Damiano David – hier bei einem Heimspiel in Turin – domestizierte mi seiner Band Måneskin die Fans in der Wiener Stadthalle: "Hello Motherfuckers!"

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In zwei Wochen ist es wieder soweit. Die jährliche Sonderprüfung wird über zwei Dutzend musikalische Eintagsfliegen durch einen Seitenflügel des Kurzzeitgedächtnisses fluten, bevor sie eine Sekunde nach ihrem "großen" Auftritt beim Song Contest in der Vergessenheit verschwinden. Sweet relief, Schwamm drüber, ein Jahr Verschnaufpause.

Doch alle vier bis fünf Millionen Jahre gibt es eine Ausnahme. So eine stand am Freitagabend in Wien auf der Bühne: die italienische Rockband Måneskin. Die jungen Römer – die Bassistin ist mitgemeint, sonst klappt die Falco-Anspielung nicht – haben den Song Contest 2021 gewonnen. Das war insofern beachtlich, als dass damit eine Musikrichtung siegreich war, die bei dem Bewerb im Normalfall nicht zu finden ist und nichts zu suchen hat. Måneskin spielen nämlich harten Rock, was im Vergleich zu den beim ESC vorherrschenden tranigen Balladen oder dem Eurodance-Schrott herausragte wie der Knochen bei einem offenen Bruch.

23 mehr

Und Måneskin verschwanden nicht, sie machen gerade tatsächlich Weltkarriere, spielten im Vorprogramm der Rolling Stones und standen am Freitag vor 14.000 Menschen auf der Bühne der Stadthalle. Hätte ein Handyverbot geherrscht, hätten noch 23 mehr reingepasst.

Auf einem vor der Bühne hängenden roten Vorhang zeichneten sich zu Beginn die Silhouetten der Band ab. Es sah aus, als legten da gleich T. Rex los: Schlaghosen, lange Haare, Action und Lärm.

Als der Vorhang fiel, war es zwar nicht T. Rex, doch die Schnittmenge von Glam und hartem Rock zeigt sich in der Musik von Måneskin durchaus und sorgte für sofortige Saalerhebung auf den Rängen. Ein Sinnbild für die durchgängig überdrehte Stimmung, die von charmanten Ansagen des Sängers Damiano David – "Hello Motherfuckers!" – immer wieder gewürdigt wurde; später ging er zwecks Untertuchfühlung auch ein paar Mal ins Publikum. Kreisch!

Eierbrechergymnastik und Geburtstag

Die Band spielte von Beginn an am Anschlag. Tinnitus-Soli aus dem Schritt, Eierbrechergymnastik seitens Victoria De Angelis am Bass, die als Geburtstagskind mit einer Tortung gewürdigt wurde – und hinten der Galeerentrommler auf 110. Das ergab einen ordentlichen Wirbel und blieb kurzweilig, da nach drei Minuten meist alles gesagt, jede oralistische Vergnügungsandeutung erledigt und jedes Solo gespielt war. Drei Minuten dürfen die Lieder beim Song Contest nur dauern – es ist nicht alles schlecht dort.

Pflichtschuldig wurde der ESC-Siegersong Zitti E Buoni gegeben, nachgelegt wurde mit Stoff aus dem neuen Albums Rush!. Titel wie Supermodel, Bla Bla Bla oder Gasoline, bei dem ein wenig Pyro-Zeugs zum Einsatz kam. Kreisch! Handyfoto! Geil! Am meisten schob aber Beggin’ an, eine erstaunlich geschmackssichere Coverversion von Frankie Valli und seinen Four Seasons.

Bier! Lulu!

Nach einer Stunde war’s dann plötzlich aus, die Band war abgegangen. "Wos is do jetzt?"-Gemurmel im Saal. Wo gibt’s Bier, ich muss lulu. Während Teile des Publikums die Verwirrung für ihre Bedürfnisse nutzten, wechselten David und Gitarrist Thomas Raggi auf eine kleine Bühne hinten im Saal. Überraschung! Dort spielten sie nach einer kurzen Begrüßung der "Motherfucker" auf den billigen Plätzen zwei Songs, die vor allem eines zeigten: Das Lagerfeuerlied ist nicht ihr Metier. Trotzdem: Gekreisch! Handyfoto! Ursupa!

Im Finale dreht die Band hoch auf elf. Der Saal war hin und weg und von Måneskin endgültig zu I Wanna Be Your Slave domestiziert – so heißt ein Lied.

Selbst wenn manche Songs ein bisserl charakterfrei daherkamen, die Dynamik stellenweise unter dem Gleichklang litt, der Einsatz und die Euphorie, mit der da eine alte und zugleich immergrüne Musik dargeboten wurde, waren beachtlich und mitreißend. Am Ende gingen alle zufrieden aus dem Saal, raus in den Måneskin. Das ist dänisch und heißt Mondschein. (Karl Fluch, 29.4.2023)