum of Natural History

Letztlich verglich man sein Genom mit dem von 682 heute lebenden Hunden. Es zeigte sich, dass er nur einen Teil seiner Gene mit den sibirischen Huskys teilte, die normalerweise als Schlittenhunde zum Einsatz kamen. Die genetische Diversität der Hundepopulation, zu der er gehörte, war viel höher als die heutiger Hunderassen.

Es zeigte sich, dass Balto über Gene für starke Knochen, Muskeln und Gelenke verfügte und außerdem über eine Genvariante, die es ihm erlaubte, Kohlenhydrate zu verdauen. Letzteres hilft Hunden beim Leben mit Menschen, ist allerdings in moderneren Hunderassen ausgeprägter als bei Balto.

Spannend sei außerdem gewesen, Baltos Erscheinungsbild aus seinen Genen zu rekonstruieren. Die Farbe des Fells etwa konnte aufgrund der Gene richtig bestimmt werden, wie sich anhand des ausgestellten Präparats nachprüfen ließ.

Das Team betont, dass diese Ergebnisse nur dank der Infrastruktur der Großstudie und der Vorarbeit anderer Forschungsgruppen bei der Analyse der anderen 682 Hundegenome möglich waren.

Hinweise auf Krankheiten beim Menschen

Von besonderem Interesse sind die Ergebnisse, die den Menschen betreffen. Hier ging es vor allem um das Verständnis der sogenannten regulatorischen Gene. Der Mensch besitzt etwa 20.000 Gene, die Baupläne für Proteine beinhalten. Doch ein weiterer Teil der DNA hat die Aufgabe, die Funktion dieser Gene zu regulieren. Sie bestimmen, wann wie viel von einem bestimmten Protein produziert wird. Diese Gene sind viel schwieriger zu identifizieren.

Hier sollte der Vergleich mit anderen Tierarten helfen. Ist ein Gen, das keinen Proteinbauplan enthält, trotzdem in vielen Tierarten vorhanden, so hat es wahrscheinlich dennoch eine wichtige Funktion.

Tatsächlich gelang es, mehrere Regionen solcher Gene zu identifizieren. Insgesamt waren es drei Millionen von DNA-Elementen mit regulatorischer Funktion, von denen die Hälfte bisher unbekannt gewesen war. In Summe sind damit etwa zehn Prozent des menschlichen Genoms funktional, weit mehr als das eine Prozent, das die Baupläne für Proteine enthält.

Neurologische und Immunerkrankungen

Auswirkungen hat das auf das Verständnis genetischer Krankheiten. Ist von einem Gen bekannt, dass es eine wichtige Funktion erfüllt, so können Fehler in diesem Bereich womöglich mit Krankheiten in Verbindung gebracht werden.

"Unsere Analysen geben uns einen besseren Einblick in die regulatorischen Signale im Genom", sagt Jennifer Meadows von dem Team, das sich auf Krankheiten konzentrierte. Man habe sich zuerst auf DNA-Bereiche konzentriert, von denen bekannt war, dass sie zu Krankheiten beitragen. "Das konnten wir dann nutzen, um zusätzliche Positionen vorzuschlagen, die mit neurologischen Merkmalen wie Schizophrenie oder Immunerkrankungen wie Asthma oder Ekzeme zu tun haben könnten."

Zur Gefährdung des Schwertwals gibt es zu wenige offizielle Daten. Die neuen genetischen Analysen legen nahe, dass er bedrohter ist als bekannt.
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Aussterberisiko von Tieren

Ein weiteres Team versuchte anhand der Genanalyse abzuschätzen, ob eine Tierart vom Aussterben bedroht ist. Dafür ist etwa die Populationsgröße in der Vergangenheit relevant. Eine Untersuchung der mutierten Gene erlaubt es, die genetische Variation der Population abzuschätzen. Das Team verglich die genetischen Prognosen für das Aussterberisiko mit Daten der Weltnaturschutzunion IUCN und fand gute Übereinstimmung.

Für drei Spezies, bei denen auf genetischer Ebene ein erhöhtes Risiko prognostiziert wurde, gab es bei der IUCN allerdings nicht genug Daten, unter anderem für den Schwertwal. Genetische Daten könnten künftig eine wichtige Ergänzung darstellen. "Wir sind noch nicht so weit, dass wir mit einem einzigen Genom sagen können, wie hoch die Bedrohung genau ist", sagt Aryn Wilder vom Projektteam. "Aber wir sind auf einem guten Weg."

Die Forschenden betonen, dass es nicht trivial ist, die Genome so unterschiedlicher Tiere zu vergleichen. "Ein Gen, das bei uns auf einem Chromosom liegt, befindet sich bei einer anderen Spezies womöglich auf einem ganz anderen Chromosom", sagt Beth Shapiro, eine Mitarbeiterin des Teams, das Balto untersuchte. "Man braucht ein Werkzeug, mit dem man sie in eine Reihe stellen kann, um zu sehen, welche Teile dieser Genome gleich sind und welche unterschiedlich. Ohne das ist es nur ein Haufen Genome von Arten, die sehr unterschiedlich sind." (Reinhard Kleindl, 1.5.2023)