Ein Sozialmarkt des Wiener Hilfswerkes in Wien. Extreme Armut definiert sich nicht durch Geldmangel allein, sondern wirkt sich in allen Lebensbereichen aus – vom Wohnen übers Essen bis hin zu Freizeit und Bildung.

Foto: Regine Hendrich

Wer in Österreich zu den inzwischen 201.000 Menschen zählt, die besonders von Armut betroffen sind, hat nicht nur zu wenig Geld, sondern er kann die eigenen Grundbedürfnisse und die seiner Kinder nicht erfüllen. Das führt zu Einschränkungen in fast allen Lebensbereichen – zeigt eine aktuelle Befragung des Sozialforschungsinstituts Sora im Auftrag der Caritas der Erzdiözese Wien. Titel: "Unterm Radar"

Interviewt wurden 400 Menschen, die zwischen Dezember 2022 und März 2023 in einer Sozialberatungsstelle der Caritas in Wien oder Niederösterreich um Hilfe ersucht haben: Personen, die als extrem Armutsbetroffene in bisherigen Studien nicht repräsentativ vertreten waren, die Mindestpension oder Sozialhilfe beziehen, arbeitslos sind oder so wenig verdienen, dass sie ihr Einkommen aufstocken müssen. Ein Viertel der Betroffenen waren alleinerziehende Mütter.

Zum Vergleich wurde eine für die österreichische Gesamtbevölkerung repräsentative Umfrage bei 1.000 Personen durchgeführt. In den für alle Menschen zugänglichen Sozialberatungsstellen wird die Lage der Hilfesuchenden evaluiert, ihr sozialrechtlicher Status wird erhoben. Es gibt Sachspenden und in manchen Fällen auch etwas Geld.

Drei Viertel können sich Heizen nicht leisten

Die Ergebnisse künden von extremen Einschränkungen für die Ärmsten der Armen. Drei von vier – 73 Prozent – können in der kalten Jahreszeit ihre Wohnung nicht warm halten; bevölkerungsweit sind das elf Prozent. Ebenso viele Befragte – 76 Prozent – haben nicht die Mittel, um sich und ihrer Familie zumindest jeden zweiten Tag eine Hauptmahlzeit zu kochen. In der Gesamtbevölkerung sind das neun Prozent.

Fast alle Sozialberatungsklienten – 98 Prozent – gaben an, dass sie unerwartete Ausgaben von 1.300 Euro nicht stemmen könnten. In der Gesamtbevölkerung sagten das 29 Prozent der Befragten. Auch 650 Euro waren für fast alle Caritas-Kunden – 95 Prozent – nicht leistbar.

Lage wurde 2022 teuerungsbedingt schlechter

Teuerungsbedingt hatte sich die Lage fast aller Befragten während des Jahres 2022 verschlechtert. Fast alle – 92 Prozent – der Sozialberatungsklienten gaben an, dass sie ihren Verbrauch bei Strom, Heizung und Treibstoff seit Sommer 2022 deutlich hätten verringern müssen. Vier Fünftel – 85 Prozent – von ihnen sagten, sie hätten sich in dieser Zeit verschuldet oder seien nun auf finanzielle Hilfe angewiesen. Doch nicht vom Staat: 83 Prozent sagten, ohne Unterstützung von Hilfsorganisationen wären sie nicht über diese Zeit gekommen.

Die Hilfsorganisationen würden seit längerem darauf hinweisen, dass sich der Druck auf armutsbetroffene Menschen massiv erhöht habe, sagte bei Klaus Schwertner, Caritas-Direktor der Erzdiözese Wien, bei der Studienvorstellung am Donnerstag: "Zuerst waren es Folgen der Pandemie, dann kam die Rekordinflation und schließlich die Teuerung von Lebensmitteln, Energie und Mieten."

Nicht gedacht, in eine solche Lage zu kommen

Um die zunehmenden Probleme von Menschen anzugehen, die vor ihrem Absturz zu 70 Prozent nicht gedacht hätten, je in eine solche Situation zu kommen, seien Reformen im Sozialbereich bitter nötig, so Schwertner: "Die Sozialhilfe neu muss dringend geändert werden. Statt Höchstsätzen braucht es Mindeststandards." Auch das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe müssten wegen der Teuerung erhöht werden.

Als armutsgefährdet galt in Österreich 2021, wer weniger als 1.371 Euro netto im Monat zur Verfügung hatte. 2022 lebten 17,5 Prozent der Bevölkerung – 1,5 Millionen Menschen – unter der Armutsgefährdungsschwelle.

Extreme Armut, wie sie unter den Caritas-Sozialberatungsklienten grassiert, definiert sich über ihre schwer einschränkenden Folgen in sämtlichen Lebensbereichen – vom Wohnen und Heizen über Essen und Freizeit bis hin zu Bildung. (Irene Brickner, 4.5.2023)