Jessie Ware macht sich zum Ausgehen bereit. Hoffentlich hält die Frisur.

Foto: Universal

Jessie Ware kennt sehr wahrscheinlich den berühmten Spruch von John Lennon aus dem März 1963 während einer damals im britischen Fernsehen übertragenen Wohltätigkeitsgala mit den Beatles in London: "Für das nächste Stück möchte ich um Ihre Hilfe bitten: Die Leute auf den billigeren Plätzen klatschen bitte in die Hände. Alle anderen mögen einfach mit ihren Edelsteinen klappern." 60 Jahre später nimmt die gegenwärtige britische Königin einer zeitgemäßen Form von Disco die Perlenkette in die Hand und stürmt beherzt auf die Tanzfläche. Jetzt geht sie los die Polonaise! Alle kriegen alles:

"Excuse me, I don't know about you / But I think it's time to shake it 'til the pearls fall / I'm so 9 to 5, I'm a lady / I'm a lover, a freak and a mother / Walking on the line, it's in my human nature / I crave a little danger!"

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Auf ihrem neuen Album That! Feels Good! wird man Zeuge, wie unkaputtbar sich die klassische Discomusik der 1970er-Jahre gerade auch im britischen Königreich bei einem schon etwas älteren Publikum erweist.

In der Nachfolge von tapferen Fahnenträgerinnen wie Kylie Minogue und ihrem Manifest Your Disco Needs You von 2001 oder Madonnas Lebensbeichte Confessions on a Dance Floor von 2005 ist die Zeit wieder einmal reif für neues Material. Wir alle kennen die unsterblichen Klassiker für Ü40-Partys, Firmenfeiern, Weihnachtsfeiern oder runde Geburtstage. It's Raining Men von den Weather Girls, We Are Family von Sister Sledge, Le Freak von Chic. Und auch das Pulver der guten alten Sex Bomb von Tom Jones und Mousse T. ist langsam so feucht geworden wie das Bussi von der Tante, wenn sie Kiss von Prince hört. Und wenn man zum Beispiel Rivers of Babylon, Ma Baker oder Daddy Cool und Boney M. erwähnt, kriegt man die Lieder den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf. Ja, gell?!

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Die neue Hymne der Verheißung von Jessie Ware nennt sich Free Yourself und steht mit kräftig angeschlagenem Klavier und beckenfreundlichem Bass und Schlagzeug in der altbewährten Tradition eines Genres, in dem es nicht nur um Lebensfreude und Hedonismus sowie kurzfristigen Sex mit unbekannten Personen geht, sondern immer auch um Selbstermächtigung, Befreiung und Glück. Man erinnere sich etwa an die Discoroboter Daft Punk und ihren späten Hit Get Lucky von 2013. Die Kernaussage "We stay up all night to get lucky" bedeutet schließlich nicht nur irgendetwas mit "Glück haben", sondern in einer weiteren Bedeutung auch, dass man hoffentlich in dieser einen weiteren Nacht der Nächte sexuell einen Lottosechser macht.

Ausschweifengehen

Jessie Ware als glücklich verheiratete 38-jährige Frau und Mutter legt die Sache in Free Yourself 2023 etwas züchtiger an. Die alte Zivilisationstechnik des Ausschweifengehens hat schließlich schon bessere Zeiten gesehen. Die Botschaft ist allerdings im Grunde altbekannt und -bewährt: "Don't stand there waiting all of your life / For the night to come and find you / The clock is ticking baby now is the time / For someone to come and hold you."

Produziert hat das Album That! Feels Good!, das mit dem brasilianischen Ausflug Begin Again auch noch exotischeres Material neben dem bewährten Pflichtprogramm Hello Love oder Pearls zu bieten hat und natürlich auch Bläser- und Streichersätze auffährt, Stuart Price. Der sorgte ja schon im Rahmen der Confessions von Madonna für das letzte gute Album der US-amerikanischen Discoveteranin. (Christian Schachinger, 4.5.2023)