Die Bäume blühen, die Zinsen sprießen – die EZB hat wegen der hohen Inflation die geldpolitischen Zügel neuerlich etwas enger genommen.

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Die Europäische Zentralbank (EZB) setzt die geldpolitische Straffung etwas abgeschwächt fort und erhöht ihre Zinssätze jeweils um einen Viertelprozentpunkt. Die Teuerung habe zwar in den vergangenen Monaten tendenziell abgenommen, der zugrundeliegende Preisdruck sei aber nach wie vor zu stark, begründete EZB-Chefin Christine Lagarde die Erhöhung. "Der Inflationsausblick ist zu hoch für zu lange Zeit", ergänzte sie.

Nach der nunmehr siebenten Erhöhung in Folge seit dem Ende der Nullzinsphase im vergangenen Juli wird der Leitzins künftig 3,75 Prozent betragen. Der Zinssatz für Bankeinlagen bei der Notenbank steigt im selben Ausmaß auf den neuen Wert von 3,25 Prozent. Die Zinssätze werden Lagarde zufolge bis in einen ausreichend restriktiven Bereich angehoben, um das zweiprozentige Inflationsziel zu erreichen.

Hilfen rasch zurückfahren

Die EZB-Chefin mahnte unter Verweis auf die bereits erfolgten Lohnsteigerungen bei den Regierungen der Eurozone das rasche Zurückfahren ihrer Hilfszahlungen ein. Anderenfalls würde dies den Inflationsdruck weiter erhöhen, was zu einer umso stärkeren geldpolitischen Reaktion führen könnte – also zu zusätzlichen Zinserhöhungen.

Allerdings hatte der überraschend starke Anstieg der Verbraucherpreise im April, die in der Eurozone um sieben Prozent über dem Vorjahr lagen, den Handlungsdruck auf die EZB im Vorfeld weiter erhöht. Gleichzeitig ist zwar die von Notenbankern vielbeachtete Kernrate der Teuerung, in der die schwankungsfreudigen Preise für Energie und Nahrung ausgeklammert werden, leicht auf 5,6 Prozent gesunken. Dennoch hatten einige Marktteilnehmer auch mit einer Anhebung um einen halben Prozentpunkt gerechnet.

Wann kommt der Gipfel?

Aber wie weit muss die EZB bei den Zinsen noch gehen, um die Inflation wieder auf den angestrebten Zielwert von zwei Prozent zu drücken? "Die EZB wird mit Zinserhöhungen noch nicht aufhören, weil die Kerninflation noch immer sehr hoch ist", kündigt Ökonom Hanno Lorenz von der wirtschaftsliberalen Agenda Austria an. "Ein bis zwei Schritte werden noch kommen müssen." Zumindest vier bis 4,25 Prozent dürften beim Leitzins folglich also noch erreicht werden.

Was ebenfalls für weitere Zinsanhebungen spricht: "Die Bankturbulenzen im ersten Quartal 2023 haben sich nur begrenzt auf die Kreditbedingungen ausgewirkt, wie eine Umfrage der EZB zur Kreditvergabe zeigt", erklärt Roxane Spitznagel, Ökonomin bei der US-Investmentgesellschaft Vanguard. Die Kreditvergabe hat sich also nicht von selbst entsprechend eingetrübt, sodass die EZB die Zinszügel noch enger ziehen muss. Spitznagel erwartet daher, dass die Notenbank den Leitzins bis Jahresmitte auf einen Höchststand von 4,25 bis 4,5 Prozent hieven wird. "Mit Zinssenkungen rechnen wir dieses Jahr nicht", ergänzt sie.

Unterschiedliche Teuerung

Erschwert für die EZB wird die geldpolitische Feinabstimmung wegen großen regionalen Unterschieden in der Inflationsentwicklung im Euroraum. Die Teuerung liegt im Baltikum bei etwa 15 Prozent, in Spanien, Belgien oder Luxemburg aber unter vier Prozent – es gibt also Unterschiede von mehr als zehn Prozentpunkten. Litauen, Estland und Lettland waren bis zum Ukrainekrieg stark von Energielieferungen aus Russland abhängig, die durch wesentlich teurere Alternativen ersetzt werden mussten.

"Das ist natürlich nicht ganz einfach für die EZB", sagt Agenda-Austria-Experte Lorenz. Die unterschiedlichen Inflationsraten würden aber nicht gegen weiter steigende Zinssätze sprechen, da die Teuerung allerorts noch über dem zweiprozentigen Zielwert der EZB liege. Dazu kommt, dass Länder wie Spanien, die auf Preisdeckel gesetzt haben, nach dem Abbau dieser Markteingriffe mit künftig steigenden Inflationsraten rechnen müssten.

Zehnte Erhöhung der Fed

Die US-Notenbank Fed hat am Mittwochabend zum zehnten Mal in Folge den Leitzins angehoben, nämlich um 0,25 Prozentpunkte auf die Spanne von fünf bis 5,25 Prozent. Gleichzeitig signalisierte sie die Möglichkeit einer Pause bei den Zinserhöhungen, da die Inflation im März um einen ganzen Prozentpunkt auf fünf Prozent gesunken ist. "In den USA dürfte der Leitzinsgipfel erreicht sein", sagte Ökonom Bastian Hepperle von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank.

So weit ist die EZB freilich noch nicht. Für ihre nächste Sitzung am 15. Juni stehen die Zeichen auf weiter steigende Zinsen. Das bedeutet aber auch, dass variable sowie neu zu vergebende Kredite noch teurer werden. Bereits bisher ist der für variable Kredite meist maßgebliche Referenzzinssatz, der Sechsmonats-Euribor, binnen eines Jahres von minus 0,2 Prozent auf mehr als 3,6 Prozent hochgeschnellt, Tendenz weiter steigend. (Alexander Hahn, 4.5.2023)