Corey Mylchreest als junger King George, India Amarteifio als junge Queen Charlotte in "Queen Charlotte", ab 4. Mai auf Netflix abrufbar.

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Prinzessin zu sein, stellen sich viele schöner vor, als es ist. Das Schloss zugig, die Etikette nervig, die Gouvernante pingelig, jede kleinste Bewegung wird beäugt und betratscht, selbst die schönen Kleider vermögen kaum zu trösten. Schauen zwar spitze aus, aber bequem ist anders! Über Luxusprobleme dieser Art schimpft sich die Prinzessin bei ihrem Bruder aus. Der will die junge Schönheit flott verheiraten, mit einem König, den die Zukünftige noch niemals gesehen hat. Noch so ein ungutes Detail am Leben zu Hofe.

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Ihre Ressentiments hört der Bruder, allein es hilft nichts. Das widerspenstige Prinzessinnenherz muss sich beugen. Die Zeit hat ihre Regeln, und es führt kein Weg daran vorbei: Die Prinzessin muss Queen werden und davor einige tiefe Täler durchschreiten, ehe sie die ist, als die sie Streamingjunkies kennen: die stoische, machtbewusste, tratschsüchtige, perückenprächtige "Queen Charlotte". Der Ableger von "Bridgerton" ist auf Netflix ab 4. Mai abrufbar.

Was es ist

"Bridgerton" gehört zu Netflix' erfolgreichsten Serien. Die freizügige Variante einer Jane-Austen-Verfilmung unterhielt ihr Publikum mit Sex, Pomp und Diversität und wusste zu polarisieren. Die einen waren hingerissen von der Leichtigkeit, mit der das Epos vielschichtige Charaktere, feinen Humor und überraschende Wendungen einspielte. Anderen bereiteten die groschenromanhafte Natur und der überbordende Kitsch von "Bridgerton" Magenkrämpfe. An beidem ist wohl Wahres dran.

"Queen Charlotte" erzählt nun die Geschichte vom Prinzessinnenmädchen zur Regentin in einer patriarchalen Gesellschaft und dem Aufbegehren dagegen. Und ja, wie schon beim Vorgänger "Bridgerton" ist sie durch ziemliche Notgeilheit gekennzeichnet. Die Stimmung am Hofe ist zum Platzen aufgesext. Es geht ums "Wer mit wem?", dargestellt in zwei Handlungssträngen – einmal als Becoming Queen der jungen Prinzessin, inklusive Entmystifizierung ehelicher Pflichten, und dann als Being Charlotte einer strengen Regentin, die entschlossen gegen das Aussterben des eigenen Geschlechts vorgeht und dem nichtsnutzigen Nachwuchs – immerhin 15 an der Zahl – einen klaren Auftrag erteilt: "Zeugt mir einen königlichen Nachfolger!" Gesagt, getan.

Unbekümmert zupackender Hofstab

Die zentrale Frage dahinter: Wie wurde der einstens bildhübsche Jungkönig zum trotteligen Altkönig, der er in "Bridgerton" ist? Das zu zeigen, tritt wieder ein unbekümmert zupackender Hofstab an. Einige Mitglieder sind bekannt aus der Vorgängerserie, es gibt ein Wiedersehen mit Ruth Gemmell als Lady Violet, Adjoa Andoh als Lady Danbury sowie Hugh Sachs als treuer Diener Brimsley.

Angeführt von Gossip-Tante Lady Whistledown lässt die Spielwiese der "Bridgerton"-Abkömmlinge den weiblichen Figuren weitaus mehr Raum als "Bridgerton". Hübsch anzusehen sind sie sowieso alle, naiv wohl kaum. Vor allem aber zeigen einige der Charaktere, wie man die Grenzen eines strengen gesellschaftlichen Korsetts überwinden kann: mit Vernunft und Tücke. Die Serie wurde anders als "Bridgerton" von Shonda Rhimes selbst entwickelt. Geschlechtergerechtigkeit, Queerness und Diversity sind die Werte, die hier nicht einfach nur hineinspielen wie in "Bridgerton", sondern hochgehalten werden. "Sie ist braun", mäkelt Queen Mum über die zukünftige Schwiegertochter. Historische Wahrheiten des georgianischen Zeitalters werden wieder großzügig ausgelegt. Es geht um den Bruch mit den Konventionen, der sich durch alle Handlungsstränge zieht.

Colorblind Casting

Wie schon bei "Bridgerton" werden Herkunft und Ethnie nach dem Konzept des Colorblind Casting munter durcheinandergewürfelt. Jeder Schauspieler, jede Akteurin soll jede Rolle spielen können, ungeachtet seiner bzw. ihrer Herkunft. Das können literarische oder historische Figuren sein – der Lord, die Lady im 18. Jahrhundert ist plötzlich nichtweiß, obwohl er oder sie es in der Geschichte mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit war. Es kann sich aber ebenso gut um Status-, Schicht- oder Milieuzugehörigkeit handeln, die um einen diversen Cast erweitert wird. Neben der schwarzen Queen Charlotte war zuletzt eine schwarze Anne Boleyn in Serie zu sehen.

Wobei bei "Bridgerton" ein spezielles Detail dazukommt: Neuere Forschungen deuten auf ein gemischteres Bild der englischen Bevölkerung des 16. Jahrhunderts hin als bisher angenommen. So soll die deutschstämmige Königin Charlotte von Mecklenburg-Strelitz tatsächlich afrikanische Ahnen gehabt haben. In der Serie wird die "alte" Königin von der guyanisch-britischen Schauspielerin Golda Rosheuvel verkörpert, die junge von der 21-jährigen India Ria Amarteifio.

Diesem bunten Treiben zuzusehen ist ein Vergnügen, das sich lediglich vom gesellschaftlichen Status begrenzen lässt: Der Queen-Diener schmeißt sich lustvoll auf den Königsdiener, die oberste Elite bleibt – zumindest in den zwei Folgen, die DER STANDARD vorab sah – gleichfalls unter sich. Die Vermischung von Hierarchien scheint selbst im diversen Streaming-Königreich nicht vorgesehen. (prie, 3.5.2023)

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