Die Sachen packen und gehen: Immer mehr Menschen denken gerade über eine Kündigung nach – aber nicht über die Folgen?

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Einen Job ein Leben lang: Dieses Modell gehört für die meisten Beschäftigten schon längst der Vergangenheit an. Seit Jahren attestiert eine Vielzahl an Umfragen und Studien die schwindende Bindung an eine Firma. In der Pandemie hat diese Entwicklung einen neuen Höhepunkt erreicht.

Und der Trend nimmt trotz herausfordernder Rahmenbedingungen weiter an Fahrt auf. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Österreich ist derzeit offen für einen neuen Job. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Wechselbereitschaft sogar um rund sechs Prozent gestiegen. So das Ergebnis – und damit ein Rekordwert – der Langzeitstudie des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag des Karrierenetzwerks Xing. Vor allem die jungen Erwerbstätigen zwischen 18 und 29 Jahren (Generationen Z und Y) sind demnach besonders offen für einen Jobwechsel.

Doch nicht nur in klassischen Medien wird über das große Kündigen berichtet, auch in Social Media sind Nutzerinnen und Nutzer offener im Umgang mit dem Thema geworden und teilen ihre Erfahrungen unter dem #quittok öffentlich. Die Viralität des Job-Hinschmeißens hat aber nicht nur Vorteile für Beschäftigte, warnt nun Anthony Klotz im Gespräch mit BBC Worklife – dabei hat ausgerechnet er den Begriff "Great Resignation" in der aktuellen Debatte stark geprägt.

Ansteckende Kündigung

Während die Kündigung früher meist ein Tabuthema war, habe sie laut dem Psychologen mittlerweile fast schon einen gewissen Coolness-Faktor erreicht. Dieser sei zwar teilweise berechtigt, schließlich weiche das freiwillige Verlassen eines Arbeitsplatzes die ungleichen Machtverhältnisse zwischen Arbeitgeber und Mitarbeitenden auf und könne empowernd wirken. Gerade wenn die Arbeitsbedingungen schlecht sind, sei die Kündigung eine wichtige Maßnahme, um negative Folgen zu vermeiden oder den Schaden zumindest zu begrenzen. Doch der anhaltende Trend könne laut Klotz auch dazu beitragen, Schattenseiten auszublenden: "Es entsteht der Eindruck, kündigen sei eine schnelle und leichte Entscheidung, und das könnte zu unüberlegten Handlungen führen."

Denn neben häufig genannten Gründen– von schwierigen Vorgesetzten bis mehr Gehalt – können Kündigungen auch ansteckend sein. Dieses Phänomen wird in der Forschung "Turnover Contagion" genannt: Verlässt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter das Unternehmen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass andere folgen – teilweise sogar um bis zu 25 Prozent. Durch die anhaltende Berichterstattung über Kündigungswellen könnte sich dieser Effekt massiv gesteigert und auf die gesamte Arbeitswelt ausgeweitet haben, befürchtet Klotz.

Unterschiedliche Ausgangslage

Einen neuen Job suchen, sich im ungewohnten Arbeitsumfeld zurechtfinden und Beziehungen am Arbeitsplatz aufbauen: All das braucht Zeit und passiert nicht von heute auf morgen. "Sich in einem neuen Job einzuleben gehört für viele zu den stressigsten Zeiten im Leben", ist Caitlin Porter, Assistent Professor für Management an der University of Memphis, überzeugt.

Sie ist außerdem besorgt, dass der neue Glamour rund um die Kündigung die falschen Menschen ansprechen könnte. Denn am anfälligsten dafür, sich von einer Kündigungswelle mitreißen zu lassen, seien Mitarbeitende, die weniger an ihren Arbeitsplatz eingebunden sind – also vor allem junge Beschäftigte oder jene, die noch nicht lange in einer Firma sind, und damit nicht unbedingt in der besten Position, ohne neuen Job in Aussicht zu kündigen.

Doch auch, wenn ein neues Jobangebot mit besseren Bedingungen verlockend sei, häufige Jobwechsel könnten es laut Porter schwerer machen, die Karriereleiter zu erklimmen. Vor allem für marginalisierte Gruppen wie Frauen oder Menschen mit Migrationsgeschichte könne das Probleme nach sich ziehen, sagt die Management-Expertin: "Diese Personengruppen steigen sowieso schon seltener in höhere Positionen auf und haben auch aktuell schon höhere Fluktuationsraten."

Keine voreiligen Schlüsse ziehen

Auch im STANDARD haben einige Leserinnen und Leser von ihren Erfahrungen rund um die Kündigung berichtet. Während einige die Entscheidung nie bereut haben, blickten andere weniger positiv auf ihren Entschluss zurück. Für den Arzt Omar M.* gestaltete sich die Jobsuche danach schwieriger als gedacht. Er kündigte seinen Job im Krankenhaus, nachdem er bereits ein erstes positives Vorstellungsgespräch hinter sich, aber noch keine feste Zusage hatte. Grund für den Wechsel war die schwierige Zusammenarbeit und teilweise diskriminierende Behandlung im Team.

"Das zweite Interview lief anfangs sehr gut. Bis ich gefragt wurde, ob ich mir für den Termin freigenommen hätte. Als ich sagte, dass ich bereits vor einer Woche gekündigt hatte, kippte die Stimmung plötzlich. Kurz darauf kam eine Absage, da sie sich für jemand anderen entschieden hätten", erzählt der 45-Jährige. "Als ich endlich eine neue Stelle gefunden hatte, war ich erleichtert. Es ist zwar nun vieles besser, aber ich würde nicht nochmal ohne Job in Aussicht kündigen, sondern versuchen, es so lange auszuhalten, bis ich etwas gefunden habe."

Den Job an den Nagel zu hängen, nur weil es gerade ein Trend ist – davon sei man in Österreich und im europäischen Raum jedoch weit entfernt, ist Charlotte Eblinger, Geschäftsführerin der Personalberatung Eblinger & Partner überzeugt. Ebenso davon, dass Job-Hopping, also der häufige Wechsel des Arbeitsplatzes, schon lange kein Karrierekiller mehr ist: "Ganz im Gegenteil – mittlerweile ist es eher auffällig, wenn jemand nur in einer Firma ist", sagt sie, "mal abgesehen davon, dass es von Unternehmensseite auch kaum noch möglich ist, bis zur Pension in einem Job zu bleiben."

Arbeitsmarkt im Wandel

Die Bindung habe ihrer Einschätzung nach nämlich nicht nur seitens der Beschäftigten abgenommen, auch die Firmen seien ihren Mitarbeitenden gegenüber weniger loyal. "Die Kündigung sitzt natürlich bei den Arbeitenden lockerer, wenn eine Vielzahl an Möglichkeiten auf sie wartet. Die Unternehmen machen aber ebenso kurzen Prozess, wenn beispielsweise Einsparungen getroffen werden müssen", sagt die Personalexpertin.

Durch den Wandel vom Arbeitsmarkt hin zum Arbeitnehmermarkt hätten die Beschäftigten zwar grundsätzlich die besseren Karten. Von unüberlegten Kündigungen rät Eblinger aber dennoch ab: "Es hat immer schon Menschen gegeben, die nach einer Diskussion oder einem Konflikt am Arbeitsplatz den Hut draufhauen. Aber ob es woanders wirklich besser ist, das kann man vorher nie mit Sicherheit wissen." Stattdessen rät sie dazu, sich zuerst nach einem neuen Job umzusehen und dann den Entschluss zu fassen, wenn man sich wirklich sicher ist.

Den großen Rückzug aus dem Berufsleben sieht die Personalexpertin aber ohnehin nicht. Dafür sei die Einstellung zur Arbeit in Österreich und den USA immer schon zu verschieden: "Die Bereitschaft, für einen Job quer durchs Land zu ziehen und das eigene Privatleben komplett hintenanzustellen – das gab es so nie. Die Menschen wollen eine Viertagewoche oder Teilzeit arbeiten, aber hauen nicht gleich alles hin, weil sie jetzt nicht mehr in dem System mitmachen wollen." Der Wandel des Arbeitsmarkts spiegelt hierzulande laut der Expertin eher den aktuellen Zeitgeist wider: Groß Karriere machen in einer Firma, das spielt es zwar nicht mehr – das wollen aber auch nur mehr die wenigsten. (Anika Dang, 5.5.2023)