Energieministerin Leonore Gewessler hat andere Pläne gegen die Abhängigkeit vom russischen Gas als der Koalitionspartner.

Foto: www.corn.at Heribert CORN

Wien – Fast fünf Monate sind vergangen, seit Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) die Schaffung einer Koordinierungsstelle zur Gasbeschaffung vorgeschlagen hat. Nun liegt ein Gegenvorschlag aus dem Haus von Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) vor. Und der ist jenem von OMV-Chef Alfred Stern nicht unähnlich, der eine Verstaatlichung der Gashandelstochter OMV Gasmarketing & Trading vorgeschlagen hatte.

Einziger wesentlicher Unterschied: Die unter dem damaligen OMV-Chef Rainer Seele ohne Not bis 2040 verlängerten Gasverträge mit Gazprom verblieben gemäß dem Vorschlag der grünen Ministerin bei der OMV. Herausgelöst und in den Dienst der Versorgungssicherheit der Republik Österreich gestellt würden nur die für den Gashandel erforderlichen Einheiten, heißt es in dem Papier "Ausstieg aus russischem Erdgas in Österreich", das im Auftrag des Ministeriums gemeinsam mit dem ehemaligen Vorstand der Energieregulierungsbehörde E-Control, Walter Boltz, konzipiert worden ist.

Ziel: Versorgungssicherheit

Im Kern sieht das kursorisch gehaltene Papier Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit mit Erdgas, der Sicherung von Transportkapazitäten für alternative Gaslieferungen (nicht aus Russland) und von ausreichend Gasmengen für österreichische Verbraucher und Unternehmen sowie deren operativer Umsetzung vor. Parallel dazu soll die hohe Abhängigkeit (80 Prozent) von russischem Gas massiv reduziert werden, bis 2027 soll sie gemäß EU-Beschlüssen auf null reduziert werden.

  • Zur Sicherung der Gasversorgung in Krisenzeiten sollte die strategische Gasreserve im Volumen von rund 20 Terawattstunden (TWh) nicht nur weiter bestehen bleiben, sondern erhöht werden. Zu diesem Zweck sollten Industrie und Energieversorger zusätzlich zur Einlagerung von Gasreserven verpflichtet werden. Allein die Industriereserve sollte von vier bis fünf TWh auf 20 TWh erhöht werden.
  • Um Preisausschläge wie im Vorjahr hintanzuhalten, sollten das Gas und die dazugehörigen Transport- und Speicherkapazitäten alsbald gebucht werden. Als Anreiz sollte der Staat die Kosten für die notwendigen Pipelinekapazitäten zu 80 Prozent stützen, was pro Jahr circa 30 bis 50 Millionen Euro kosten würde. Stützen sollte der Staat die Industrie auch bei den Speicherkosten von rund 100 Millionen Euro, von denen er die Hälfte übernehmen sollte. Energieversorger hingegen, die kalorische Kraftwerke betreiben und mehr als eine TWh an Gas verbrauchen, bekämen nur die Hälfte der Gastransportkosten ersetzt (geschätzte Kosten: 15 bis 20 Millionen Euro pro Jahr). Denn sie seien nur lokalem oder regionalem Wettbewerb ausgesetzt und könnten einen Teil der Mehrkosten über die Margen aus dem Strompreis finanzieren, rechnete Boltz vor.
    Zum 1. November wären nach dieser Rechnung rund 60 Prozent des Jahresverbrauchs eingespeichert (rund zwölf TWh) und Ende März noch zumindest vier TWh oder 20 Prozent. So wäre im Falle eines Embargos oder von Lieferengpässen bei Gas die Versorgungssicherheit mit Strom und Fernwärme gewährleistet.
  • Gasbevorratung: In die Pflicht nehmen würden Klimaschutzministerin und Energieexperten auch Gashändler mit einem Absatz von zumindest zwei TWh, die österreichische Endkunden beliefern. Sie sollten bis zur Heizsaison Anfang November Gas im Umfang von 30 Prozent ihres Vorjahresabsatzes in Speichern in Österreich einlagern müssen. In Summe würden diese Unternehmen zehn TWh an Gasvorräten anlegen müssen – nichtrussischer Provenienz, versteht sich. Alternativ könnte man den Versorgungsstandard mittels Gaswirtschaftsgesetz erhöhen, indem alle Gasimporteure verpflichtet würden, nichtrussisches Gas im Umfang der 75 Tage mit dem höchsten Gasabsatz in österreichischen Speichern zu lagern.
  • Neben der dringend voranzutreibenden Beschaffung von Pipelinegas und Flüssiggas (LNG; muss umgewandelt werden) braucht es den Ausbau von Pipelinekapazitäten, um Flaschenhälse wie im Mühlviertel zu erweitern und den Gasfluss in beide Richtungen zu ermöglichen, etwa von Haidach in Oberösterreich in den Osten oder vom Norden im deutschen Greifswald über Tschechien nach Baumgarten zur OMV. Auch der OMV-Standort in Rumänien ist eine Option, allerdings unsicher, was das Gasfeld Neptun im Schwarzen Meer betrifft.
  • Minenfeld Gaseinkauf: Politisch heikles Terrain, geradezu ein Minenfeld, ist die eingangs beschriebene operative Abwicklung derartiger Maßnahmen. "Eine von der Bundesregierung beauftragte Gesellschaft – etwa der Verbund, dessen Gas Connect Austria oder die OMV – sollte Gaseinkauf und Lieferung von bis zu 6,5 Kubikmeter Gas organisieren." Das finanzielle Risiko dafür trägt: die Republik. Das zu schaffende Vehikel soll mehr sein als die von Finanzminister und Beteiligungsholding Öbag entrierte Koordinierungsstelle. Vorstellbar wäre etwa eine Herauslösung der OMV-Gashandelsaktivitäten vor, die treuhändisch von der Öbag betrieben werden – gegen Bezahlung, versteht sich, die EU-konform und börsentauglich organisiert werden sollte, also ohne Verlust für die OMV. Orientieren könnte man sich dabei am durchschnittlichen Gewinn der vergangenen fünf oder zehn Jahre, so die Idee – mit der ausdrücklich eine Diskussion angestoßen werden soll.

Widerstand scheint programmiert, denn was sollte die OMV mit ihrem russischen Gas tun ohne Händler und Vertrieb? Sie muss dieses ja weiterverkaufen, wenn auch nicht innerhalb der EU. Zahlen muss sie an Gazprom jedenfalls, ob sie das Gas abnimmt oder nicht.

ORF

Im "ZiB 2"-Interview am Freitag sagte Leonore Gewessler, dass erste Maßnahmen bereits vor der nächsten Heizsaison umgesetzt werden sollten. Als Vorteil der Herauslösung und staatlichen Verwaltung der für den Gashandel erforderlichen Einheiten sieht Gewessler die dadurch gewährleistete Effizienz. Auf die Gegenfrage Martin Thürs, ob die Effizienz hinsichtlich hoher Anlaufkosten tatsächlich gegeben wäre, verweist Gewessler auf das deklarierte Ziel, ein "machbares, rasch umsetzbares" Konzept zu präsentieren.

Gerhard Roiss, einer der Verfasser des Plans zum Ausstieg aus russischem Gas, sagte am Samstagmorgen bei Ö1: "Wir müssen uns überlegen, wie wir Österreich mit leistbarem Gas versorgen können." Er wies darauf hin, dass andere europäische Länder ebenfalls Gas aus Russland beziehen, wenn auch "nicht in der Schärfe" und auf Langfristigkeit wie in Österreich. Die Transportverträge für russisches Gas via Ukraine laufen 2024 aus. Roiss: "Italien hat beschlossen, komplett auszusteigen. Diese Richtung müssen wir in Österreich diskutieren."

Skepsis gegenüber Verstaatlichung

Seitens des Öbag-Eigentümervertreters Finanzministeriun, das auch für die OMV zuständig ist, gab es eine defensiv formulierte Stellungnahme zu Gewesslers Alleingang: Man unterstütze jede Maßnahme, die zum gemeinsamen Ziel der Regierung beiträgt, um den Ausstieg aus russischem Gas zu beschleunigen.

Einer Herauslösung und Verstaatlichung der OMV-Gastochter stehe man skeptisch gegenüber. Allerdings wird eine Verstaatlichung im engeren Sinn gar nicht vorgeschlagen, sondern lediglich eine Treuhandlösung beziehungsweise eine temporäre Überlassung einer bestimmten Unternehmenseinheit. (Luise Ungerboeck, 28.4.2023)