Der Unterschied für Millionen Sudanesen und Sudanesinnen zu früheren Konflikten im Land ist aber ein entscheidender. Sie spielten sich sehr oft in der Peripherie des schwachen Staats ab, nicht (auch) in der Zentrale wie jetzt.

Foto: AP/Petros Karadjias

Die Menschen, die es nach Port Sudan am Roten Meer geschafft haben und den richtigen Pass haben, um auf eine Überfahrt nach Saudi-Arabien hoffen zu können, sind die Glücklichen. Auch wenn sie nichts, oft nicht einmal einen Unterstand bei 40 Grad im Schatten haben, wie die wenigen Journalisten und Journalistinnen aus der Stadt berichten. Internationale Hilfsorganisationen sind nicht zu sehen. In das große Gebäude, das die Uno angemietet hat, dürfen sie nicht hinein. Sie sind auf die Hilfe durch die Einwohnerschaft der Stadt angewiesen, die selbst Angst hat, dass der Krieg zu ihnen kommt.

Wie gesagt, die sudanesischen Flüchtlinge in Port Sudan sind besser dran als andere, Saudi-Arabien auf der anderen Seite verhält sich anständig. Die Lage an der sudanesisch-ägyptischen Grenze ist viel schlimmer, dort sterben die ersten Menschen. Die, die Geld haben – Banken und Bankomaten waren ja geschlossen –, zahlen für eine Fahrt von 30 Kilometern oft Zehntausende Dollar. Die sudanesischen Grenzen in andere Nachbarstaaten sind durchlässiger, etwa von West-Darfur, wo der alte Krieg wieder ausgebrochen ist, in den Tschad. Dort ist eine Destabilisierung zu fürchten. Die Vernetzungen der bewaffneten Gruppen reichen auch in andere Staaten in der Region, etwa ins von Kriegen gebeutelte Libyen.

Darfur-Krieg ist lange her

Der Sudan, die Hauptstadt Khartum, das ist weit weg. Der Beginn des Darfur-Kriegs, einst ein riesiges mediales Thema, liegt zwanzig Jahre zurück. Abdelfattah al-Burhan und Mohammed Hamdan Dagalo (Hemeti), die nun gegeneinander kämpfen, sind vor diesem Hintergrund großgeworden. Dass der 2019 gestürzte Omar al-Bashir, das international bekannte böse Gesicht des Darfur-Kriegs, vor ein paar Tagen aus seinem Gefängnis "verlegt" worden ist – was immer das heißen mag –, interessiert heute kaum noch jemanden. Die Nachrichtenagenturen wiederholen die Zahl von "bereits 500 Toten" – obwohl jeder weiß, dass niemand auch nur den geringsten Überblick darüber hat, wie viele Menschen wo gestorben sind. Die Leichen liegen auf den Straßen. Bald auch in Häusern, die nicht von Bombardierungen getroffen werden, denn Lebensmittel und Wasser gehen aus.

Da ist eben wieder einmal Krieg im Sudan. Der Unterschied für Millionen Sudanesen und Sudanesinnen zu früheren Konflikten im Land ist aber ein entscheidender. Sie spielten sich sehr oft in der Peripherie des schwachen Staats ab, nicht (auch) in der Zentrale wie jetzt. Jahrzehntelang war die Hauptstadt Khartum mit ihrer Schwesterstadt Omdurman auf der anderen Seite des Nils der Zufluchtsort für Flüchtlinge, aus Darfur, aus dem Süden, Kordofan, ja, es gab sogar einen heute fast vergessenen Krieg im Osten des Landes, an der Grenze zu Eritrea. Viele der Betroffenen landeten und blieben in Khartum. Jetzt flieht aus der Hauptstadt, wer nur irgendwie dazu in der Lage ist, die Einheimischen und die später Dazugekommenen.

Gastfreundlich, aber arm

Tausende fremde Staatsbürger und Staatsbürgerinnen, darunter auch viele sudanesisch-stämmige, wurden in den vergangenen zehn Tagen außer Landes gebracht. Mit Entsetzen sahen die anderen Menschen zu, sie wussten, was das bedeutet: Mit baldiger Beruhigung der Lage ist nicht zu rechnen. Zuerst setzen sich immer eher erst jene in Bewegung, die es sich leisten können, die hoffen, irgendwo anknüpfen zu können. Die Bevölkerungen in der Region sind gastfreundlich – viel ärmer und viel gastfreundlicher als wir –, aber Ägypten etwa ist ein besonders gutes Beispiel eines Landes, das nun selbst auf seine letzten Ressourcen zurückgeworfen ist, das Wasser steht ihm wirtschaftlich bis zum Hals. Das lässt, wie am Beispiel Tunesien zu sehen ist – auch wenn das kein Nachbarland ist –, den Rassismus steigen, der in diesem Fall auch noch von oben betrieben wird. Man sollte nicht so tun, als ob es das Problem Rassismus dort nicht gäbe.

Die Sudanesen und Sudanesinnen werden aus der Region weiterziehen; nicht weil sie es wollen, sondern weil sie es müssen, um zu überleben. "Migranten" werden heute von der Politik, auch der österreichischen, als die Feinde schlechthin identifiziert, weil die Bezeichnung die Illusion von der Festung Europa stützt: Migranten darf man "abwehren", sie kann man wieder wegschicken. Was den Sudan betrifft, wird ein anderer Diskurs nötig sein: Von dort werden in den nächsten Wochen und Monaten, vielleicht Jahren, keine Migranten und Migrantinnen kommen, sondern klassische Flüchtlinge. Es werden vielleicht keine Millionen sein, aber Europa sollte darauf vorbereitet sein – und sich vor allem jetzt schon überlegen, wie es akut helfen kann. (Gudrun Harrer, 30.4.2023)