Häufige Terroranschläge wie dieses Attentat auf einen Bus in Tel Aviv im November 2012 sind für viele Israelis der Hauptgrund dafür, dass es keinen Frieden gibt.
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Ein Dreivierteljahrhundert nach seiner Gründung ist Israel immer noch im Kriegszustand mit der Mehrheit der arabischen Staaten, sind seine Grenzen ungewiss und die Palästinenserfrage von einer Lösung weiter entfernt denn je. Aus israelischer Sicht gibt es dafür einen zentralen Grund: die Weigerung der meisten Araber, die Existenzberechtigung Israels anzuerkennen. Die Palästinenser aber sehen die Hauptschuld bei Israel: die Kriege, die es ausgelöst hat, die Besatzung, und vor allem die Siedlungen.

Kriege und Besatzung

  • Die israelische Sichtweise
    Die tödliche Feindschaft der arabischen Welt und ihrer Verbündeten prägte Israels erste Jahrzehnte. Ständig waren die Einwohner palästinensischen Terrorangriffen der sogenannten Fedajin aus dem ägyptisch besetzten Gazastreifen oder dem von Jordanien annektierten Westjordanland ausgesetzt. Von den Golanhöhen beschossen syrische Soldaten israelische Dörfer im Norden. Juden konnten ihre heiligen Stätten in Jerusalem, darunter die Klagemauer, oder in Hebron nicht betreten.

    Als 1953 der nationalistische Offizier Gamal Abdel Nasser in Ägypten die Macht ergriff, verschärfte sich der Konflikt. 1956 schloss Nasser die Straße von Tiran im Roten Meer für israelische Schiffe. Dem Abwürgen seines Handels versuchte Israel in Absprache mit Großbritannien und Frankreich mit der Eroberung der Halbinsel Sinai zu entkommen, musste sich aber auf Druck der USA wieder zurückziehen.

    1967 zog Nasser die Schlinge erneut immer enger und drohte immer lauter mit der Vernichtung. Im Sechstagekrieg im Juni 1967 gelang Israel der Befreiungsschlag. Es eroberte den Sinai und, nachdem auch Jordanien angriff, Ostjerusalem und das Westjordanland. Die Eroberung der Golanhöhen war notwendig, um dem Norden endlich Sicherheit zu geben. Gleich nach Kriegsende erklärte sich Israel bereit, Land gegen Frieden zu tauschen. Doch die arabischen Staaten reagierten mit den "drei Neins von Khartum": kein Friede, keine Anerkennung, keine Verhandlungen.

    Erst Nassers Nachfolger Anwar Sadat war bereit, Israels Existenz zu akzeptieren, nachdem er im Jom-Kippur-Krieg von 1973 kleine Erfolge errungen hatte. Dafür erhielt er unter der Rechtsregierung von Menachem Begin den Sinai zurück. Auch israelische Siedlungen auf der Halbinsel wurden geräumt. Die 1964 gegründete Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) und die anderen arabischen Staaten blieben hingegen bei ihrem Ziel der Vernichtung des jüdischen Staates.
  • Die palästinensische Sichtweise
    Die 1948 vertriebenen Palästinenser blieben heimatlos, der zionistische Staat verweigerte ihnen das Recht auf Rückkehr in ihre Dörfer und Häuser. Bei all ihrer großspurigen Rhetorik taten auch die arabischen Staaten sehr wenig, um das an ihnen verübte Unrecht zu korrigieren. Einen Palästinenserstaat auf dem wenigen Land, das die Zionisten nicht hielten, zu gründen hätte das größere Ziel der Befreiung Palästinas untergraben.

    Durch den militärischen Angriff Israels im Juni 1967 und die Besetzung des Westjordanlands und des Gazastreifens wurde ihnen auch das genommen; ab nun lebten Millionen von Palästinensern unter einer israelischen Besatzung, die ihnen alle Bürgerrechte nahm.

    Mit dem Bau von immer mehr jüdischen Siedlungen ab den 1970er-Jahren entstand ein Zweiklassensystem, in dem die jüdische Bevölkerung volle Rechte und massive Privilegien hat, die Palästinenser Unterdrückung und Diskriminierung erfahren. Bald wurde klar, dass die israelische Rechte das Westjordanland aus religiösen Gründen nie zurückgeben würde. Stattdessen wuchsen von Jahr zu Jahr die jüdischen Siedlungen. Ein weiterer israelischer Angriffskrieg, diesmal gegen den Libanon, löste 1982 eine weitere palästinensische Katastrophe aus. Unter den Augen der israelischen Armee richteten christliche Milizen ein Massaker in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila an.

    Der Zorn vor allem der Jugend entlud sich im Dezember 1987 in der ersten Intifada, in der Palästinenser anfangs mit friedlichen Aktionen gegen die Besatzung protestierten. Bei gewaltsamen Zusammenstößen warfen palästinensische Jugendliche mit Steinen, während israelische Soldaten scharf schossen. Die Opferbilanz nach drei Jahren: 609 Tote auf palästinensischer Seite und 18 Tote unter den Israelis. Auch bei den Verletzten war der Blutzoll der Palästinenser dreimal so hoch.
Im von Israel annektierten Ost-Jerusalem sind zwei Menschen durch Schüsse auf ihr Auto verletzt worden. Das Leben der beiden Männer sei nicht in Gefahr, teilte der Rettungsdienst Magen David Adom mit. Die israelische Polizei erklärte, es bestehe der Verdacht auf einen "Terroranschlag". Nach dem flüchtigen Angreifer werde gefahndet
DER STANDARD

Der gescheiterte Frieden

  • Die israelische Sichtweise
    Israel war zum Frieden mit jedem bereit, der sein Existenzrecht in sicheren Grenzen anerkennt. Bei Ägypten war das 1979 der Fall, bei den Palästinensern erst in den 1990er-Jahren. 1993 kam es nach Geheimverhandlungen in Oslo zur Annäherung zwischen der Regierung unter Jitzhak Rabin und der PLO-Führung unter Jassir Arafat, die in mehreren Autonomieabkommen mündete. Der Großteil der Palästinenser im Westjordanland und alle im Gazastreifen erhielten die Selbstverwaltung, die israelische Kontrolle beschränkte sich auf dünn besiedeltes Gebiet und jüdische Siedlungen (Area C). Die Unterstützung für den Friedensprozess schwand durch die Welle von Selbstmordattentaten, die von der radikalislamischen Hamas losgetreten wurde und in vier Jahren rund 170 Israelis in Bussen, Cafés und Einkaufszentren das Leben kostete.

    Beim Camp-David-Gipfel im Sommer 2000 machte Israel unter Premier Ehud Barak Angebote, die einen Palästinenserstaat auf 90 Prozent des Westjordanlandes und dem gesamten Gazastreifen plus einem Großteil Ostjerusalems ermöglicht hätten. Arafat war das nicht genug. Er trat nach dem Scheitern die zweite Intifada los, mit einer neuerlichen Terrorwelle gegen israelische Zivilisten. 2005 zog sich Baraks Nachfolger Ariel Scharon komplett aus dem Gazastreifen zurück. Auch hier war die Folge der Raketenterror durch die Hamas gegen Israel, der bis heute anhält, während Palästinenserpräsident Mahmud Abbas Verhandlungen die meiste Zeit verweigert – und Terror zumindest duldet.
Palästinenser machen die Besatzung verantwortlich, symbolisiert durch Mauern und Zäune im Westjordanland.
Foto: Xinhua / Yang Zhiwang
  • Die palästinensische Sichtweise
    Auch bei den Palästinensern war die Hoffnung auf Frieden anfangs groß, umso größer das Entsetzen, als der radikale Siedler Baruch Goldstein im Patriarchengrab von Hebron ein Massaker unter muslimischen Gläubigen mit 29 Toten anrichtete. Unter den nationalreligiösen Fanatikern, zu denen auch der Rabin-Mörder Jigal Amir gehört, wurde Goldstein bald als Heiliger verehrt. Der Siedlungsbau ging kaum gebremst weiter, oft auf palästinensischem Privatgrund, und immer mehr Israelis zogen ins Westjordanland; heute sind es eine halbe Million. Nach der Ermordung Rabins kam der rechte Likud unter Benjamin Netanjahu an die Macht und der Friedensprozess fast vollständig zum Stillstand. Auch unter seinem Nachfolger Ehud Barak wurden Siedlungen ausgebaut. Barak dachte, er könne den Palästinensern eine unbefriedigende Friedenslösung diktieren, und war dann verwundert, als Arafat in Camp David Nein sagte.

    Mit dem Bau von Absperrungsmauern und Zäunen oft quer durch palästinensische Städte, Dörfer und Felder als Reaktion auf die zweite Intifada wurde das Leben in den besetzten Gebieten noch weniger erträglich. Israels Reaktionen auf Gewaltakte kosten jedes Mal ein Vielfaches an palästinensischen Menschenleben. Die Siedlungen und Israels überlegene Macht haben jede Chance auf eine Zweistaatenlösung und damit auf ein unabhängiges Palästina zerstört. (Eric Frey, 29.4.2023)