Er hat den Dabke im Blut: Omar Souleyman, Stilikone und Stimmungsgarant.

Foto: Omar Souleyman

Keine Frage, es ist ernst – todernst sogar. Klima, Pandemie, Krieg, Armutsschere und andere Plagegeister sagen uns: Es kann schon noch so weiter gehen, aber es wird nicht gut ausgehen. Oder wie es Oliver Ressler in seiner Videoarbeit Climate Feedback Loops ausdrückt: "Die Frage ist nicht mehr, ob wir scheitern werden, die Frage ist nur noch: wie." Der Klimaaktivist und Künstler hat für das heurige Donaufestival die Kremser Kunsthalle mit deprimierenden Aufnahmen der Klimakatastrophen-Kettenreaktionen in der Arktis bespielt. Und dass bei der Soundinstallation Schwarm seines Kollegen Felix Blume das Summen von Bienen nur noch aus 250 hängenden Lautsprechern anstatt von lebenden Exemplaren kommt, passt da auch gut ins Bild.

Beyond Human lautet das Motto des diesjährigen Avantgarde-Kunstfestivals. Was, so die Frage, kommt nach den Menschen, die gerade ihre Lebensgrundlage zugrunde richten? Vielleicht als Zwischenschritt noch schnell eine neue Religion gründen, denken sich die Performer von Toxic Temple.

Die Performancegruppe Toxic Temple erhebt Verbrennungsmotoren und Plastikmüll in den Stand eines Heiligtums.
Foto: Donaufestival

In ihrem Satireprojekt, das der altbewährten Methode Subversion durch Affirmation folgt, werden Plastik und fossiler Brennstoff zum neuen Heiligtum erklärt: In der im Forum Frohner eingerichteten Kirche des Polymere-Grauens wird die letzte verbliebene Natureisscholle feierlich unter Kunstlicht zum Schmelzen gebracht. Im Beichtstuhl kann man sich für 400.000 Kilometer SUV-Erfahrung die Absolution erteilen lassen, Rosenkränze werden durch das Ausdrücken von Luftpolsterfolie heruntergebetet. Holz? Ist Teufelszeug – viel zu wenig CO2-Ausstoß.

Ein Hort der Gegenkultur

Dass mit Schwarz-Blau in Niederösterreich gerade auch politisch einiges im Argen liegt, das Donaufestival aber verlässlich Gegengift anzubieten hat, führten am ersten von zwei Wochenenden die Experimental-Streicherinnen Silvia Tarozzi und Deborah Walker vor. Die Italienerinnen interpretierten ihre Partisanenlieder gegen den Faschismus in der Minoritenkirche als träumerische Symbiose aus atonalem Klang, der in Harmonie mündet. An dieser Stelle ist man geneigt zu denken: Solange das Donaufestival spielt, ist im Land der Germanen-Liederbücher noch nicht aller Tage Abend. Jedenfalls wird die Standfestigkeit der ÖVP-Landesmutter Johanna Mikl-Leitner gegenüber ihren rechten Mitvätern gerade auch am Umgang mit diesem Hort der Gegenkultur gemessen werden.

Das italienische Streicherduo Silvia Tarozzi und Deborah Walker interpretierte historische Partisanenlieder aus Norditalien.
Foto: Donaufestival

Nachdem beim elektronischen Musikprojekt Heith feat Declino noch einmal die ganze Ikonografie des klassischen Industriezeitalters – Räder, Ketten, glühender Stahl – aufgeboten wurden, war man gut vorbereitet, um mit den Fanatikern von Toxic Temple eine Prozession zu Ehren des Atommülls und anderen Schätzen durch halb Krems-Stein mitzumachen. In der Dominikanerkirche angekommen, konnte man sich durch die darin eingebaute Sperrholz-Wohnung des Künstlers Alfredo Barsuglia gleich gut fürs nächste Mammutproblem locker machen: Wohnungsnot, Mietwucher und das ungebremste Vermögenswachstum der Wenigen auf Kosten der Vielen.

Rammstein für Kunsthochschüler

Die dieser Tage oft so hochgekochten identitätspolitischen Anliegen wirken da im Vergleich immerhin lösbar: Der queere Battle-Rapper Zebra Katz zeigte im Superhelden-Muskeloutfit vor, dass politische Haltung nicht immer auf Kosten der Unterhaltung gehen muss.

Zebra Katz gab sich geschmeidig und kratzbürstig zugleich.
Foto: Donaufestival

Warum aber der Performer Harald Beharie umgekehrt pubertäres Gespucke und Gekotze zur queeren Selbstvergewisserung heranziehen muss, leuchtet nicht ganz ein. In den 70er-Jahren konnte man damit gut Bürger- und Nazischreck spielen, heute ödet derlei egozentrische Leibbeschau nur noch an.

Sinnvolleres nahm man aus der Bosnien-Krieg-Performance von Jelena Juriša mit. Stilistisch klang das nach Rammstein für Kunsthochschüler, ideell war es Stoff für Hannah-Arendt-Leser, auffassen konnte man die Performance Aphasia durchaus als Brückenschlag zu jenen genozidalen Verbrechen, die sich gerade heute wieder zutragen.

Jelena Juriša und ihre beiden Gitarristen behandelten in der Performance Aphasia Täter-Opfer-Unschärfen des Bosnienkriegs.
Foto: Donaufestival

Schluss mit Weltverdruss

Dann war aber auch einmal Schluss mit Weltverdruss. Der syrische Hochzeitssänger und Weltmusik-Star Omar Souleyman erinnerte bei seinem wiederholten Erscheinen am Donaufestival daran, dass der liebe Gott dem Nahen Osten nicht nur fossile Brennstoffe, sondern schon auch heilsamere Exportgüter wie die traditionelle, aber gut auch in Richtung Ballermannparty aufzuzwirbelnde Dabke-Musik mitgegeben hat.

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Omar Souleyman, diesmal im schwarzen statt weißen Scheich-Gewand seelenruhig über die Bühne schwebend, kam, sah und siegte auf ganzer Linie. Mit Schnauzer, Sonnenbrille und sanfter Animation zum in die Hände Paschen stellten Souleyman und sein fantastischer Keyboard-Orgler dem vom pessimistischen Raunen niedergedrückten Festivalpublikum doch noch einen schönen Maibaum auf. Die Welt retten wir damit nicht, aber wenn schon untergehen, dann zumindest mit Schwung in den Hüften. (Stefan Weiss, 1.5.2023)